28.02.2013

Eine Feier der Vielfalt und der Macht der globalen Bewusst­seins­in­dus­trie

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
Bekam den Oscar für die Beste Regie:
Life of Pi

Spielberg verliert, Affleck triumphiert und Christoph Waltz gewinnt seinen zweiten Oscar

Von Rüdiger Suchsland

Es war viel­leicht keine Riesenüber­ra­schung, als Christoph Waltz dann wirklich seinen zweiten Oscar in Händen hielt, aber eine kleines Erstaunen gab es schon. Denn der Öster­rei­cher, in auch seriösen Medien darob den folgenden Tag zum »Deutsch-Öster­rei­cher« erklärt, war am Vorabend keines­wegs als Favorit in die Preis­ver­lei­hung der »85th Academy Awards« gegangen. Sogar Robert de Niro lag bei einigen der in den USA so beliebten Oscar-Prognosen am Ende vorn, in den meisten führte aller­dings Tommy Lee Jones für seinen Auftritt als Gegen­spieler von Abraham Lincoln in Steven Spiel­bergs Film über den US-Präsi­denten. Überhaupt Lincoln. Das Histo­ri­en­drama war der große Verlierer der Oscar­nacht, zusammen viel­leicht noch mit Kathryn Bigelows Zero Dark Thirty, der aller­dings bereits nach den Nomi­nie­rungen auf eine Enttäu­schung vorbe­reitet war. Dagegen war Spiel­bergs liberale Präsi­den­ten­ver­klä­rung, in der sich der Regisseur gewis­ser­maßen auf Augenhöhe mit Lincoln bewegt, und gleich noch dessen gegen­wär­tigem Nach­folger Obama ein paar Lektionen erteilt, gleich zwölf Mal nominiert. Am Ende gab es nur zweimal die goldene Statue: Für die Ausstat­tung und für Haupt­dar­steller Daniel Day-Lewis, ein Preis der gewis­ser­maßen auch die einjäh­rige Vorbe­rei­tungs­ar­beit und Mühe belohnte, und viel­leicht auch ein wenig Lewis' Geheim­nis­tuerei: Er ist einer der scheu­esten Film­dar­steller der Welt, gibt kaum Inter­views, geht nie auf Partys, sondern verbringt seine Freizeit am Liebsten mit Schustern und Holz­ha­cken – Spleen und skurille Züge ziehen in Amerika immer wieder.
In allen anderen Kate­go­rien verlor Lincoln, auch in der, in der am stärksten auf einen Sieg gewettert worden war: Der Preis für die Beste Regie. Er ging zur allge­meinen Über­ra­schung an Ang Lee, der für Life of Pi zum dritten Mal nominiert war und zum zweiten Mal – nach Brokeback Mountain 2006 – gewinnen konnte. Life of Pi musste zwar auch bei 11 Nomi­nie­rungen Federn lassen, gewann aber immerhin vier Trophäen, darunter mit Kamera und Musik wichtige Neben­ka­te­go­rien.

Was am auffäl­ligsten war an der Oscar­nacht 2013: Keinem Film gelang ein Durch­marsch, die Academy verteilte ihre Preise recht gut: Viermal an Ang Lees poeti­sches 3D-Stück, dreimal an das Revo­lu­ti­ons­mu­sical Les Miséra­bles und an Ben Afflecks Argo, und ansonsten noch an sieben weitere Werke – es ging diesmal wirklich um indi­vi­du­elle Leis­tungen, nicht um ästhe­ti­sche Grund­satz­ent­schei­dungen oder um Bran­chen­macht. So gewann Anne Hathaway, die bislang nur einmal nominiert gewesen war, am Sonntag ihren ersten Oscar, und so gehört nun auch Jennifer Lawrence, die 2011 mit Winter’s Bone noch leer ausge­gangen war, zu den Unsterb­li­chen des US-Kinos.

Ein weiterer Trend, der auf den ersten Blick über­rascht: Filme, die sich histo­ri­schen Stoffen widmeten oder auf ihre Art eine poli­ti­sche Agenda zu vertreten schienen, hatten Probleme: Lincoln und Zero Dark Thirty sind grund­ver­schieden. Beide Filme ähneln sich aber insofern, dass sie einen braven, sehr auf den Fakten beru­henden Zugang zu ihrem Gegen­stand haben. Bei Bigelow kam eine unfaire Folter­de­batte dazu, und dürfte Haupt­dar­stel­lerin Jessica Chastain die Chance auf einen Oscar genommen haben. Bei Lincoln fiel negativ ins Gewicht, dass er von der Befreiung der »Neger­sklaven« handeln will, aber nur gute weiße Männer zeigt, während die Schwarzen allen­falls am Rand und als brave »Uncle Toms« auftau­chen. Das machte Tarantino besser, ein Filme­ma­cher, der für die seriöse Academy eigent­lich zu wild, unbe­re­chenbar, politisch inkorrekt und absolut nicht staats­tra­gend ist, und daher bisher immer vergleichs­weise wenig Nomi­nie­rungen bekam. Aber diesmal für seinen enga­gierten Film immerhin einen Darstel­ler­preis und das Beste Drehbuch vor Lincoln oder Amour bekam. Die Academy mag eben keine Kino-Prediger, sondern lieber junge Wilde, die Idea­listen geblieben sind.

So auch Ben Affleck mit Argo, einer patrio­ti­schen, aber nicht glatten Story über eine CIA-Aktion im Iran, die überdies subtil die Macht des Kinos feiert: Schließ­lich tarnen sich die Agenten hier als Filmcrew.

Was für eine Oscar­nacht! Das Kino selbst ist wichtiger als Politik, war eine weitere Botschaft. Dazu kam die Botschaft, dass Geld nicht alles ist. Auch die Preis­trä­ger­filme verdienen Millionen. Aber sie sind kleine Fische im Verhältnis zu den Super­hel­den­filmen, zu Produk­tionen wie Der Hobbit und The Dark Knight Rises, wie sie noch vor ein paar Jahren die Oscars zu beherr­schen schienen.
So war die Verlei­hung neben den Preisen auch eine Demon­s­ta­tion Holly­woods: Wir können auch anders, war die Botschaft, wir haben Thesen­filme und Unter­hal­tung, wir haben 3D und altmo­di­sche Klassiker, wir nomi­nieren den vergleichs­weise spröden Haneke, zusammen mit einem Fanta­sy­stoff. Man kann es auch so verstehen: Mit Holly­woods Vielfalt ist auch seine Weltmacht, seine Bedeutung als globale Bewußt­s­eins­in­dus­trie, die noch unser Bild eines von einem Franzosen verfassten und einem Chinesen verfilmten indischen Märchen (Life of Pi) oder eines fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­ons­dramas (Les Miséra­bles) prägt, einst­weilen unge­bro­chen.