Wir sind jung, stark und wir brauchen das Geld |
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Es geht auch ohne Fördergelder: Timm Krögers Zerrumpelt Herz | ||
(Foto: crew united) |
Ein Hamsterrad. Es dreht und dreht sich und in ihm rast wie um sein Leben ein kleines Nagetier. Solche Räder haben es, neben dem Charme der puren Bewegung, an sich, dass man sich als Betrachter irgendwann fragt, ob es wirklich das Tier ist, das da das Rad antreibt, oder nicht viel mehr ein Tier versucht, mit dem sich immer schnelleren Rad Schritt zu halten. System oder Individuum, was entscheidet am Ende? Das ist überhaupt die Frage in Christoph Hochhäuslers neuem Film Die Lügen der Sieger, einem der interessantesten Beiträge im diesjährigen Programm der Hofer Filmtage, die seit 48 Jahren vom unverwüstlichen Leiter Heinz Badewitz in der immer gleichen Kombination aus Kino, Bratwurst, Fußball und Charme veranstaltet werden. Hier zumindest fallen System und Individuum in eins.
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Die Lügen der Sieger erzählt von einem investigativen Journalisten, der für ein »Hamburger Magazin« politischen Skandalen in der Berliner Republik auf der Spur ist. Er beschwört zwar mitunter das Pathos des unbestechlichen investigativen Journalismus, ist aber alles in allem keineswegs ein Wiedergänger von Robert Redford Figur in Allan J. Pakulas All the President’s Men, dessen Pathos Hochhäusler ebenso zitiert wie seine inhärente Paranoia. Eher erinnert dieser Fabian Groys (Florian David Fitz) an seinen Namensvetter, den Titelhelden von Erich Kästners »Fabian«, einem Journalisten im Berlin der Weimarer Republik: ein Gleichgültiger, ein Flaneur durchs eigene Leben, ein Spielsüchtiger, der auch mit sich selbst und seinen Mitmenschen spielt, und dem in merkwürdiger Weise die Bodenhaftung fehlt. Es ist seine Arbeit, die den Takt seines Daseins vorgibt, und Fabian überhaupt in gewisser Weise am Leben erhält. Ruhe findet er nur beim Blick auf sein Haustier im Hamsterrad. Die luftige Kühle dieser Hauptfigur kontrastiert Hochhäusler mit überhitzten Bildern aus Spielhöllen und Fechtkämpfen, die Fabian besucht, Fahrten im Porsche-Oldtimer durch den urbanen Dschungel und kurzen flirrenden Großstadt-Passagen, die nicht von ungefähr an Ruttmans Berlin-Symphonien erinnern. Neusachlich ist auch das Vorgehen einer Lobby-Agentur, die aus dem Hintergrund für die Industrie die Strippen zieht, und Fabian so lange entsprechende Informationen zuspielt, bis der mediale und damit auch der politische Konsens fabriziert ist. Hochhäusler komplexer, hervorragend gefilmter Film interessiert sich dafür, wie man Eindrücke zu einer Erzählung verdichtet, für Wirklichkeit als Konstruktion. Der Regisseur stellt die Frage, was eigentlich wirklich ist? Man kann ihm vorwerfen, dass es Wahrheitsansprüche allzu leichtfertig preisgibt, dass er mit dieser sehr allgemeinen Form der Kritik feine, aber entscheidende Unterschiede eher verwischt, und der Paranoia des Publikums auch Vorschub leistet, dass sein Gegenentwurf auf die Aussage hinaus läuft, dass man nichts mehr glauben soll, was in der Zeitung steht. Man kann über einiges in Hochhäuslers Film streiten, aber Die Lügen der Sieger ist gerade dadurch einer der unumstrittenen Höhepunkte der Hofer Filmtage. Der Film stellt schon einmal die richtigen Fragen, und seine Antworten fordern heraus.
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Repräsentativ ist der Film für ein zunehmendes Interesse an Stoffen und Storys, die versuchen, den grassierenden Privatismus des deutschen Films hinter sich zu lassen, und gesellschaftspolitische Themen ins Zentrum zu rücken, und ohne Rücksichtnahmen, schnelle Antworten oder wohlfeile Banalisierung zu behandeln. So auch Dominik Grafs zorniger Polizeiruf Smoke on the water, der in einem längeren und härteren Director’s Cut gezeigt wurde, der den Film endgültig in ein Zwischenreich aus Funny Games und Mario Bava rückt. Wie Hochhäusler zeigt Graf ein Deutschland, das den Mächtigen zur Beute geworden ist. Demokratie ist nur noch der Name fürs Manipulationsspiel und der Film ein Beispiel für jene »guten schlechten Filme«, die Graf seit Jahren einfordert.
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Dies ist Burhans Quarbanis (»Shahada«) zweiter Spielfilm Wir sind jung. Wir sind stark., der die Filmtage eröffnete, etwas zu wenig, auch wenn das Ergebnis seiner Zeitreise in den August 1992 ähnlich pessimistisch ausfällt: Damals herrschte in jener verhängnisvollen Nacht in Rostock-Lichtenhagen Bürgerkrieg: Ausländerfeindliche Ausschreitungen eskalierten, und ein frustrierter, aufgehetzter, aber auch sich selbst hochschaukelnder Mob stürmte ein Asylbewerberheim, steckte das Gebäude an, in dem noch über 150 Menschen Schutz suchen, und nur durch glückliche Zufälle wird niemand ermordet. Quarbani erzählt angelehnt ans reale Geschehen, aber fiktional und in meist schwarzweißen Bildern, die an das Banlieu-Drama La haine erinnern sollen und zusätzlich verfremden. Seine Stärken liegen in der Erinnerung an die Abläufe jenes verhängnisvollen Wochenendes, auch wenn manche offene Frage ungeklärt bleibt. Sie liegen auch im Handwerklichen, in Schnitt, Kamera und Produktion, die ein intensives, pulsierendes Drama schaffen, das die historischen Ereignisse nicht verrät, sie aber erweitert.
Das Ensemble mischt Newcomer wie Jonas Nay oder Trang Le Hong mit bekannteren Namen wie Saskia Rosendahl (Lore) und David Striesow, und überzeugt, sieht man einmal von dem überagierenden Joel Basman ab, dem sein Regisseur viel zu viel Freiraum gab, mit dem Ergebnis, dass er als knallchargiger Zappelphilipp zum Klischee eines Schauspielers gerann – was von der Menge erwartbar für höchste Darstellungskunst genommen und mit Sonder-Applaus bedacht wurde, während nicht nur ich immer aufatmete, wenn er endlich wieder nicht mehr im Bild war.
Stärke ist nicht zuletzt schließlich die brennende Aktualität des Geschehens. Die rührt nicht vom 25. Jubiläum des Mauerfalls, wie manche sagten, sondern vom rechten Terror. Mit viel Unterstützung der Bevölkerung wurde der Film 2013 in Halle gedreht. Quarbani bemüht sich, das Lebensgefühl der Beteiligten authentisch zu fassen. Vielleicht mit etwas zu viel Empathie. Regie und Drehbuch sind die Schwächen dieses Films, der sich nicht recht entscheidet, ob er von rechtsextremen Taten erzählen will oder einfach vom Lebensgefühl Jugendlicher. Aus Nähe wird das vermengt, und manchmal ein paar Entschuldigungen zuviel angeboten. Aktuell wird der Stoff aber durch seine Anspielungen auf den Terror der NSU. Es ist kein Zufall, dass Quarbani auch eine Frau zwischen zwei Männern ins Zentrum rückt, und den Faschismus seiner Figuren aus sexuellen Spannungen ebenso erklärt, wie aus sozialem Frust und destruktiver Energie.
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Diese Eröffnung setzte den Akzent auch für viele andere Filme: Erkennbar gibt es den Wunsch vieler Regisseure, politische und gesellschaftliche Stoffe zu behandeln, und der Enge der Herz-Schmerz-Themen zu entkommen, die inzwischen auch das Publikum nicht mehr sehen will.
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Immer noch gibt es im deutschen Kino jenseits weniger Autorenfilme und viel Konfektion auch Filme, die völlig ohne TV-Sender und Fördergeld entstanden. Sie zeigen, was möglich wäre, würden Gremien neugieriger entscheiden, oder einfach durch Automatismen ersetzt. Der mit Abstand beste von ihnen ist Zerrumpelt Herz, das Regiedebüt des Filmstudenten Timm Kröger. Auch dies eine Zeitreise, aber ins Jahr 1929: In einem romantischen Wald entspinnt sich um eine Handvoll Menschen ein Kammerspiel, das zum Melodram wird, und in ein surreales Szenario mündet, das in seiner Rätselhaftigkeit an Antonionis »L’Avventura« denken lässt. Voller Anspielungen auf deutsche Kulturgeschichte und Pränazismus, auf die »Deutsche Trilogie« Viscontis und die Malerei de 19. Jahrhunderts, malt Kröger immer wieder Sehnsuchtsbilder, die sich zu einem mitunter perfekten Film-Tableau fügen, zu einer visuellen Meditation über Deutschland, der man unbedingt einen Kinostart wünschte.
Den wünscht man auch Nadines Heinzes und Marc Dietschreits Das Fehlende Grau – wegen seiner Hauptdarstellerin Sina Ebell. Sie trägt den Film in der Rolle einer Borderlinerin, die in fremde Leben eindringt. Wie Claudia Müllers Studentenarbeit »Hausbesuche« war dies einer der diesmal auffallend wenigen Filme von einer Regisseurin.
Auch diese neue Kino-Frauenfrage spielte in den Hofer Gesprächen eine Rolle. Doch wurde sie wie jede noch interessante künstlerische oder politische Debatte überschattet von der miserablen ökonomischen Ausstattung des deutschen Films: Es starten mehr deutscher Filme denn je, zugleich werden Regisseure und Produzenten ausgebeutet, Verleiher hängen am Tropf der Förderung. Auch dies ein Hamsterrad – und jetzt kürzt Rot-Grün auch noch die NRW-Filmfördergelder. System killt Individuum: Dem deutschen Kino droht ein Winter des Missvergnügens.
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Die Hofer Filmtage mit ihren speziellen Ritualen – den obligatorischen fränkischen Rostbratwürsten, dem Fußballspiel am Samstag, den lakonisch-versponnenen Ansagen seines ewigen Direktors Heinz Badewitz – sind seit knapp einem halben Jahrhundert so etwas wie der Bratwurst-Seismograph des deutschen Kinos, eine vorzeitige Jahresbilanz zum Ende der Saison. Sie fällt in diesem Jahr durchwachsen aus: Zu vielen Produktionen stehen wenig internationaler Erfolg und finanzielle Sorgen entgegen. Das Kino hat zwar zur Wirklichkeit viel zu sagen, aber das Publikum will es nicht hören, will lieber in künstliche Welten entführt werden. Die Konsensfabrik beginnt im Kopf.