Münchner Kinos machen Programm |
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»Du bist wirlich zum Kotzen«: Eines der legendärsten Paare der Filmgeschichte, Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg in Außer Atem – wiederauferstanden bei den Filmkunstwochen |
Von Dunja Bialas
Sie sind allemal starke Persönlichkeiten im Kinobetrieb. Wo man sich sonst nur für die Filme interessiert, kann es durchaus lohnenswert sein, im Rahmen der 62. Filmkunstwochen einmal hinter die Kulissen der Münchner Kinos zu gucken, und die Betreiber von sechs Filmtheatern kennenzulernen, die jährlich ein gemeinsames, konzertiertes Programm jenseits der Verleihangebote zusammenzustellen: Bruno Börger, verantwortlicher Theaterleiter der City-Kinos, ist ein erdiger Kerl, der auch Neues wagt, Werner Scholz vom Filmeck Gräfelfing, setzt auf Altbewährtes, Louis Anschütz vom Studio Isabella, dem wir gerne den Louis d’Or verleihen würden, wenn er sich nicht gegen das Wortspiel stellen würde, ein erfahrener Programmmacher, Elisabeth Kuonen-Reich vom Rio Filmpalast die galante Gastgeberin, Thomas Wilhelm vom Neuen Rottmann ist mit dem Kino aufgewachsen und die »Monopolisten« Christian Pfeil und Markus Eisele sind unter den Kinomachern die neue Generation.
Begründet hat die nun schon seit 62 Jahren währende Tradition der Filmkunstwochen der Münchner Kinopionier Fritz Falter. Das Kinomacher-Festival ist damit Altersgenosse der ehrwürdigen Berlinale, des Newcomer-Festivals Mannheim-Heidelberg und der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, allesamt in einer BRD gegründet, als Opas Kino noch regierte und die Angebot von Filmen in Deutschland vor allem eins war: einseitig, langweilig, die Augen verschließend.
Die Augen aufgemacht gegenüber dem europäischen Arthouse haben damals nicht nur die genannten Filmfestivals, sondern eben auch die Kinobetreiber. Fritz Falter, der in den 50er Jahren das Occam-Filmtheater und das Studio Isabella in München leitete, war, mit Walter Kirchner (1954 begründete er den Verleih Neue Filmkunst), einer von ihnen. Falter stemmte sich gegen das maue Verleihangebot an Filmen im Sommer und nützte das Sommerloch, um ein Programm jenseits der Angebote zu machen, indem er selbst ein internationales Filmprogramm zusammenstellte, das er den Münchnern als »Filmkunstwochen« anbot.
Über ein halbes Kinojahrhundert ist seitdem vergangen, und die Situation für die Münchner Kinos hat sich grundlegend geändert. Das Kino ist schon längst nicht mehr der alleinige Ort, wo Filme zu sehen sind, nach der VHS-Kassette kam die DVD, heute regiert das Internet über das Angebot an sehenswerten Filmen. Und dennoch: Auch im 62. Jahr nach Filmkunstwochen-Gründung setzen fünf Kinobetreiber und eine -betreiberin immer noch auf das, was den Cinephilen am liebsten ist: den dunklen Kinosaal, in den man sich begibt, um Filme ganz groß zu sehen, sich mit Freunden zu verabreden und Regisseure zu treffen.
Oder einfach auch Klassiker neu auf der großen Leinwand entdecken. »20 Jahre Arthaus« ist ein Schwerpunkt der diesjährigen Filmkunstwochen, mit internationalen und durchaus sehr unterschiedlichen Filmen, die im Monopol, Studio Isabella und Filmeck Gräfelfing zu sehen sind, meist im Original mit Untertiteln. Ob Das siebente Siegel, Das Fest, Angst essen Seele auf oder der legendäre À bout de souffle: Sie alle stehen für ein bestimmtes Kino, das Filme anders wollte, als es sie gab, sie sind kraftvoll, mutig und ungestüm.
Die »neuen Wellen« von damals bekommen dieses Jahr Gesellschaft von den jungen Regisseuren von heute. Eröffnet werden die Filmkunstwochen mit den PreisträgerInnen des diesjährigen Starter-Filmpreises, verliehen durch die Landeshauptstadt München, die mit diesem Preis dezidiert dem Filmnachwuchs Starthilfe geben will. In zwei Porgrammen sind die preisgekrönten Dokumentarfilme von Isa Willinger, Fort von allen Sonnen (Donnerstag, 10.07., Monopol, 19:30 Uhr, zur Eröffnung), und Leaving Greece von Anna Brass (Sonntag, 20.07., City/Atelier, 21:15 Uhr) zu sehen. Dazu gesellen sich die Kurzfilme aus der HFF-Schmiede, mit einem Dokumentarfilmprogramm (Sonntag, 03.08., City/Atelier, 21:15 Uhr) und den Fictional Shorts (Mitwoch, 06.08., Rio Filmpalast, 18:00 Uhr).
Eine Besonderheit dieses Jahr sind nerdige Filmvorträge, allesamt von Filmspezialisten, die zu ihrem Lieblingsthema referieren, dazu Filmausschnitte einspielen. Theatermacher Holger Dreissig wird zu Zeitreisen im Film reflektieren (Donnerstag, 17.07., City/Atelier, 22:30 Uhr), SigiGoetz-Entertainment-Herausgeber Ulrich Mannes macht sich auf die Suche nach »Trash & Treasures« (Donnerstag, 24.07., City/Atelier, 22:30 Uhr), und Julian Warner, der bereits in der Favorit-Bar gelectured hat und dort auch Platten auflegt, wird zu »Voodoo im Film« sprechen (Donnerstag, 07.08., City/Atelier, 22:30 Uhr), eine Veranstaltung, die für Theaterleiter Bruno Börner zum Anlass wird, den 16mm-Projektor aus dem Keller zu holen: Es läuft auch Maya Derens The Divine Horsemen, der entgegen der digitalen Wende, die das Kino durchlebt, auf Filmmaterial zu sehen ist.
München hat eine Phase des Kinosterbens hinter sich, die nun erst einmal aufgehalten zu sein scheint, nicht zuletzt durch das Herzblutengagement der Münchner Kinobetreiber (und der Rückendeckung, die sie durch die Stadt München erhalten). Dennoch gibt es in Sendling beispielsweise schon lange kein Kino mehr, das »Lexikon der Münchener Kinos«, zu finden in dem wertvollen Buch »Neue Paradiese für Kinosüchtige«, verzeichnet allein das Sendlinger Lichtspielhaus, das sich bis 1968 sich in der Oberländerstraße befand. Um die Umbrüche, aber auch die wenigen Freiräume in der Stadt zu beleuchten, gibt es deshalb in Zusammenarbeit mit den Raumwandlern unter dem Titel »Sommernachts(t)raum« eine Exkursion in das Viertel, mit Bollerwagen und Beamer, zu der Kurzfilme auf Häuserwände projiziert werden.
Traditionsgemäß aber warten die Münchner auf die Filmkunstwochen, um endlich die Filme nachzuholen, die sie unterm Jahr verpasst haben. So können die American Independents Spring Breakers, Drive und Only Lovers Left Alive nachgeholt werden, oder, eher alpenländisch, Das finstere Tal (mit Lesung von Artechock-Autor Thomas Willmann am Sonntag, 10.08., Rio Filmpalast, 19:00 Uhr) und Dampfnudelblues (in Anwesenheit der Autorin Rita Falk, Samstag, 19.07., Neues Rottmann, 20:30 Uhr). Auch einen Blick in die nahe Zukunft kann man werfen, in zahlreichen Previews, oft in Anwesenheit der Regisseure. Wacken 3D, Männer zeigen Filme & Frauen ihre Brüste, Die geliebten Schwestern von Altmeister Dominik Graf oder die Komödie Gott verhüte! sind das Spektrum, das sich auftut.
62. Filmkunstwochen München. Spielorte: City/Atelier, Filmeck Gräfelfing, Studio Isabella, Rio Filmpalast, Neues Rottmann, Monopol. Eintritt 8 Euro (7 Euro ermäßgt), Sommernachts(t)raum Eintritt frei unter Voranmeldung bei sommer (at) filmkunstwochen-muenchen.de. Mehr Informationen, viele Trailer und das ganze Programm gibt es unter filmkunstwochen-münchen.de. Alle Sonderveranstaltungen mit Anwesenheit der Regisseure sind unter hier zu finden.