Angst über der Stadt |
||
Belmondo, du Held! Angst über der Stadt von Henri Verneuil ist der Klassiker für die vergnügliche Verfolgungsjagd in Paris |
Von Dunja Bialas
Polar: dies ist die Bezeichnung für den französischen Kriminalroman. In ihnen begeben sich melancholische Detektive im Dschungel der Großstadt auf Verbrecherjagd und riskieren draufgängerische Polizeikommissare gerne mal eine dicke Lippe.
Polar: das ist auch die umfassende Bezeichnung für die französischen Polizei- und Gangsterfilme und die französische Ausprägung des Film noir, mit seiner immer melancholischen Note und seiner traurigen Weltsicht. Die Helden des »Polar« sind gescheiterte Privatdetektive wie in Polar von Jacques Bral von 1984 oder an der Dienstsuspendierung vorbeischrammende, muskelbewehrte Großmäuler; ihre Bühne ist die Stadt. In unglaublichen Verfolgungsjagden hecheln sie Verbrechern hinterher, fahren im Stau des Pariser Berufsverkehrs mit ihren kläglichen Karossen durch die Autokolonnen Slalom oder schwingen sich in Wildwest-Manier auf das Dach einer über die Gleise rasenden Metro, wie Superheld Jean-Paul Belmondo in Angst über der Stadt von Henri Verneuil.
Die Helden des Polar sind trotz all der Angeberei, die sie bisweilen befällt wie ein grobmotorischer Tick, in Wirklichkeit etwas mickrige, aber sympathische Antihelden, die sich mit anderen gescheiterten Existenzen wie alkoholkranke Journalisten oder halbseidene Damen umgeben, oder die in ihrem kompromisslosen Draufgängertum den Verbrechern immer ähnlicher werden, die sie bekämpfen. Oft sind es Serienmörder, die sie jagen wie diese selbst ihre Opfer, Mörder, die gewissenlos und radikal für eine moralisch saubere Welt töten. Ihre Jäger sind oft einzelgängerische Kommissare, die von privaten Rachegelüsten getrieben werden wie der Cop Carella in Neun im Fadenkreuz, oder die einfach noch eine Rechnung mit ihren Gegnern offen haben und nun alles dran setzten, sie nicht nur zu stellen, nein, sie zu richten wie in Angst über der Stadt. Belmondo alias Kommissar Le Tellier lässt kurzerhand von der Verfolgung des Frauenmörders Minos ab, um Spur aufzunehmen zu dem Gangster Marcucci, der einen blutigen Raubüberfall verübt hatte und entkommen konnte, wodurch letztlich Le Telliers Ruf als begnadeter Bulle auf dem Spiel steht. Diese Rachegelüste, die ohne Umschweife ausgtragen werden, zeigen, wie sehr die Polar-Filme auch offen sind, andere Genre-Elemente wie den Western in sich aufzusaugen, meist gefeiert in spektakulären Showdowns, in denen der Verbrecher zur Strecke gebracht wird, wie Marcucci, der in der Metro schließlich niedergeschossen wird.
Wenn die Polizisten oder Detektive eine Vorgeschichte haben, dann haben sie sich oft selbst etwas zu Schulden kommen lassen. Privatdetektiv Eugène Tarpon hat »aus Versehen«, im Zuge einer 68er-Demo in Paris einen Polizisten getötet, wie es überaus beiläufig in Polar erwähnt wird. Politik ist oft ein Horizont, vor dem die Helden agieren: In Neun im Fadenkreuz von 1971 kommunizieren die höheren Beamten und »People« der mondänen Gesellschaft von Nizza über ihre Verbundenheit seit dem Algerienkrieg, während die draußen geparkten Autos mit pazifistischen 68er-Graffiti besprüht werden. Die Gesellschaft, wie sie bestanden hat, und die Gesellschaft, die jetzt politisch-moralisch zerfällt, das sind die äußeren Momente, in die die Handlung eingespannt ist, und die sie in Gang bringen. Die Frau ist hier Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Sie ist meist die selbstbewusste, sexualisierte Frau, die Liebhaber hat und durch ihre gesteigerte sexuelle Aktivität das Sex-Schema aushebelt. Sie ist die berühmte Femme fatale, die Männer ins Verderben zu stürzen vermag. Umgeben sind die starken Frauen von den »leichten« Mädchen, die in den »Polar«-Filmen serienweise ermordet werden. Ihre Mörder wollen die Gesellschaft beruhigen, sie wieder moralisch ins Lot bringen, und dabei verbreiten sie nur »Angst über der Stadt«.
So stehen dann die ebenso kompromisslosen Kommissare und die verschlafen-verschlurften Detektive für die Modernität der Gesellschaft ein, für ihre Grunderneuerung fern der konservativen, trägen, oft auch korrupten Muster, die dem Individuum keine Freiheit zugestehen. Diese moralisch Angstbesessenen gilt es aus dem Weg zu räumen, und das zeigen die »Polar«-Filme in höchst kunstvoller Weise, mit den verwegenen Fressen von Jean-Paul Belmondo, Jean-Louis Trintignant, Lino Ventura oder Yves Montand, und zur jazzigen Musik von Karl-Heinz Schäfer, Ennio Morricone und Philippe Sarde.
POLAR – Série noire pour une nuit blanche. Die Reihe mit Filmen aus den 70er und frühen 80er Jahren läuft noch täglich bis Mi., 24. April, im Werkstattkino München, immer um 22:30 Uhr.