Der Kino-Anthropologe |
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Mund auf, Augen zu: Filmen und Kochen, das sind zwei Dinge, die bei Kubelka unbedingt zusammengehören |
Von Dunja Bialas
»2012 ist das dunkelste Jahr in der Geschichte des Kinos. Die feindliche Übernahme durch das Digitale ist vollzogen, es ist das Ende des Films.« – Peter Kubelka
Der Wiener Avantgardist und Filmtheoretiker Peter Kubelka hat nur wenige Filme gemacht. Acht Stück sind es insgesamt, die zwei kürzesten dauern nur knapp eine Minute. Letztes Jahr auf der Viennale stellte er dann sein letztes Werk vor, Film Monument, das sein Schaffen auf den Punkt bringt und zugleich überbietet. Weit mehr als nur ein Film, ist es eine Skulptur in Raum und Zeit: Zunächst werden hintereinander seine Filme Arnulf Rainer (1958-60) und Antiphon (2012) projiziert. Beide Filme sind sogenannte metrische Filme und bestehen aus einer genau nach einer Partitur festgelegten Folge von schwarzen oder weißen Kadern, wobei Antiphon die exakte metrische Umkehrung von Arnulf Rainer ist: wo ein schwarzer Kader war, ist jetzt ein weißer, wo Sound war, ist jetzt Stille. Dann werden in exaktem Timing beide Filme gleichzeitig nebeneinander projiziert. Schließlich, als Summe und Krönung des Monuments, werden sie übereinander projiziert. Fast löschen sich nun die Filme gegeneinander aus, ein wackeliges weißes Bild und White Noise lassen die Leinwand erbeben.
Was wie ein einfaches Zahlenspiel klingt, ist in Wahrheit eine verblüffende Visualisierung der Theorie, die Kubelkas metrischen Filmen zugrunde liegt. Anders als andere Avantgarde-Filmemacher hat Kubelka von Beginn an den Avantgarde-Film nicht als Fortsetzung der Malerei mit anderen Mitteln betrachtet (in welchem beispielsweise das Filmmaterial mit Kratzern oder Farbauftrag bearbeitet wurde), sondern hat vielmehr das filmische Medium selbst zum Gegenstand seiner Film-Avantgarde gemacht. So ist der Kader (das Einzelbild) die kleinste Einheit eines Films. Wenn man sie in einer bestimmten Folge anordnet, erhält man Lichtreflexe (Flicker Film) oder Repetitionen nach dem Deleuzeschen Muster von »Wiederholung und Differenz«: minimale Verschiebungen des wiederholten Filmabschnitts um wenige Kader bringen den Film immer weiter nach vorne. Die metrischen Filme Kubelkas sind die filmischsten Filme, die man sich denken kann, eine radikale Formulierung der Film-Koordinaten Raum und Zeit.
Kubelkas Interesse aber gilt noch anderen Zusammenhängen. Hier zeigt er sich als Film-Anthropologe, als einer, für den Film wesentlich mit der Kulturgeschichte des Menschen verknüpft ist. Was ein Löffel mit der filmischen Montage zu tun hat, was wohl der Steinzeitmensch über »Film« gedacht hat, und die Vergleichbarkeit des Verdauungstraktes mit einem Filmstreifen – diese und andere elementare Fragen sind ebenfalls Gegenstand seiner theoretischen Überlegungen. Verblüffend einfach und doch genial sind dabei seine Folgerungen (etwa das Kochen in Zusammenhang mit der filmischen Montage), die er in seinen legendär gewordenen Lectures zum besten gibt. Über Filmmetrik und –mechanik dringt Kubelka in das Wesen der Kinematographie vor und zeigt auf, warum der Siegeszug des Digitalen das Ende einer ganzen kulturellen Entwicklung bedeutet.
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Film-Lecture von und mit Peter Kubelka, UNDERDOX Halbzeit, 19:00 Uhr, Filmmuseum München.
Kartenreservierung unter Tel: 089 / 23 39 64 50
Mit Vorführung seiner Filme Mosaik im Vertrauen (1955), Adebar (1957), Schwechater (1958), Arnulf Rainer (1960) (alle 35mm), Unsere Afrikareise (1966), Pause! (1977) (beide 16mm),
Dichtung und Wahrheit (2003) (35mm).
Außerdem zur UNDERDOX Halbzeit:
UNDERDOX-Filmpremiere, Fr., 17. 05., 20:30 Uhr, Werkstattkino
Leviathan, USA/GB/F 2012, 87 Min., OF
Ein Fischkutter frisst sich wie ein mechanisches Seeungeheuer durch den Ozean, verschlingt Fisch und anderes Meeresgetier und spuckt es wieder aus. Dutzende von Mikrokameras dokumentieren aus gnadenloser Nähe die brutalen Geschehnisse auf dem Fischkutter – ein raues Stück Natur, überwältigend
und bilderstark.
Von den Harvard-Anthropologen und Videokünstlern Lucien Castaing-Taylor und Véréna Paravel.
UNDERDOX-Salon, Sa., 18.05., 20:30 Uhr, Werkstattkino
Anna McCarthy – How to Start a Revolution: Bored Rebel
Sie sind gelangweilt, apathisch, dekadent und quasi-provokant: Die Vorstadt-Rebellen aus Oberpfaffenhofen, Moosach und dem Westend haben nichts mehr zu tun. In ihren Zimmern legen sie Schallplatten vergangener glorreicher Zeiten auf und umgeben sich mit ikonographischen Gegenständen der Rebellion.
Filme und Live Narration von Anna McCarthy, dazu Live-Musik von
Tagar
In Anwesenheit von Anna McCarthy
Mehr Informationen unter www.underdox-festival.de.