28.11.2013

Schat­ten­spiele in der Unterwelt

What Makes Me Take the Train
Ausgezeichnet für den Besten Film: What Makes Me Take the Train des Franzosen Pierre Mazingarbe

Das 33. Internationale Festival der Filmhochschulen zeigt starke Nachwuchsfilme

Von Anna Steinbauer

Orpheus ist eine Frau. Die Kino­lein­wand wird zum Dektop eines 17-jährigen Teenagers. Und Harald Kramer muss seine eigene Beer­di­gung miter­leben. Das 33. Inter­na­tio­nale Filmfest der Film­hoch­schulen ist vorbei und hinter­lässt erfri­schende Plots, eindrück­liche Bilder und mutige Perspek­tiven. Vom 18.-23. November präsen­tierten junge Filme­ma­che­rinnen und Filme­ma­cher aus aller Welt ihre neuesten Werke. Unter dem Motto »The time is now« gab es insgesamt 46 Filme von 32 Film­hoch­schulen aus 18 Ländern zu sehen. Das Festival hat für den Präsi­denten der dies­jäh­rigen Jury, Regisseur Suri Krish­namma (Dark Tourist, 2012), eine besondere Bedeutung: Vor 27 Jahren wurde in diesem Rahmen sein Diplom­film gezeigt. »It was the gateway to the world I´m living in«, betont Krish­namma die Funktion des Filmfests als Plattform für den filmi­schen Nachwuchs. Auch Caroline Link, Thomas Vinter­berg und Lars von Trier präsen­tierten hier ihre ersten Filme.

Beim Publikum sind die Vorstel­lungen im Film­mu­seum am Jakobs­platz sehr beliebt und meist schon am Tag zuvor ausver­kauft. Die Atmo­s­phäre ist jung und locker, die jungen Regis­seu­rinnen und Regis­seure reisen fast alle extra an, um ihren Film zu präsen­tieren und sich nach der Vorfüh­rung den Fragen des Publikums zu stellen. Da kann es schon mal passieren, dass der grie­chi­sche Regisseur im Sessel nebenan vor lauter Anspan­nung die Augen schließt und tief durch­atmen muss, die ukrai­ni­sche Doku­men­tar­fil­merin eine Drehpanne nach der anderen auspackt und der Regisseur des Gewin­n­er­films so schnell spricht, dass man ihm auf jeden Fall glaubt, dass sein Film in nur vier Tagen komplett abgedreht war.

Er heißt Pierre Mazing­arbe, kommt aus Paris und gibt in seinem Lebens­lauf an, 2088 neben Jim Morrisson auf dem Pere Lachaise Friedhof bestattet zu werden. Die Beschäf­ti­gung mit dem Jenseits scheint ihm nicht fremd zu sein: Sein Film What Makes Me Take The Train ist eine eigen­wil­lige Inter­pre­ta­tion des Unter­welts­my­thos um Orpheus und Eurydike. Der weibliche Orpheus begibt sich auf eine magische Reise um seine beiden Geliebten – eine dunkel­haa­rige Schönheit und einen schnurr­bär­tigen Gentleman – zurück­zu­holen. Die wunder­schön foto­gra­fierten Schwarz­weiß-Bilder und Stop-Motion-Anima­tionen erinnern an Chaplin-Filme und der Stuhl als Vehikel ins Toten­reich ist eine Hommage an Regisseur Michel Gondry, wie Marzing­arbe erzählt.

Drei Preise für das beste Drehbuch, die beste Produk­tion und den Prix Inter­cul­turel räumte die schwarze Komödie Das Begräbnis des Harald Kramer ab. Regisseur Marc Schlegel, der in Wien lebt und arbeitet, lässt in der Erzählung des prolligen Patho­logen Knacksi den schein­toten Harald Kramer aus seinem eigenen Sarg steigen, um dem Tod einen Strich durch die Rechnung zu machen. Mit Sarkasmus, Ironie und einer ausge­feilten Erzähl­per­spek­tive wendet sich Schlegel einem tabui­sierten Thema auf eine sympha­ti­sche Weise zu.

Von Trost­lo­sig­keit und Resi­gna­tion im Post-Sozia­lismus handelten gleich zwei Doku­men­tar­filme: In Rogalik wagt Pawel Ziemilski einen Blick in die Wohnräume polni­scher Familien im Nordosten des Landes. Unauf­hör­lich laufende Fernseher, unter­be­schäf­tigte Jugend­liche und die provin­zi­elle Abge­schie­den­heit verdeut­li­chen den Preis, den diese Dörfer noch heute für die Syste­män­de­rung zahlen. Ein klap­pernder Linienbus an der EU-Grenze zur Ukraine wird in Balazher. the Correc­tion of Reality zur Metapher für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Bis zu fünf System­wechsel mussten die Bewohner Balazhers mitmachen, erzählt Regis­seurin Lesia Kordonets über das Leben in ihrem ukrai­ni­schen Heimat­dorf, das die Kulisse zu ihrem Film liefert. Doch Kälte und Tristesse bleiben, sie werden lediglich durch archi­tek­to­ni­sche Ideal­zeich­nungen und Traum­skizzen beschö­nigt. Diese unge­wöhn­liche Bild­sprache beschert der gebür­tigen Ukrai­nerin den Preis für den besten Doku­men­tar­film.

Ein beson­deres Highlight des Festivals war der Film EXIL des Regis­seurs Vladilen Vierny. In eindrucks­vollen Bildern erzählt der in Belgien aufge­wach­sene Russe die Geschichte eines afri­ka­ni­schen Migranten, der aus dem Meer an die fran­zö­si­sche Atlan­tik­küste gespuckt wird. Ohne sich vers­tänd­lich machen zu können, irrt der junge Mann zwischen Strand­tou­risten auf der Suche nach Wasser umher, durstig und ohne jedes Ziel. Der Schau­spieler, selbst ein Migran­ten­kind aus Kamerun, summt anfangs ein Wiegen­lied. Es sind die einzigen Zeilen, die er noch in der Sprache seiner Eltern kann, der Text heißt übersetzt: „Eines Tages wirst du weggehen und viel Geld haben“. Mit dieser Anekdote legt Vierny seine Arbeits­weise offen: Er lässt den Erfah­rungs­ho­ri­zont seines Schau­spie­lers und der Figur in seinen Film verschmelzen. Eine nächt­liche Verfol­gungsjad des jungen Afrikaner durch einen Jeep verbild­li­chen das Gefühl von Isolation und Ausge­lie­fert­sein des Exilanten zusätz­lich. In der Fremde wird er zur Ziel­scheibe eines will­kür­li­chen Angriffes ohne Vertei­di­gungs­mög­lich­keit. Russische Youtube-Videos von Auto­un­fällen, die von einer vorne am Auto instal­lierten Kamera aufge­nommen wurden, inspi­rierten den Regisseur zu dieser unge­wöhn­lich gefilmten Hetzjagd.

Neben auffällig vielen Filmen über verliebte Teenager stach NOAH – ein 17-minütiger Film der beiden Kanadier Patrick Cederberg und Walter Woodman – heraus. Während sich in Sadness Dark Breast zwei Teenager zu einem Date im Wald treffen, in Don’t Hit The Ground eine Teenie-Schwär­merei unglück­lich endet und in Ausschwitz On My Mind eine israe­li­sche Schul­klasse auf der Reise zu europäi­schen Gedenk­s­tätten ausschließ­lich pubertäre Sexfan­ta­sien im Kopf hat, zeigt Noah, wie Liebe in der Gene­ra­tion der „digital natives“ funk­tio­niert. Die Kino­lein­wand wird zum Desktop des 17-jährigen Noah, der mit seiner Freundin über Facebook und Skype kommun­ziert, während er gleich­zeitig auf der Youporn-Seite surft, Musik hört und ein Video­spiel zockt. Der Zuschauer wird zum Voyeur der virtu­ellen Welt des Teenagers und Zeuge, wie Noah den Facebook-Account seiner Freundin„amybabe93“ hackt, weil viele ihrer Bilder von einem ihm unbe­kannten Jungen „geliked“ wurden.