Neue polnische Welle |
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Romi-polnische Verständigung in Papusza | ||
(Foto: Kairos-Filmverleih GbR) |
Von Dunja Bialas
Seit nunmehr vier Jahren sorgt das Festival Cinepol (vormals Filmpolska) dafür, dass auch die Münchner in den Genuss des aktuellen, hochkarätigen polnischen Filmschaffens kommen. Während der Westen immer noch meist nur Rumänien als osteuropäisches Filmland im Blick hat, knüpfte Polen derweil, von der hiesigen Öffentlichkeit relativ unbemerkt, an die Tradition der Filme aus den 60er und 70er Jahren und damit an jene Glanzzeit des polnischen Kinos an, der dieses Jahr beim GoEast-Festival in Wiesbaden unter dem Titel »Nouvelle Vague Polonaise« eine eigene Retro gewidmet war.
Den Weg in die deutschen Kinos fand dieses Jahr allein Ida des 1957 geborenen Pawel Pawlikowski, der mit 20 Jahren nach England emigrierte und bereits mit dem lichtdurchfluteten britischen My Summer of Love die Herzen der Cineasten höher schlagen ließ. In seiner ersten rein polnischen Produktion erzählt er in stilisiertem 60er-Jahre-Schwarzweiß von den letzten Tage der Novizin Anna, bevor sie ihr Gelübde als Nonne ablegt, und in denen sie auf ihre gleichermaßen erotische wie neurotische Tante trifft, die sie mit allen Mitteln der Verführung vom Glaubensweg abbringen will. Ida ist ein lakonisch erzähltes Roadmovie mit dem typischen, dennoch keineswegs klassisch besetzten Gegensatzpaar und nebenbei ein Paradebeispiel für die hochkarätige Visualität, die sich derzeit im polnischen Kino manifestiert. Der Film ist im 4:3-Normalformat gedreht, das Kennern als das visuelle Format gilt, da der Bildausschnitt sozusagen natürliches Augenmaß hält, und das Bild als Gesamteindruck wahrgenommen werden kann, ohne die Augen oder den Kopf zu bewegen. Der Stilisierungswille des Regisseurs rückt dazu die Figuren an den oberen und unteren Rand des Bildes, betont dadurch die Vertikale, wie in einer Gegenposition zum »Kino« bedeutenden Cinemascope-Format. Ida wurde nun von Polen ins Rennen um den ausländischen Oscar geschickt.
Wer den Film verpasst hat, oder nicht auf ihn aufmerksam wurde, als er im Kino lief, hat nun bei Cinepol die Möglichkeit, ihn nachzuholen (Freitag, 28.11., 19:00 Uhr, Monopol; Wdh. Samstag, 17:30 Uhr, Monopol Kinobar).
Eröffnet wurde Cinepol bereits am gestrigen Mittwoch mit Life Feels Good (Chce sie zyc) mit dem Spielfilmdebüt von Maciej Pieprzyca. In einer Art polnischer Ziemlich beste Freunde erzählt er, basierend auf einer wahren Begebenheit die Geschichte des Mateusz. Dieser wurde mit zerebraler Kinderlähmung geboren und als geistig behindert eingestuft. Erst im Erwachsenenalter erkannte man, dass sein Verstand völlig normal entwickelt war, ein Wendepunkt in seinem Leben. Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Life Feels Good zeigt in kühlen Krankenhausbildern eine herzerwärmende Geschichte, die sich zutragen kann, wenn man nur genau hinsieht, mit einer fast dokumentarischen Natürlichkeit seiner Protagonisten (Wdh. Donnerstag, 27.11., 17:30 Uhr, Monopol Kinobar)
Er gilt als einer der wichtigsten polnischen Filme des vergangenen Jahres: Papusza erzählt die dramatische Lebensgeschichte der Bronislawa Wajs – der ersten Dichterin der polnischen Roma. Sie gilt als Chronistin ihrer Kultur, hielt ihre Dichtung fest und übertrug sie ins Polnische. Der Film zeichnet in organischem Schwarzweiß ein nachfühlbares, realistisches Bild des harten Alltagslebens der Roma in den 20er und 30er Jahren und folgt dem fahrenden Volk auf seinem Weg durch Polen. Eine der Besonderheiten des Films ist – seinem Sujet entsprechend – der große Respekt vor der jeweiligen Sprache. So wird Romani auf der einen Seite, Polnisch auf der anderen Seite gesprochen, dazwischen gilt das vermittelnde Wort. Regie führten Krzysztof Krauze und Joanna Koz-Krauze, die bereits 2004 mit Moj Nikifor, einem Film über den polnischen naiven Maler Nikifor Krynicki, international auf sich aufmerksam machten (Donnerstag, 27.11., 19:00 Uhr, Monopol; Wdh. Freitag, 28.11., 17:30 Uhr, Monopol Kinobar).
Wie groß der Stilwille des gegenwärtigen polnischen Kinos ist, zeigt sich nicht nur in den der Vergangenheit zugewandten Kunstdramen wie Papusza oder Ida. The Traffic Department (Drogówka) von Wojciech Smarzowski ist ein durch und durch zeitgenössischer Polizei-Genrefilm, der mit Handkamera, kontrastreichen Bildern, temporeichem Schnitt und Milieuschilderung auffährt. Eine Warschauer Polizeieinheit gerät im Zuge ihrer routinierten Verkehrskontrollen in den Sog der Machenschaften der Prostituierten-, Zuhälter- und Drogenszene (Freitag, 28.11., 19:00 Uhr; Wdh. Samstag, 28.11., 17:30 Uhr, jeweils Monopol).
Wie sehr das gegenwärtige Filmschaffen sich in den Kontext der alten Meister einfügt, beweist der Besuch des polnischen Meisterregisseurs Krzysztof Zanussi bei Cinepol am kommenden Sonntag. In deutscher Erstaufführung ist um 15:00 Uhr mit anschließendem Publikumsgespräch sein neuestes Werk The Foreign Body (Obce cialo) zu sehen, indem er ein Sittenbild des heutigen Polens zeichnet. Ähnlich wie Pawel Pawlikowski geht es auch ihm um eine Art »Glaubensprüfung« durch das säkulare Polen, ohne jedoch katholisches Kino zu machen: Angelo gerät, als er seine geliebte Kasia, die aus tiefem Glauben ins Kloster gegangen ist, zurückgewinnen will, in die Fänge des Turbo-Kapitalismus’, der sich durch Gier und Hohn darwinistisches Geltungsrecht verschafft. Zanussi hat 1969 mit seinem Langfilmdebüt Die Struktur des Kristalls (Struktura krysztalu) die große Welle im polnischen Kino losgetreten, die sich auch noch 45 Jahre später ungebrochen Bahn bricht. Gelegenheit für die Begegnung mit einem Meisterregisseur, die man nicht verpassen sollte.
Das 4. Cinepol findet statt vom 26.11.-30.11. im Monopol in München, Schleißheimer Str. 127. Eintritt: 8,50 (ermäßigt 7,50 Euro; für Mitglieder von Ahoj Nachbarn e.V. 6 Euro). Täglich Rahmenprogramm in der Kinobar bei freiem Eintritt.
Mehr Informationen zu den einzelnen Filmen sowie eine Programmübersicht finden sich hier.