09.05.2012

Ober­hausen und sein Manifest

Historisch: »8. Westdeutsche Kurzfilmtage«
Damals hießen sie noch »Westdeutsche Kurzfilmtage«

60 Jahre nach dem virulenten Aufbruch resümieren die Kurzfilmtage

Von Dieter Wieczorek

Wenn am 28. Februar 1962 26 Film­schaf­fende gegen alte und einge­spielte Konven­tionen rebel­lierten, den »neuen deutschen Spielfilm« einklagten, und das »alte Kino« begruben, so ist dieses Ereignis in mehreren Kontexten zu lesen, die vorzu­stellen der breit ange­legten Film­reihen »Maveriks, Mouve­ments, Manifests« Aufgabe war. Zum einen mani­fes­tiert sich hier der Unmut über einen nur schein­barer Bruch und Neuanfang nach dem zweiten Weltkrieg. Faktisch blieb die alte Garde der bereits zur Nazizeit Tätigen nach wie vor im Geschäft, um ihre meist durch demons­trativ-senti­men­tale Hand­schrift gekenn­zeich­neten Werke zu präsen­tieren. Zum anderen hat es das »Kino« weit schwerer als andere Kunst­formen, sich vom Duktus des von Karl Kraus ange­klagten »Schmü­cke­dein­heim«-Bedürfnis zu befreien. Zu stark in Anspruch genommen in einer Feier­abend- und Besänf­ti­gungs­kultur, die sich der Wirt­schaft­auf­schwung als sein Pendant hielt, bedurfte die Reflexion auf Film-Kunst (gegen Film­ver­wer­tung) eines hinrei­chend klaren aggres­siven Manifest. Während im Kunst­ge­schehen bereits seit Jahr­zehnten sich »Stile« gebildet hatten, um eine expe­ri­men­teller Wirk­lich­keits­er­fah­rung zu erstreben und sich von der Ideologie der schlichter »Wirk­lich­keits­ab­bil­dung« loszu­sagen, waren vergleich­bare Versuche (Duchamps etc.) im Film­ge­schehen nur periphere Ausnahmen und punk­tu­elle Ereig­nisse geblieben in der ersten Hälfte des letzten Jahr­hun­derts.

Unter­s­tützt aller­dings wurden die Forde­rungen nach einer Abkehr naiver Realitäts­er­fas­sung durch die in Frankfurt gelehrte »Kritische Theorie«, die von Kunst mehr verlangte als die schein­bare Abbildung. Das Beste­hende nicht aner­kennen und neue Wahr­neh­mungs­formen auszu­loten war hier ethische Devise. Den Mensch als trans­gres­sives Wesen wahr­zu­nehmen und nicht als zu belie­fernden Konsum­ballon war hier der neue Standart, dem sich keine kultu­relle Aktivität, die sich ernst nehmen wollte, verschließen konnte.

Zum anderen ist das deutsche Manifest nur eines unter vielen im inter­na­tio­nalen Kanon, die allesamt gegen eine Versei­chungs- und Repe­ti­ti­ons­kultur rebel­lierten und für eine Neuer­fas­sung des »Realen« unter künst­le­ri­scher Anwendung technisch neuer Verfahren plädierten, wenn auch in kulturell höchst unter­schied­li­chen Kontexten.

In Japan war der umfas­sender Wider­stand gegen den japa­ni­sche Identität und Souver­änität bedro­henden, von der USA aufge­zwun­genen Sicher­heits­pakt zum Anlass der Gründung einer schon in den 50ger Jahren einset­zenden Vielzahl von Koope­ra­tiven und Akti­vitäten geworden. Darunter auch die »Gesell­schaft für Licht­film­kunst« (Eizô geijutsu no kai), die in der Licht­bild­kunst die »Jugend der Künste« feierte, die alle Früchte bishe­riger Kulturen zusyn­the­ti­sieren vermochte, und gleich­zeitig gegen Gewinn­streben und die Herr­schaft des Kapitals aufbe­gehrte. In Frank­reich sah man die Existenz des Kurz­film­kultur und der nur durch und in ihr möglichen Freiheit bedroht, die die aus 30 Film­schaf­fenden bestehende »Groupe de Trente« bereits 1953 ihr Manifest diktieren ließ. In Schweden orga­ni­sierte sich 1950 das »Svensk Expe­ri­men­tal­film Studio«, eine Ansamm­lung von in verschie­densten Rich­tungen arbei­tenden Künstlern zur Reflexion auf die nicht mehr »abbil­dende« Kunst­formen. In Ungarn bildete sich das Balazs Bela Studio als eine Art autonome, wenn auch abge­schlos­sene Enklave gegen das hier­ar­chi­sierte Film­fi­nan­zie­rung- und Zensur­system des Landes. Ebenso formierte sich am Ort eine Doku­men­tar­fil­mer­gruppe, die eine neue Realitäts­auf­fas­sung mit sozio­lo­gi­scher Methodik und durch umfas­sende Fakten­samm­lung leisten wollte. Nicht zu vergessen die »erste Erklärung der New American Cinema Group« am 28. September 1960, deren Unter­zeichner sich von jeder Art der Zensur, explizit der kommer­zi­ellen, lossagten und dem herkömm­li­chen (nicht nur) Holly­wood­kino Mangel an Stil und Empfind­sam­keit vorwarfen, sowie eine perverse Glätte, die mora­li­sche und ästhe­ti­sche Standards verfehlt. Sie fordern, das sagen zu dürfen, was sie zu sagen wünschten und auch in der Art, in der sie es zu sagen wünschten (etwa Geringe Produk­ti­ons­kosten, weniger Ausstat­tung und tech­ni­scher Aufwand, kürzere Film­formen).

All diese Tendenzen wurden in Ober­hausen in Film­blö­cken mani­fes­tiert und noch durch ein aktuelles Film­schaffen in der Tradition des »Ober­hau­sener Gefühls« ergänzt. Gewiss können und wollen die meisten dieser Beiträge nicht auf Aner­ken­nung als über­zeu­gende Einzel­werke speku­lieren. Sie markieren unter­schied­liche Terrains, durch­lau­fene, ausge­lo­tete Wege, die ihren Sinn und Kontext im Wider­stand gegen Befan­gen­heiten und Normen in unter­schied­li­chen lokalen und histo­ri­schen Wirk­lich­keiten machten und fanden.

Die dies­jäh­rige Ober­hau­sener Festi­va­le­di­tion war gekenn­zeichnet durch die erfreu­liche Tendenz hin zu einer Wieder­ge­win­nung der Konfron­ta­tion mit Realem, so expe­ri­men­tell und im besten Sinne abwegig auch immer. Die mehrfach und viel­stimmig akzen­tu­ierte Kritik der letzten Jahre an einer zuneh­menden inhalt­li­chen Verseich­tung der Film­aus­wahl blieb folglich nicht ungehört. Dafür stehe nur als Beispiel Aryan Kapanofs Inter­ac­tions: A Strategy of Diffe­rence and Repe­ti­tion, der die proble­ma­ti­schen Arbeits­be­din­gungen eines expe­ri­men­tellen Filme­ma­chers in einer Auftrags­film­si­tua­tion expli­ziert, die er letztlich nur durch Kommu­ni­ka­ti­ons­ab­bruch »löst«. Beauf­tragt das Geschehen eines südafri­ka­nisch-nieder­län­di­schen Kultur­aus­tau­sches zu doku­men­tieren, erfasst er in frag­men­tierten Bildern eher die Zwischen­zonen der Kommu­ni­ka­tion, die Gesten der Befan­gen­heit und marginale Situa­tionen. Derart doku­men­tiert er ein »Scheitern«, zumindest ein Unbehagen, jenseits allen Off-Kommen­tars. Ebenfalls im inter­na­tio­nalen Wett­be­werb lief der russische Beitrag In einem quadra­ti­schen Kreis Valery Shevchenkos, der auf dem großen Vorplatz des Kremls mit zuneh­mender Nervo­sität wartende Eltern auf ihre zunehmend ängst­li­cher sie suchenden Kinder nach einem fest­li­chen Empfand der Kinder zeigt. Beide »Lager« sind säuber­lich vonein­ander getrennt durch Sicher­heits­kräfte. Shevchenko schafft ein genau beob­ach­tendes und gleich­zeitig alle­go­risch Werk zum funk­ti­ons­lose und über­mäch­tigen Admi­nis­tra­ti­ons­ap­parat.

Im deutschen Wett­be­werb hervor­zu­heben wäre die diesmal nicht nur archi­va­risch aufge­schüt­tete, sondern enig­ma­ti­sche Signi­fi­kanz eminie­rende Werk Meteor der Altmeister Christoph Girandet und Matthias Müller. Ebenso hervor­zu­heben ist das surreal groteske Werk The Humping Pact des Spaniers Diego Aquilós, der nackte Körper in Kopu­la­ti­ons­be­we­gungen auf einer Indus­trie­halde zeigt, eine der visuell stärksten Arbeiten.

Im NRW-Wett­be­werb beein­druckte Streben nicht vorge­sehen von Matthias Stoll, der seinem immer­regen Vater ein nach­träg­li­ches Porträt schafft, nachdem dieser einer plötz­li­chen Krebs­er­kran­kung zum Opfer fiel. Die Kamera spürt einem Leben nach, das immer auf die Zukunft baute, und sich dabei ausraubte.

Gleich 16 Projek­tionen wurden unter dem Titel »Market Scree­nings« für die Film­ver­leiher des expe­ri­men­tellen Kurzfilms reser­viert, ein eher zwei­fel­haftes Unter­nehmen für ein Festival, dem an der Erhaltung und Förderung der Kurz­film­kultur doch viel zu liegen scheint, tragen doch diese Distri­bu­toren das ihre dazu bei, das viele Festivals ausdorren oder verschwinden, da sie die anfal­lenden Projek­ti­ons­ge­bühren nicht aufbringen können. Im Extrem­fall ist ein Film für nicht kommer­zi­elle oder subven­tio­nierte Festivals verloren, sobald er in Distri­bu­to­ren­hände gerät. Gewis­sen­hafte Ausnahmen gibt es natürlich. Doch als Einbruch kommer­zi­eller Stra­te­gien in das unab­hän­gige Film­ge­schehen stehen diese »Vermittler«, die selbst­re­dend ihre eigene Existenz mitfi­nan­zieren, für die Verödung oder gar Abschaf­fung kleinerer Festivals. Die Perver­sion geht so weit, dass die hinrei­chend subven­tio­nierten Festivals zu Markt- und Werbe­zwe­cken die Film­bei­träge der Verleiher oftmals auch gratis erhalten, während die »kleinen« ganz darauf verzichten müssen. Derart profi­tieren Subven­ti­ons­un­ter­nehmen gleich zweifach und entle­digen sich der nicht subven­tio­nierten Kultur.

Daher erschiene eine Wieder­kehr zur Aufnahme margi­naler, lokaler, thema­tisch spezi­fi­scher wie politisch enga­gierter Akti­vitäten des unab­hän­gigen Films in aller Welt für ein Festival wie das in Ober­hausen doch die bessere Lösung für Seiten­pro­gramme.

Ober­hausen ist und bleibt einer der weltweit wich­tigsten Treff­punkte des Kurzfilms. An seinem eigen­tüm­li­chen Charme kann nur der teilhaben, der an den Ort kommt, denn Begeg­nungen und Projekt­stif­tungen zwischen neuen Partnern sind hier die Essenz.