Ein anderes Kino ist möglich |
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Mit Zeigestock bewaffneter Charismatiker: Fidel Castro in Chris Markers La Bataille de 10 millions |
Von Dunja Bialas
Vor zehn Tagen wurde in Oberhausen ein manifestartiges »Flugblatt für aktivistische Filmkritik« in die Welt gebracht. Die fünf Vorstandsmitglieder des Verbands der deutschen Filmkritik, darunter die Verfasserin dieses Artikels, bemängelten darin u.a. den Zustand der deutschen Kinolandschaft: »Filmverleiher und Kinobetreiber haben in den letzten Jahrzehnten das Programmkino aufgegeben und es durch Arthouse ersetzt. Ein alternatives Programm zum Mainstream gibt es fast nirgends mehr.«
Diese wenigen Zeilen brachten den fünf Filmkritikern ihrerseits Kritik ein – von Betreibern kommunaler Kinos, die sich durch die Sätze in ihrem Engagement für ein anderes Kino ignoriert fühlten.
Ein anderes Kino, darunter auch das der kommunalen Initiativen, ist möglich und findet statt – genau das auch ist die Kernaussage des aktivistischen Flugblatts. Ein anderes Kino ist dabei jedoch nicht ohne Subvention und persönlicher Initiative realisierbar – dies festzustellen folgt einer langen Tradition, die bereits in den 70er Jahren ihren Anfang nahm, in der Zeit, in der das Programmkino sukzessive vom Mainstream abgelöst wurde, und in der sich die große Bewegung der kommunalen Kinos formierte.
Aus den Graswurzelbewegungen örtlicher Cineclubs hat sich so, auch unter dem Dazutun von Hilmar Hoffmann, dem damaligen Kulturreferenten Frankfurts, der eine »Kultur für alle« forderte (also für breite Schichten der Bevölkerung, die er in den örtlichen Volkshochschulen sah), eine vielfältige Kultur alternativer Kinos entwickelt, die man heute unter Bestandschutz stellen sollte. Auch damals schon ließ man sich vom Gedanken leiten, dass auch das Kino ein Träger von Kulturgut sei, wie die subventionierten Theaterhäuser, und nicht unter die Zwänge der kommerziellen Filmauswertung geraten sollte.
Allzugerne wird sich auf den Errungenschaften der Vergangenheit ausgeruht. Einmal installiert, geraten auch die kommunalen Kinos, um ihre Existenz durch Besucherzahlen zu rechtfertigen, in den gefährlichen Sog des allgegenwärtigen Mainstreams, unter den sich auch das Arthouse-Kino subsumiert, das Kino für den guten Geschmack, wenn auch fern der Blockbuster-Produktionen.
Das Filmkollektiv Frankfurt, das erst letztes Jahr von den drei befreundeten Filmautoren und –wissenschaftlern Louise Burkart, Felix Fischl und Gary Vanisian gegründet wurde, versucht mit dezidierter Programmatik gegen diese Entwicklung anzugehen. Sie verstehen sich als »Projektionsraum für unterrepräsentierte Filmkultur«, der in wechselnden Häusern die Utopie eines anderen Kinoprogramms umzusetzen sucht. Manifestartig haben sie drei Grundsätze formuliert, die ihnen Handlungsanweisung sind: »1. Wir wollen (…) gewagte, unabhängig kuratierte Filmprogramme, die aus inhaltlichen und/oder pragmatischen Gründen unterrepräsentiert sind. – 2. Wir wollen einen Raum für Diskussion schaffen (…) – 3. Wir werden unsere Filmprogramme im Originalformat und der originalen Sprachfassung zeigen.«
Neben der Aufführung des monumentalen Experimentalfilms You killed the Underground Film von Wilhelm Hein, der dieses Jahr den Ehrenpreis der deutschen Filmkritik verliehen bekam, oder die umfassende Retrospektive zum Werk des slowenischen Regisseurs Karpo Godina, verwandeln sie auch nichttheatrale Räume zum Kino, wie es im Rockmarket, einem offenen Raum für Veranstaltungen in Frankfurt, unter dem Vorzeichen des historischen Horrorfilms geschah (gezeigt wurde White Zombie von 1932).
Zur Utopie eines anderen Kinos gehört auch die Hinwendung zum Politischen. In diesen Tagen des frühen Mai, der frühlingshaft nicht nur in Oberhausen von einem erstarkten Willen zur Einmischung kündet, zeigte das Filmkollektiv im Filmforum Höchst das politische Kino Chris Markers in fünf Filmen, die sich mit dem südamerikanischen Kontinent, Diktatur, Revolution und Anti-Kolonialismus beschäftigen.
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»Es ist schwierig zu bestimmen, was einen Revolutionär ausmacht« – Fidel Castro
Zwei der gezeigten Filme seien hier exemplarisch für das besprochen, was die Filmarbeit des Kollektivs bedeutet.
Der noch zu Lebzeiten Markers von ihm selbst geschmähte und immer noch mit einem Aufführungsbann belegte Cuba sí (1961), eine affirmative Feier des Aufbruchs der kubanischen Revolution unter Fidel Castro, bildete den Auftakt. Marker versammelt hier dokumentarisches Material aus verschiedenen Quellen (auch Bildmaterial des
kubanischen »Dokumentaristen« Santiago Álvarez ist darunter) und montiert es zu einem assoziativen Bilderreigen, in dem sich aber weniger Marker als Propagandist der kubanischen Revolution manifestiert, wie ihm seinerzeit mit dem Verbot des Films durch das gaullistische Innenministerium suggeriert wurde, sondern, aus heutiger Zeit betrachtet, sich bereits der große Essayist ankündigt. So unterteilt Marker schemenhaft seinen Film in zwei Kapitel, »Le Château« und »Le
Jardin«, in denen er die Armut beklagt und eine Art paradiesische Utopie durch Kommentar und Bilder formuliert. Fidel Castro, der sich wie Jahre später im Interviewfilm Comandante von Oliver Stone von 2003 für die Kamera produzieren darf, erscheint noch ungeübt, mit selbstinszenierter oder angedichteter Schüchternheit.
Fast zehn Jahre nach der euphorischen Feier des kubanischen Wegs will Marker seinen eigenen Film revidieren. La Bataille de 10 millions von 1970, in der es im Kern um das Anpeilen ökonomischer Unabhängigkeit durch eine Rekordernte von 10 Millionen Tonnen kubanischen Zuckers ging, zeigt als kommunistisch-roten Faden Castros selbstkritische Marathonrede, in der er das Scheitern des ausgerufenen Ziels eingesteht. Markers Film ist hier um Analyse und einen objektiven Kommentar bemüht, und verliert darüber in weiten Teilen seine verführerische Poesie, die ihn noch in Cuba sí zum Nachdenken über Armut, Tod und Erlösung aufschwingen ließ. Dennoch, auch hier seziert er in der Montage das Bildmaterial. Wir erkennen die Körper-Rhetorik Castros, wie er sich gekonnt vor dem Rednerpult in Szene setzt und die vor ihm aufgebauten Mikrophone tätschelt, als seien sie die Kinder der Revolution. Ein Charismatiker, der hier spricht, und der mit Zeigestock und Zigarre seiner Politik Gehör verschaffen will.
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Vergleiche schaffen, über die Aussagen von Bildern nachdenken, dem Wert des Propagandistischen, damals und heute in der Retrospektive, nachgehen – der Wunsch nach Debatte, den das Filmkollektiv als zweiten Grundsatz seiner filmischen Arbeit formuliert, löste sich gleichsam natürlich durch die Filmzusammenstellung ein. Werk-Apokryphen zugänglich machen, sie als – in gutem Zustand erhaltene – 16mm-Kopien zu zeigen und damit auch Filmgeschichte in ihrer Materialität erfahrbar zu machen, alles das sind wichtige Bestandteile, um Diskurse anzuregen. Diese erst, so kann es wiederum im Flugblatt für aktivistische Filmkritik nachgelesen werden, schaffen Kultur und Wissen, und – auch wenn es pathetisch klingt – ermöglichen den mündigen Kulturmenschen. Das Filmkollektiv Frankfurt ist ein Beispiel dafür, dass jenseits von etablierten Institutionen eine andere Filmarbeit machbar und auch notwendig ist. Kuratorium, politischer Wille, sowie ökonomische und örtliche Freiräume durch die Kulturpolitik sind dafür die wichtigen Voraussetzungen.