Eine Feier der Vielfalt und der Macht der globalen Bewusstseinsindustrie |
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Bekam den Oscar für die Beste Regie: Life of Pi |
Es war vielleicht keine Riesenüberraschung, als Christoph Waltz dann wirklich seinen zweiten Oscar in Händen hielt, aber eine kleines Erstaunen gab es schon. Denn der Österreicher, in auch seriösen Medien darob den folgenden Tag zum »Deutsch-Österreicher« erklärt, war am Vorabend keineswegs als Favorit in die Preisverleihung der »85th Academy Awards« gegangen. Sogar Robert de Niro lag bei einigen der in den USA so beliebten Oscar-Prognosen am Ende vorn, in den meisten führte
allerdings Tommy Lee Jones für seinen Auftritt als Gegenspieler von Abraham Lincoln in Steven Spielbergs Film über den US-Präsidenten. Überhaupt Lincoln. Das Historiendrama war der große Verlierer der Oscarnacht, zusammen vielleicht noch mit Kathryn Bigelows Zero Dark Thirty, der allerdings bereits
nach den Nominierungen auf eine Enttäuschung vorbereitet war. Dagegen war Spielbergs liberale Präsidentenverklärung, in der sich der Regisseur gewissermaßen auf Augenhöhe mit Lincoln bewegt, und gleich noch dessen gegenwärtigem Nachfolger Obama ein paar Lektionen erteilt, gleich zwölf Mal nominiert. Am Ende gab es nur zweimal die goldene Statue: Für die Ausstattung und für Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis, ein Preis der gewissermaßen auch die einjährige
Vorbereitungsarbeit und Mühe belohnte, und vielleicht auch ein wenig Lewis' Geheimnistuerei: Er ist einer der scheuesten Filmdarsteller der Welt, gibt kaum Interviews, geht nie auf Partys, sondern verbringt seine Freizeit am Liebsten mit Schustern und Holzhacken – Spleen und skurille Züge ziehen in Amerika immer wieder.
In allen anderen Kategorien verlor Lincoln, auch in der,
in der am stärksten auf einen Sieg gewettert worden war: Der Preis für die Beste Regie. Er ging zur allgemeinen Überraschung an Ang Lee, der für Life of Pi zum dritten Mal nominiert war und zum zweiten Mal – nach Brokeback Mountain 2006 – gewinnen konnte. Life of Pi musste zwar auch bei 11 Nominierungen Federn lassen, gewann aber immerhin vier Trophäen, darunter mit Kamera und Musik wichtige Nebenkategorien.
Was am auffälligsten war an der Oscarnacht 2013: Keinem Film gelang ein Durchmarsch, die Academy verteilte ihre Preise recht gut: Viermal an Ang Lees poetisches 3D-Stück, dreimal an das Revolutionsmusical Les Misérables und an Ben Afflecks Argo, und ansonsten noch an sieben weitere Werke – es ging diesmal wirklich um individuelle Leistungen, nicht um ästhetische Grundsatzentscheidungen oder um Branchenmacht. So gewann Anne Hathaway, die bislang nur einmal nominiert gewesen war, am Sonntag ihren ersten Oscar, und so gehört nun auch Jennifer Lawrence, die 2011 mit Winter’s Bone noch leer ausgegangen war, zu den Unsterblichen des US-Kinos.
Ein weiterer Trend, der auf den ersten Blick überrascht: Filme, die sich historischen Stoffen widmeten oder auf ihre Art eine politische Agenda zu vertreten schienen, hatten Probleme: Lincoln und Zero Dark Thirty sind grundverschieden. Beide Filme ähneln sich aber insofern, dass sie einen braven, sehr auf den Fakten beruhenden Zugang zu ihrem Gegenstand haben. Bei Bigelow kam eine unfaire Folterdebatte dazu, und dürfte Hauptdarstellerin Jessica Chastain die Chance auf einen Oscar genommen haben. Bei Lincoln fiel negativ ins Gewicht, dass er von der Befreiung der »Negersklaven« handeln will, aber nur gute weiße Männer zeigt, während die Schwarzen allenfalls am Rand und als brave »Uncle Toms« auftauchen. Das machte Tarantino besser, ein Filmemacher, der für die seriöse Academy eigentlich zu wild, unberechenbar, politisch inkorrekt und absolut nicht staatstragend ist, und daher bisher immer vergleichsweise wenig Nominierungen bekam. Aber diesmal für seinen engagierten Film immerhin einen Darstellerpreis und das Beste Drehbuch vor Lincoln oder Amour bekam. Die Academy mag eben keine Kino-Prediger, sondern lieber junge Wilde, die Idealisten geblieben sind.
So auch Ben Affleck mit Argo, einer patriotischen, aber nicht glatten Story über eine CIA-Aktion im Iran, die überdies subtil die Macht des Kinos feiert: Schließlich tarnen sich die Agenten hier als Filmcrew.
Was für eine Oscarnacht! Das Kino selbst ist wichtiger als Politik, war eine weitere Botschaft. Dazu kam die Botschaft, dass Geld nicht alles ist. Auch die Preisträgerfilme verdienen Millionen. Aber sie sind kleine Fische im Verhältnis zu den Superheldenfilmen, zu Produktionen wie Der Hobbit und The Dark Knight Rises, wie sie noch vor ein paar Jahren die Oscars zu beherrschen schienen.
So war die Verleihung neben den Preisen auch eine Demonstation Hollywoods: Wir können auch anders, war die Botschaft, wir haben Thesenfilme und Unterhaltung, wir haben 3D und altmodische Klassiker, wir nominieren den vergleichsweise spröden Haneke, zusammen mit einem Fantasystoff. Man kann es auch so verstehen: Mit Hollywoods Vielfalt ist auch seine Weltmacht, seine Bedeutung
als globale Bewußtseinsindustrie, die noch unser Bild eines von einem Franzosen verfassten und einem Chinesen verfilmten indischen Märchen (Life of Pi) oder eines französischen Revolutionsdramas (Les Misérables) prägt, einstweilen ungebrochen.