Oberhausen und sein Manifest |
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Damals hießen sie noch »Westdeutsche Kurzfilmtage« |
Von Dieter Wieczorek
Wenn am 28. Februar 1962 26 Filmschaffende gegen alte und eingespielte Konventionen rebellierten, den »neuen deutschen Spielfilm« einklagten, und das »alte Kino« begruben, so ist dieses Ereignis in mehreren Kontexten zu lesen, die vorzustellen der breit angelegten Filmreihen »Maveriks, Mouvements, Manifests« Aufgabe war. Zum einen manifestiert sich hier der Unmut über einen nur scheinbarer Bruch und Neuanfang nach dem zweiten Weltkrieg. Faktisch blieb die alte Garde der bereits zur Nazizeit Tätigen nach wie vor im Geschäft, um ihre meist durch demonstrativ-sentimentale Handschrift gekennzeichneten Werke zu präsentieren. Zum anderen hat es das »Kino« weit schwerer als andere Kunstformen, sich vom Duktus des von Karl Kraus angeklagten »Schmückedeinheim«-Bedürfnis zu befreien. Zu stark in Anspruch genommen in einer Feierabend- und Besänftigungskultur, die sich der Wirtschaftaufschwung als sein Pendant hielt, bedurfte die Reflexion auf Film-Kunst (gegen Filmverwertung) eines hinreichend klaren aggressiven Manifest. Während im Kunstgeschehen bereits seit Jahrzehnten sich »Stile« gebildet hatten, um eine experimenteller Wirklichkeitserfahrung zu erstreben und sich von der Ideologie der schlichter »Wirklichkeitsabbildung« loszusagen, waren vergleichbare Versuche (Duchamps etc.) im Filmgeschehen nur periphere Ausnahmen und punktuelle Ereignisse geblieben in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.
Unterstützt allerdings wurden die Forderungen nach einer Abkehr naiver Realitätserfassung durch die in Frankfurt gelehrte »Kritische Theorie«, die von Kunst mehr verlangte als die scheinbare Abbildung. Das Bestehende nicht anerkennen und neue Wahrnehmungsformen auszuloten war hier ethische Devise. Den Mensch als transgressives Wesen wahrzunehmen und nicht als zu beliefernden Konsumballon war hier der neue Standart, dem sich keine kulturelle Aktivität, die sich ernst nehmen wollte, verschließen konnte.
Zum anderen ist das deutsche Manifest nur eines unter vielen im internationalen Kanon, die allesamt gegen eine Verseichungs- und Repetitionskultur rebellierten und für eine Neuerfassung des »Realen« unter künstlerischer Anwendung technisch neuer Verfahren plädierten, wenn auch in kulturell höchst unterschiedlichen Kontexten.
In Japan war der umfassender Widerstand gegen den japanische Identität und Souveränität bedrohenden, von der USA aufgezwungenen Sicherheitspakt zum Anlass der Gründung einer schon in den 50ger Jahren einsetzenden Vielzahl von Kooperativen und Aktivitäten geworden. Darunter auch die »Gesellschaft für Lichtfilmkunst« (Eizô geijutsu no kai), die in der Lichtbildkunst die »Jugend der Künste« feierte, die alle Früchte bisheriger Kulturen zusynthetisieren vermochte, und gleichzeitig gegen Gewinnstreben und die Herrschaft des Kapitals aufbegehrte. In Frankreich sah man die Existenz des Kurzfilmkultur und der nur durch und in ihr möglichen Freiheit bedroht, die die aus 30 Filmschaffenden bestehende »Groupe de Trente« bereits 1953 ihr Manifest diktieren ließ. In Schweden organisierte sich 1950 das »Svensk Experimentalfilm Studio«, eine Ansammlung von in verschiedensten Richtungen arbeitenden Künstlern zur Reflexion auf die nicht mehr »abbildende« Kunstformen. In Ungarn bildete sich das Balazs Bela Studio als eine Art autonome, wenn auch abgeschlossene Enklave gegen das hierarchisierte Filmfinanzierung- und Zensursystem des Landes. Ebenso formierte sich am Ort eine Dokumentarfilmergruppe, die eine neue Realitätsauffassung mit soziologischer Methodik und durch umfassende Faktensammlung leisten wollte. Nicht zu vergessen die »erste Erklärung der New American Cinema Group« am 28. September 1960, deren Unterzeichner sich von jeder Art der Zensur, explizit der kommerziellen, lossagten und dem herkömmlichen (nicht nur) Hollywoodkino Mangel an Stil und Empfindsamkeit vorwarfen, sowie eine perverse Glätte, die moralische und ästhetische Standards verfehlt. Sie fordern, das sagen zu dürfen, was sie zu sagen wünschten und auch in der Art, in der sie es zu sagen wünschten (etwa Geringe Produktionskosten, weniger Ausstattung und technischer Aufwand, kürzere Filmformen).
All diese Tendenzen wurden in Oberhausen in Filmblöcken manifestiert und noch durch ein aktuelles Filmschaffen in der Tradition des »Oberhausener Gefühls« ergänzt. Gewiss können und wollen die meisten dieser Beiträge nicht auf Anerkennung als überzeugende Einzelwerke spekulieren. Sie markieren unterschiedliche Terrains, durchlaufene, ausgelotete Wege, die ihren Sinn und Kontext im Widerstand gegen Befangenheiten und Normen in unterschiedlichen lokalen und historischen Wirklichkeiten machten und fanden.
Die diesjährige Oberhausener Festivaledition war gekennzeichnet durch die erfreuliche Tendenz hin zu einer Wiedergewinnung der Konfrontation mit Realem, so experimentell und im besten Sinne abwegig auch immer. Die mehrfach und vielstimmig akzentuierte Kritik der letzten Jahre an einer zunehmenden inhaltlichen Verseichtung der Filmauswahl blieb folglich nicht ungehört. Dafür stehe nur als Beispiel Aryan Kapanofs Interactions: A Strategy of Difference and Repetition, der die problematischen Arbeitsbedingungen eines experimentellen Filmemachers in einer Auftragsfilmsituation expliziert, die er letztlich nur durch Kommunikationsabbruch »löst«. Beauftragt das Geschehen eines südafrikanisch-niederländischen Kulturaustausches zu dokumentieren, erfasst er in fragmentierten Bildern eher die Zwischenzonen der Kommunikation, die Gesten der Befangenheit und marginale Situationen. Derart dokumentiert er ein »Scheitern«, zumindest ein Unbehagen, jenseits allen Off-Kommentars. Ebenfalls im internationalen Wettbewerb lief der russische Beitrag In einem quadratischen Kreis Valery Shevchenkos, der auf dem großen Vorplatz des Kremls mit zunehmender Nervosität wartende Eltern auf ihre zunehmend ängstlicher sie suchenden Kinder nach einem festlichen Empfand der Kinder zeigt. Beide »Lager« sind säuberlich voneinander getrennt durch Sicherheitskräfte. Shevchenko schafft ein genau beobachtendes und gleichzeitig allegorisch Werk zum funktionslose und übermächtigen Administrationsapparat.
Im deutschen Wettbewerb hervorzuheben wäre die diesmal nicht nur archivarisch aufgeschüttete, sondern enigmatische Signifikanz eminierende Werk Meteor der Altmeister Christoph Girandet und Matthias Müller. Ebenso hervorzuheben ist das surreal groteske Werk The Humping Pact des Spaniers Diego Aquilós, der nackte Körper in Kopulationsbewegungen auf einer Industriehalde zeigt, eine der visuell stärksten Arbeiten.
Im NRW-Wettbewerb beeindruckte Streben nicht vorgesehen von Matthias Stoll, der seinem immerregen Vater ein nachträgliches Porträt schafft, nachdem dieser einer plötzlichen Krebserkrankung zum Opfer fiel. Die Kamera spürt einem Leben nach, das immer auf die Zukunft baute, und sich dabei ausraubte.
Gleich 16 Projektionen wurden unter dem Titel »Market Screenings« für die Filmverleiher des experimentellen Kurzfilms reserviert, ein eher zweifelhaftes Unternehmen für ein Festival, dem an der Erhaltung und Förderung der Kurzfilmkultur doch viel zu liegen scheint, tragen doch diese Distributoren das ihre dazu bei, das viele Festivals ausdorren oder verschwinden, da sie die anfallenden Projektionsgebühren nicht aufbringen können. Im Extremfall ist ein Film für nicht kommerzielle oder subventionierte Festivals verloren, sobald er in Distributorenhände gerät. Gewissenhafte Ausnahmen gibt es natürlich. Doch als Einbruch kommerzieller Strategien in das unabhängige Filmgeschehen stehen diese »Vermittler«, die selbstredend ihre eigene Existenz mitfinanzieren, für die Verödung oder gar Abschaffung kleinerer Festivals. Die Perversion geht so weit, dass die hinreichend subventionierten Festivals zu Markt- und Werbezwecken die Filmbeiträge der Verleiher oftmals auch gratis erhalten, während die »kleinen« ganz darauf verzichten müssen. Derart profitieren Subventionsunternehmen gleich zweifach und entledigen sich der nicht subventionierten Kultur.
Daher erschiene eine Wiederkehr zur Aufnahme marginaler, lokaler, thematisch spezifischer wie politisch engagierter Aktivitäten des unabhängigen Films in aller Welt für ein Festival wie das in Oberhausen doch die bessere Lösung für Seitenprogramme.
Oberhausen ist und bleibt einer der weltweit wichtigsten Treffpunkte des Kurzfilms. An seinem eigentümlichen Charme kann nur der teilhaben, der an den Ort kommt, denn Begegnungen und Projektstiftungen zwischen neuen Partnern sind hier die Essenz.