Schattenspiele in der Unterwelt |
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Ausgezeichnet für den Besten Film: What Makes Me Take the Train des Franzosen Pierre Mazingarbe |
Von Anna Steinbauer
Orpheus ist eine Frau. Die Kinoleinwand wird zum Dektop eines 17-jährigen Teenagers. Und Harald Kramer muss seine eigene Beerdigung miterleben. Das 33. Internationale Filmfest der Filmhochschulen ist vorbei und hinterlässt erfrischende Plots, eindrückliche Bilder und mutige Perspektiven. Vom 18.-23. November präsentierten junge Filmemacherinnen und Filmemacher aus aller Welt ihre neuesten Werke. Unter dem Motto »The time is now« gab es insgesamt 46 Filme von 32 Filmhochschulen aus 18 Ländern zu sehen. Das Festival hat für den Präsidenten der diesjährigen Jury, Regisseur Suri Krishnamma (Dark Tourist, 2012), eine besondere Bedeutung: Vor 27 Jahren wurde in diesem Rahmen sein Diplomfilm gezeigt. »It was the gateway to the world I´m living in«, betont Krishnamma die Funktion des Filmfests als Plattform für den filmischen Nachwuchs. Auch Caroline Link, Thomas Vinterberg und Lars von Trier präsentierten hier ihre ersten Filme.
Beim Publikum sind die Vorstellungen im Filmmuseum am Jakobsplatz sehr beliebt und meist schon am Tag zuvor ausverkauft. Die Atmosphäre ist jung und locker, die jungen Regisseurinnen und Regisseure reisen fast alle extra an, um ihren Film zu präsentieren und sich nach der Vorführung den Fragen des Publikums zu stellen. Da kann es schon mal passieren, dass der griechische Regisseur im Sessel nebenan vor lauter Anspannung die Augen schließt und tief durchatmen muss, die ukrainische Dokumentarfilmerin eine Drehpanne nach der anderen auspackt und der Regisseur des Gewinnerfilms so schnell spricht, dass man ihm auf jeden Fall glaubt, dass sein Film in nur vier Tagen komplett abgedreht war.
Er heißt Pierre Mazingarbe, kommt aus Paris und gibt in seinem Lebenslauf an, 2088 neben Jim Morrisson auf dem Pere Lachaise Friedhof bestattet zu werden. Die Beschäftigung mit dem Jenseits scheint ihm nicht fremd zu sein: Sein Film What Makes Me Take The Train ist eine eigenwillige Interpretation des Unterweltsmythos um Orpheus und Eurydike. Der weibliche Orpheus begibt sich auf eine magische Reise um seine beiden Geliebten – eine dunkelhaarige Schönheit und einen schnurrbärtigen Gentleman – zurückzuholen. Die wunderschön fotografierten Schwarzweiß-Bilder und Stop-Motion-Animationen erinnern an Chaplin-Filme und der Stuhl als Vehikel ins Totenreich ist eine Hommage an Regisseur Michel Gondry, wie Marzingarbe erzählt.
Drei Preise für das beste Drehbuch, die beste Produktion und den Prix Interculturel räumte die schwarze Komödie Das Begräbnis des Harald Kramer ab. Regisseur Marc Schlegel, der in Wien lebt und arbeitet, lässt in der Erzählung des prolligen Pathologen Knacksi den scheintoten Harald Kramer aus seinem eigenen Sarg steigen, um dem Tod einen Strich durch die Rechnung zu machen. Mit Sarkasmus, Ironie und einer ausgefeilten Erzählperspektive wendet sich Schlegel einem tabuisierten Thema auf eine symphatische Weise zu.
Von Trostlosigkeit und Resignation im Post-Sozialismus handelten gleich zwei Dokumentarfilme: In Rogalik wagt Pawel Ziemilski einen Blick in die Wohnräume polnischer Familien im Nordosten des Landes. Unaufhörlich laufende Fernseher, unterbeschäftigte Jugendliche und die provinzielle Abgeschiedenheit verdeutlichen den Preis, den diese Dörfer noch heute für die Systemänderung zahlen. Ein klappernder Linienbus an der EU-Grenze zur Ukraine wird in Balazher. the Correction of Reality zur Metapher für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Bis zu fünf Systemwechsel mussten die Bewohner Balazhers mitmachen, erzählt Regisseurin Lesia Kordonets über das Leben in ihrem ukrainischen Heimatdorf, das die Kulisse zu ihrem Film liefert. Doch Kälte und Tristesse bleiben, sie werden lediglich durch architektonische Idealzeichnungen und Traumskizzen beschönigt. Diese ungewöhnliche Bildsprache beschert der gebürtigen Ukrainerin den Preis für den besten Dokumentarfilm.
Ein besonderes Highlight des Festivals war der Film EXIL des Regisseurs Vladilen Vierny. In eindrucksvollen Bildern erzählt der in Belgien aufgewachsene Russe die Geschichte eines afrikanischen Migranten, der aus dem Meer an die französische Atlantikküste gespuckt wird. Ohne sich verständlich machen zu können, irrt der junge Mann zwischen Strandtouristen auf der Suche nach Wasser umher, durstig und ohne jedes Ziel. Der Schauspieler, selbst ein Migrantenkind aus Kamerun, summt anfangs ein Wiegenlied. Es sind die einzigen Zeilen, die er noch in der Sprache seiner Eltern kann, der Text heißt übersetzt: „Eines Tages wirst du weggehen und viel Geld haben“. Mit dieser Anekdote legt Vierny seine Arbeitsweise offen: Er lässt den Erfahrungshorizont seines Schauspielers und der Figur in seinen Film verschmelzen. Eine nächtliche Verfolgungsjad des jungen Afrikaner durch einen Jeep verbildlichen das Gefühl von Isolation und Ausgeliefertsein des Exilanten zusätzlich. In der Fremde wird er zur Zielscheibe eines willkürlichen Angriffes ohne Verteidigungsmöglichkeit. Russische Youtube-Videos von Autounfällen, die von einer vorne am Auto installierten Kamera aufgenommen wurden, inspirierten den Regisseur zu dieser ungewöhnlich gefilmten Hetzjagd.
Neben auffällig vielen Filmen über verliebte Teenager stach NOAH – ein 17-minütiger Film der beiden Kanadier Patrick Cederberg und Walter Woodman – heraus. Während sich in Sadness Dark Breast zwei Teenager zu einem Date im Wald treffen, in Don’t Hit The Ground eine Teenie-Schwärmerei unglücklich endet und in Ausschwitz On My Mind eine israelische Schulklasse auf der Reise zu europäischen Gedenkstätten ausschließlich pubertäre Sexfantasien im Kopf hat, zeigt Noah, wie Liebe in der Generation der „digital natives“ funktioniert. Die Kinoleinwand wird zum Desktop des 17-jährigen Noah, der mit seiner Freundin über Facebook und Skype kommunziert, während er gleichzeitig auf der Youporn-Seite surft, Musik hört und ein Videospiel zockt. Der Zuschauer wird zum Voyeur der virtuellen Welt des Teenagers und Zeuge, wie Noah den Facebook-Account seiner Freundin„amybabe93“ hackt, weil viele ihrer Bilder von einem ihm unbekannten Jungen „geliked“ wurden.