Rolling Cinema |
||
Über Giesing in Untergiesing: Die Raumwandler in der Birkenau im Mai 2011 Foto: Massimo Fiorito |
Von Dunja Bialas
Filme und Kinos – was einmal früher eine notwenige Einheit bildete, löst sich seit Jahren sukzessive auf. Die Kinos verschwinden von der Karte der kulturellen Praxis. Die Konkurrenz des Wohnzimmers macht den Kinos seit der Einführung des VHS-Abspielgeräts zu schaffen, die Ablösung der immer perfekteren Abspielmedien bildet da nur ab, wie das Wohnzimmer versucht, technisch aufzurüsten, um den Kinos den Rang abzulaufen. Wenn sie dann schließen müssen, verwandeln sich die Kinos in Supermärkte, Fastfood-Tempel oder Szene-Clubs. Gleichzeitig verändert sich die Stadt, sie verliert mit den Orten der Kultur ihre Identität und auch den Tiefgang. Worüber werden die Menschen wohl nachdenken, wenn sie aus einem Supermarkt kommen? Mit wem wollen sie sich austauschen, wenn niemand mit ihnen im Wohnzimmer sitzt und den Film mitguckt?
Genau an dieser Stelle greifen seit 10 Jahren die Raumwandler ein. Ungefähr seit dem Peak der Multiplexe und dem Durchsetzen des High-End-»Heimkinos« ziehen sie mit ihren Filmprojektoren durch München und Umgebung. Die unabhängig agierende Gruppe von Film,- Musik- und Kunstschaffenden zeigt verschollene Filme, an die sich niemand erinnern kann, weil keiner sie je sehen konnte. Auch verstehen sie sich als Forum für junge Filmemacher und zeigen deren Debüt. Aber vor allem: sie zeigen die Filme an ausgewählten Orten, die etwas mit den Filmen zu tun haben, Orte, die Nischen in der Stadt bilden, besonders sind, oder die, kurz vor dem Abriss oder zwischengenutzt, gerade dabei sind zu verschwinden. Mit ihren Filmvorführungen wandeln sie Raum in Interims-Kinos und bürsten so die Stadtentwicklung gegen den Strich.
Streng genommen sind sogar zuerst die Räume da, und dann wird nach dem passenden Film gesucht, erzählt Thomas Kohler, Gründungsmitglied des Vereins. Ihre erste Aktion war eine Filmprojektion in einem Fotostudio, gezeigt wurde Blow Up von Antonioni. Dazu haben sie schwere 35mm-Projektoren in den dritten Stock geschleppt, Nachbauten des russischen TK35, die im Ostblock zur Grundausstattung eines Wanderkinos gehörten. Die Leinwand hatten sie damals aus dem soeben entkernten Türkendolch gerettet, »für zwei Sixpacks« habe er sie von den Bauerarbeitern bekommen, erinnert sich Frank Müller, »und es war die Leinwand, an die schon Fassbinder gepinkelt hatte!«
Eine Zeitlang wurden die Raumwandler sogar sesshaft. In Räumen der Blumenstraße betrieben sie drei Jahre lang das »Wohnzimmerkino« und zeigten wöchentlich zwei Filme. Heute sind sie wieder ausschließlich Kinonomaden. Einen 35mm-Projektor gibt es zwar immer noch, aber bei den mobilen Vorführungen werden vermehrt DVDs gezeigt, und oft kommt auch der 16mm-Projektor zum Einsatz. Bei vielen Filmen sei es einfach wichtig, das Klackern der Projektion im Ohr zu haben, so Raumwandlerin Nina Demuschewski. Die Atmosphäre sei überhaupt wesentlich, es gibt immer Einlassmusik und Kulnarik, die ganz wie der Raum möglichst zum Film passen sollen. Filme werden bei ihnen intensiver wahrgenommen, da die Räume, in denen sie gezeigt werden, wie eine Bühne für sie funktioniere, beschreibt Katharina Bierner das Raumwandler-Gefühl, und die Räume werden umgekehrt durch die Filme präsenter.
Viele der Vorführungen finden im Freien statt, als spontanes Parkplatzkino beim Open-Air-Festival PUCH, oder letztes Jahr in Untergiesing in der Birkenau. Hier, kurz vor Abriss der ehemaligen Kutscherhäuser, zeigten die Raumwandler Über Giesing, einen Film über das Viertel aus Schornsteinfeger-Perspektive, die in die verborgenen Ecken des Stadtteils blicken.
Weil immer mehr der besonderen Orte der Stadt gesichtlosen Wohnblocks weichen müssen, verschwinden zunehmend die Nischen der Stadt, in denen sie ihre Filmvorführungen machen können. »Raumwandler sucht Räume zum Wandeln«, so bringt Michael Pohorsky, nur halb witzelnd, die Stadtentwicklung aus Sicht der Raumwandler auf den Punkt. Wenn sie aber einen Ort entdecken, dann sind sie auch prompt mit einem Film da. Wie in der Autogarage im Glockenbachviertel oder im Stemmerhof, dem ehemaligen Bauernhof in Sendling. In ihrer nächsten Aktion werden sie ein Kino zum Objekt ihrer Aktion machen: Ein Kuhstall in Bayrischzell wurde, da sich die Milchwirtschaft nicht mehr lohnte, zu einem Kino umgebaut. Heute sind die Peterhof-Lichtspiele wieder geschlossen. Zeit für den Raumwandler, hier wieder einen Film zu zeigen und erlebbar zu machen, was es heißt, einen Film in diesem Kino zu sehen.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen im Münchner Feuilleton.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.