10.05.2012

Vor einem Jahr

Michael Ahlten
Michael Althen 1962-2011

Remember Michael Althen

Von Rüdiger Suchsland

Ein Jahr ist Michael Althen jetzt tot. Es ist noch immer schwer zu fassen. Es fehlen noch immer die Worte, die ange­messen wären. Wir denken an ihn, jeden Tag. Fast zum Lachen ist die Koin­zi­denz, das am Samstag, wenn sich der Todestag genau zum aller­ersten Mal jährt, direkt nebenan zu seinem Grab im West­ber­liner Wald­friedhof Heer­straße sein geschätzter FC Bayern spielt, im Pokal­fi­nale gegen den BVB, fast wie ihm zu Ehren.

Am Vorabend, diesen Freitag gibt es im Lite­ra­tur­haus Frankfurt um 19.30 Uhr eine Erin­ne­rungs­ver­an­stal­tung. Sie heißt »Warte bis es dunkel ist«, wie Michaels Buch, seiner wunder­schönen Liebes­er­klä­rung ans Kino, in der er solche Sachen schrieb, wie nur er es konnte, etwa wie das ist, wenn Cinephile, Film­kri­tiker und andere Liebhaber nach einem tollen Film aus dem Kino kommen: »Und so beginnt ein vorsich­tiges Abtasten, bei dem man in möglichst unver­fäng­li­chen Sätzen versucht, die Gemüts­lage des Gegenübers zu erspüren, immer darauf bedacht, nicht allzu vorschnell die eigene Meinung prei­zu­geben. Und all das nur, weil alle wissen, dass nichts die Laune so gründlich verderben kann wie ein falsches Wort. Weil jeder die Erfahrung kennt, dass man sich nach dem Film oft fühlt, wie ein gerade aus dem Ei geschlüpfter Vogel. Und alle sehen dabei so aus, als habe man sie aus einem Traum gerissen, der viel zu früh geendet hat.«

Teil­nehmer der Veran­stal­tung in Frankfurt sind unter anderem Dominik Graf, Wolfgang Höbel, Nicolette Krebitz, Ulrich Matthes und Tom Tykwer.

Noch in diesem Monat erscheint im Blessing-Verlag auch das Buch »Meine Frau sagt«, dass jene Glossen zusam­men­führt, die Michael regel­mäßig in der Sams­tags­bei­lage der FAZ unter dem Titel »Heute morgen« geschrieben hat, versehen mit einem Vorwort von Frank Schirr­ma­cher und einem Nachwort von Claudius Seidl. Der letzte dieser Texte erschien am 22. Januar 2011, und der letzte Satz dort lautet: »Die Durchsage war nun wirklich nicht zu verstehen.«

Prost Michael!

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Für die, die sie noch nicht kennen, der Hinweis auf die Website http://michael­althen.de/, auf der man allmäh­lich sämtliche Texte, die Michael Althen schrieb, wird nachlesen können.
Es gibt eine sehr schöne, sehr aktive Gedenk­seite auf Facebook: http://www.facebook.com/Remem­ber­mi­chael­althen

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Vor einem Jahr schrieb ich für die »Berliner Zeitung« folgenden Nachruf:

Ein Liebender
Zum Tod des Filme­ma­chers, Autors und Kritikers Michael Althen

Es gehört zum Beruf des Film­kri­ti­kers, dass man manchmal auch dann etwas zu Papier bringen muss, wenn einem nach Schreiben als Aller­letztes zumute ist. Wenn einem die Worte fehlen, oder es einfach nichts zu sagen gibt, das ange­messen wäre. Das muss seine Ursache nicht immer im Kino haben, ein solcher Moment ist auch der Tod eines Kollegen, Vorbilds und Freundes. Michael Althen war dies für viele deutsche Film­kri­tiker.

»Die Besten sterben früh…« das ist so einer dieser coolen Filmsätze, den man gern mal dahinsagt – bis er einem irgend­wann im Hals stecken­bleibt, weil er im Leben plötzlich einge­treten ist. Was Michael Althen zum besten Kritiker seiner Gene­ra­tion machte, war, dass bei ihm das Leben und das Kino eine enge Verbin­dung eingingen, dass seine Texte noch weniger, als die der anderen, von seiner Person zu trennen waren. Die Empfin­dungen, die kleinen Beob­ach­tungen am Rande und die Augen­blicke der Erfahrung waren immer präsent in diesen Texten, und sie blieben stets wichtiger, als große Thesen und grund­sätz­liche Erklä­rungen zum Stand der Kino-Dinge. Es sind Details, in die man sich verliebt, und Liebe, die zum Kino und die zum Leben, und das Risiko, das zur Liebe dazu­gehört, war Althen immer wichtiger, als die Unre­vi­dier­bar­keit eines Urteils­spruchs. Dem Gefühl sein Recht zu geben, auch dort, wo es diffus ist, es überhaupt in einem öffent­li­chen Text zuzu­lassen, und in Worte zu fassen, das konnte man von Althen lernen.
Woran man sich aber zual­ler­erst erinnert, ist seine Großzügig­keit. Als Redakteur ließ er jedem seiner Autoren seine Stimme, und konnte gut damit leben, wenn Meinungen ausein­an­der­gingen – darüber hat er dann gern, beim Bier oder beim Whisky gestritten, aber er hätte nie zuge­lassen, dass man sich zerstritt. Wenn es etwas zu tadeln gab, dann kam dieser Tadel beiläufig, immer getragen vom Willen, das grund­sätz­liche Wohl­wollen spüren zu lassen. Zugleich strahlte er eine ungeheure Ruhe aus, eine Gelas­sen­heit, die manche mit Phlegma verwech­selten, die aber doch eher in der klugen Einsicht bestand, das nicht alles die Aufregung lohnt, und das man manchmal statt in Hektik zu verfallen, besser zusammen etwas trinken geht, oder einen guten Film anguckt.

Viel­leicht hat dies alles auch mit seiner Herkunft aus München zu tun, mit jener Libe­ra­litas und Heiter­keit, die man Süddeut­schen eben nicht ganz zu Unrecht nachsagt. In München wurde Althen am 14. Oktober 1962 geboren, und schon sehr früh, seit 1984, schrieb er, der Jour­na­lismus und Germa­nistik studierte, als Film­kri­tiker für die »Süddeut­sche Zeitung«. Er schrieb auch für »Die Zeit«, den »Spiegel« und andere, war Redakteur bei der legen­dären »Trans­at­lantik« und seit 1998 als Nach­folger Petter Buchkas der Film­re­dak­teur der »Süddeut­schen«. Seit 2001 war er dann von Berlin aus Film­re­dak­teur der »Frank­furter Allge­meinen Zeitung«.

Aber Althen war nicht nur Kritiker, er schrieb auch Bücher über Dean Martin, Robert Mitchum und Rock Hudson, und 2002 sein persön­lichstes: »Warte, bis es dunkel ist – Eine Liebes­er­klä­rung ans Kino«. Und er drehte Filme: Für den WDR über »Essen im Film«. Gemeinsam mit Dominik Graf drehte er 1998 »Das Wispern im Berg der Dinge – Der Schau­spieler Robert Graf« und 2000 »München – Geheim­nisse einer Stadt«. Gemeinsam mit Hans Helmut Prinzler entstand 2008 der Doku­men­tar­film »Auge in Auge – Eine deutsche Film­ge­schichte«. Er gewann zwei Grimme-Preise.

Wer so viele Filme sieht, der hat keine Lieb­lings­filme mehr, oder, was aufs Gleiche rauskommt, viel zu viele. Lieb­lings­re­gis­seure konnte Althen aber sehr wohl nennen: Einer von ihnen war Blake Edwards, ein anderer Michel­an­gelo Antonioni. Über beide hat er einige seiner schönsten Texte geschrieben – darunter auch die jewei­ligen Nachrufe.
Althens unver­wech­sel­baren Ton ahmten einige nach, erfolglos. Viele von uns haben ihn bewundert, und das einzige, was in diesem Augen­blick der Trauer ein wenig tröstet, ist das, was er 1998 im Nachruf auf seinen SZ-Vorgänger Peter Buchka beschrieb: »Das Glück, einen Menschen, wie ihn gekannt zu haben.«

Einmal, in einem Gespräch über die Frage eines dritten Kollegen, was denn die eigenen »theo­re­ti­schen Kriterien« für die Film­be­ur­tei­lung sein, antwor­tete er wie erstaunt darüber, dass man überhaupt so etwas Absurdes fragen könnte: »Ja, hingucken halt.« Wir haben von ihm gelernt, hinzu­gu­cken. Am 12. Mai 2011 ist Michael Althen in Berlin nach kurzer schwerer Krankheit gestorben.