Vor einem Jahr |
||
Michael Althen 1962-2011 |
Ein Jahr ist Michael Althen jetzt tot. Es ist noch immer schwer zu fassen. Es fehlen noch immer die Worte, die angemessen wären. Wir denken an ihn, jeden Tag. Fast zum Lachen ist die Koinzidenz, das am Samstag, wenn sich der Todestag genau zum allerersten Mal jährt, direkt nebenan zu seinem Grab im Westberliner Waldfriedhof Heerstraße sein geschätzter FC Bayern spielt, im Pokalfinale gegen den BVB, fast wie ihm zu Ehren.
Am Vorabend, diesen Freitag gibt es im Literaturhaus Frankfurt um 19.30 Uhr eine Erinnerungsveranstaltung. Sie heißt »Warte bis es dunkel ist«, wie Michaels Buch, seiner wunderschönen Liebeserklärung ans Kino, in der er solche Sachen schrieb, wie nur er es konnte, etwa wie das ist, wenn Cinephile, Filmkritiker und andere Liebhaber nach einem tollen Film aus dem Kino kommen: »Und so beginnt ein vorsichtiges Abtasten, bei dem man in möglichst unverfänglichen Sätzen versucht, die Gemütslage des Gegenübers zu erspüren, immer darauf bedacht, nicht allzu vorschnell die eigene Meinung preizugeben. Und all das nur, weil alle wissen, dass nichts die Laune so gründlich verderben kann wie ein falsches Wort. Weil jeder die Erfahrung kennt, dass man sich nach dem Film oft fühlt, wie ein gerade aus dem Ei geschlüpfter Vogel. Und alle sehen dabei so aus, als habe man sie aus einem Traum gerissen, der viel zu früh geendet hat.«
Teilnehmer der Veranstaltung in Frankfurt sind unter anderem Dominik Graf, Wolfgang Höbel, Nicolette Krebitz, Ulrich Matthes und Tom Tykwer.
Noch in diesem Monat erscheint im Blessing-Verlag auch das Buch »Meine Frau sagt«, dass jene Glossen zusammenführt, die Michael regelmäßig in der Samstagsbeilage der FAZ unter dem Titel »Heute morgen« geschrieben hat, versehen mit einem Vorwort von Frank Schirrmacher und einem Nachwort von Claudius Seidl. Der letzte dieser Texte erschien am 22. Januar 2011, und der letzte Satz dort lautet: »Die Durchsage war nun wirklich nicht zu verstehen.«
Prost Michael!
+ + +
Für die, die sie noch nicht kennen, der Hinweis auf die Website http://michaelalthen.de/, auf der man allmählich sämtliche Texte, die Michael Althen schrieb, wird nachlesen können.
Es gibt eine sehr schöne, sehr aktive Gedenkseite auf Facebook: http://www.facebook.com/Remembermichaelalthen
+ + +
Vor einem Jahr schrieb ich für die »Berliner Zeitung« folgenden Nachruf:
Ein Liebender
Zum Tod des Filmemachers, Autors und Kritikers Michael Althen
Es gehört zum Beruf des Filmkritikers, dass man manchmal auch dann etwas zu Papier bringen muss, wenn einem nach Schreiben als Allerletztes zumute ist. Wenn einem die Worte fehlen, oder es einfach nichts zu sagen gibt, das angemessen wäre. Das muss seine Ursache nicht immer im Kino haben, ein solcher Moment ist auch der Tod eines Kollegen, Vorbilds und Freundes. Michael Althen war dies für viele deutsche Filmkritiker.
»Die Besten sterben früh…« das ist so einer dieser coolen Filmsätze, den man gern mal dahinsagt – bis er einem irgendwann im Hals steckenbleibt, weil er im Leben plötzlich eingetreten ist. Was Michael Althen zum besten Kritiker seiner Generation machte, war, dass bei ihm das Leben und das Kino eine enge Verbindung eingingen, dass seine Texte noch weniger, als die der anderen, von seiner Person zu trennen waren. Die Empfindungen, die kleinen Beobachtungen am Rande und
die Augenblicke der Erfahrung waren immer präsent in diesen Texten, und sie blieben stets wichtiger, als große Thesen und grundsätzliche Erklärungen zum Stand der Kino-Dinge. Es sind Details, in die man sich verliebt, und Liebe, die zum Kino und die zum Leben, und das Risiko, das zur Liebe dazugehört, war Althen immer wichtiger, als die Unrevidierbarkeit eines Urteilsspruchs. Dem Gefühl sein Recht zu geben, auch dort, wo es diffus ist, es überhaupt in einem öffentlichen Text
zuzulassen, und in Worte zu fassen, das konnte man von Althen lernen.
Woran man sich aber zuallererst erinnert, ist seine Großzügigkeit. Als Redakteur ließ er jedem seiner Autoren seine Stimme, und konnte gut damit leben, wenn Meinungen auseinandergingen – darüber hat er dann gern, beim Bier oder beim Whisky gestritten, aber er hätte nie zugelassen, dass man sich zerstritt. Wenn es etwas zu tadeln gab, dann kam dieser Tadel beiläufig, immer getragen vom Willen, das
grundsätzliche Wohlwollen spüren zu lassen. Zugleich strahlte er eine ungeheure Ruhe aus, eine Gelassenheit, die manche mit Phlegma verwechselten, die aber doch eher in der klugen Einsicht bestand, das nicht alles die Aufregung lohnt, und das man manchmal statt in Hektik zu verfallen, besser zusammen etwas trinken geht, oder einen guten Film anguckt.
Vielleicht hat dies alles auch mit seiner Herkunft aus München zu tun, mit jener Liberalitas und Heiterkeit, die man Süddeutschen eben nicht ganz zu Unrecht nachsagt. In München wurde Althen am 14. Oktober 1962 geboren, und schon sehr früh, seit 1984, schrieb er, der Journalismus und Germanistik studierte, als Filmkritiker für die »Süddeutsche Zeitung«. Er schrieb auch für »Die Zeit«, den »Spiegel« und andere, war Redakteur bei der legendären »Transatlantik« und seit 1998 als Nachfolger Petter Buchkas der Filmredakteur der »Süddeutschen«. Seit 2001 war er dann von Berlin aus Filmredakteur der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«.
Aber Althen war nicht nur Kritiker, er schrieb auch Bücher über Dean Martin, Robert Mitchum und Rock Hudson, und 2002 sein persönlichstes: »Warte, bis es dunkel ist – Eine Liebeserklärung ans Kino«. Und er drehte Filme: Für den WDR über »Essen im Film«. Gemeinsam mit Dominik Graf drehte er 1998 »Das Wispern im Berg der Dinge – Der Schauspieler Robert Graf« und 2000 »München – Geheimnisse einer Stadt«. Gemeinsam mit Hans Helmut Prinzler entstand 2008 der Dokumentarfilm »Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte«. Er gewann zwei Grimme-Preise.
Wer so viele Filme sieht, der hat keine Lieblingsfilme mehr, oder, was aufs Gleiche rauskommt, viel zu viele. Lieblingsregisseure konnte Althen aber sehr wohl nennen: Einer von ihnen war Blake Edwards, ein anderer Michelangelo Antonioni. Über beide hat er einige seiner schönsten Texte geschrieben – darunter auch die jeweiligen Nachrufe.
Althens unverwechselbaren Ton ahmten einige nach, erfolglos. Viele von uns haben ihn bewundert, und das einzige, was in diesem
Augenblick der Trauer ein wenig tröstet, ist das, was er 1998 im Nachruf auf seinen SZ-Vorgänger Peter Buchka beschrieb: »Das Glück, einen Menschen, wie ihn gekannt zu haben.«
Einmal, in einem Gespräch über die Frage eines dritten Kollegen, was denn die eigenen »theoretischen Kriterien« für die Filmbeurteilung sein, antwortete er wie erstaunt darüber, dass man überhaupt so etwas Absurdes fragen könnte: »Ja, hingucken halt.« Wir haben von ihm gelernt, hinzugucken. Am 12. Mai 2011 ist Michael Althen in Berlin nach kurzer schwerer Krankheit gestorben.