Die Büchse der Pandora |
||
Die Büchse der Pandora von G.W. Pabst ist jedenfalls beim Bundesarchiv gesichert, denn daher stammt das Foto |
Von Dunja Bialas
Kommunale Kinos sind Kinos mit Mut zum Experiment. Seit jeher sind sie Vorreiter für neue – oft intermediale – Präsentations- und Kinoformen und zeigen sich aufgeschlossen gegenüber neuen Techniken. – Bundesverband kommunale Filmarbeit
Vergangenes Wochenende fand in München der 10. Bundeskongress der kommunalen Kinos statt. Die Veranstaltung des Bundesverbands kommunale Filmarbeit (BkF e.V.), einem Dachverband mit derzeit über 120 Mitgliedern, bestehend aus von den Gemeinden geförderten Kinos, Filmclubs und -vereinen, war zu Gast im Filmmuseum München, dem ersten kommunalen Kino der Bundesrepublik, das die Stadt seit 1963 unterhält.
Filmhistorie, wie das Filmmuseum sie betreibt, ist ein zentraler Aspekt für die kommunale Filmarbeit, die »andere Filme anders zeigen« will. Mit der Digitalisierung der Kinos, die in den vergangenen fünf Jahren vorangetrieben und letztes Jahr ihren Abschluss fand, haben sich entscheidende technische Entwicklungen getan, oft verglichen mit dem Wechsel von Stumm- zu Tonfilm. In Wahrheit, dies sollte sich im Laufe des Kongresses erweisen, sind die Veränderungen jedoch weitaus tiefgreifender und umfassender.
Wie auch in Zukunft Filmgeschichte zugänglich gemacht werden könne, war Thema des Kongresses unter dem Titel „Filmerbe 2.0“. »Wie verteidigen wir das kulturelle Gedächtnis im Zeitalter der Digitalisierung?«, formulierte Cornelia Klauß, Bundesgeschäftführerin des BkF, die entsprechende Fragestellung und stellte den Spagat heraus zwischen dem „altmodischen“ Begriff „Filmerbe“ und dem, wie sie eingestand, »mittlerweile auch schon veralteten „2.0“«. Das permanente Obsoletwerden dessen, was gerade noch ganz gebräuchlich war, zog sich so auch leitmotivisch durch den dreitägigen Kongress.
Auch Kinos haben etwas Altmodisches an sich. Die Filmgeschichte verband sich seit jeher mit der Kinogeschichte. Film- und Kulturkritiker Georg Seeßlen, der unter dem Titel »Jenseits des Kinos, jenseits des Filmischen« einen Begrüßungsvortrag hielt, konstatierte eine Zeit der „Postkinematographie“, in der die früher so gültige Einheit von Kinematographie und der kulturellen Praxis des Kinobesuchs aufgelöst sei. Als der Film noch eine »ästhetische Einheit mit dem Lichtspielhaus« bildete, dessen Besuch sich als »Dramaturgie des Publikums« gestaltete, verlief die technische Entwicklung des Films und des Kinos linear, Techniken lösten sich ab oder gingen ineinander über. Seit dem digitalen Zeitalter, so Seeßlen, vervielfältige sich die Linearität in einer Vernetzung im virtuellen Raum. Filme seien nun „amphibisch“, gestaltwandelnd, oder sogar „amorph“, gestaltlos. Mit der „Verflüssigung“ ihrer Gestalt von der analogen Vorführkopie, die ins Kino geliefert wurde, zu ubiquitär abrufbaren Bildinformationen sei die Rezeption von Filmen nicht mehr an bestimmte Aufführungszeiten und -orte gebunden. Mit der Auflösung dieses seit über hundert Jahren dauernden Vertrags sei Kino heute als kulturelle Praxis in der Subventionskultur angekommen, der Zustand des Films selbst „prekär“.
Als Widerstand gegen diese Entwicklung forderte Seeßlen den „nomadischen“ Film, der sich auf die Suche nach neuen Verbündeten macht. Andere Künste, wie die Bildende Kunst, sollten ihm „Gastfreundschaft“ gewähren, die kommunalen Kinos für ihn „Oasen“ sein; es brauche insgesamt eine Kultur der „Bilder in Bewegung“. Man solle keine Kulturpolitik machen, forderte Seeßlen abschließend, man müsse Kultur politisch machen.
Stefan Drößler stellte sich als Filmmuseumsleiter auf die Seite der traditionellen Aufgabe von Kinos und wandte sich gegen eine „permanente Interaktivität“ von Veranstaltungen, in denen Filme zu Hilfsmitteln von Diskussionen degradiert werden, und gegen zu „Live-Events“ gesteigerten Vorführungen, die ihre eigene Einmaligkeit betonen. Er wies darauf hin, dass es mittlerweile schwieriger sei, einen filmfreien Raum zu kreieren als Bilder zugänglich zu machen, und ein Kino nähme sich in diesem Zusammenhang als – ergänzt werden darf: wohltuender – Anachronismus im Filmeschauen aus. Gleichzeitig kommt dem Filmmuseum München eine Vorreiterrolle bei der Digitalisierung des Filmerbes zu, durch frühe digitale Restaurierungen, aber auch, indem es nicht mehr oder nur noch in Ausnahmenfällen die analoge Filmkopie der Öffentlichkeit zugänglich macht. Demgemäß zeigte das Filmmuseum den Kongressteilnehmern den vor kurzem als Filmkopie erworbenen sowjetischen Stummfilm Kosmische Reise von Vasilj Zuravlev aus dem Jahr 1936 als digitale Abtastung von Blu-ray.
Dies rief die Vertreter des KommKinos Nürnberg, Andreas Beilharz und Christoph Wirsching, auf den Plan. Beide sind Vertreter des „Hofbauer-Kommandos“, benannt nach Ernst Hofbauer, Regisseur von Sexfilmen und auch einigen Eastern. Sie sammeln Filme »rund um Sexualität und Liebe«, die ihren Worten nach »greise Filmkritiker und Institutionen« nicht als wertvoll erachteten. Im Zuge der Digitalisierung fürchten sie um das apokryphe Filmerbe und halten deshalb notfalls auch an einer rotstichigen Filmkopie fest, sofern sie die einzig erhaltenen Kopie eines Films ist. Christoph Wirsching sprach als Kundiger der analogen Restaurierung von den „Dogmen der Digitalisierung“, gegen die sie mit ihrer Sammlung „geretteter“ Filmkopien und Filmunikaten antreten würden. Gleichzeitig müssten diese im Sinne eines „Living Archives“ im Kino gezeigt werden. Spuren des Gebrauchs könnten unter diesem Gesichtspunkt begrüßt und sollten nicht zugunsten einer Enthistorisierung des Materials verdammt werden.
»Film, even now, offers a richer visual palette than HD. It’s also still the best and only time-proven way to preserve movies. We have no assurance that digital informaton will last, but we know that film will, if properly stored and cared for.« – Martin Scorsese
Jenseits der kulturhistorischen Gräbenkämpfe kamen ausgerechnet aus dem neutralen Raum der Wissenschaft, der zum Fortschreiten der Digitalisierung beigetragen hatte, beunruhigende Fakten. Siegfried Fößel vom Fraunhofer Institut Erlangen und Leiter der »ISO-Standardisierungsgruppen Digitales Kino und Motion JPEG2000 innerhalb JPEG« gab einen informativen und sachlichen Überblick über den Zustand der Digitalisierung des deutschen Filmerbes, bei der die Komplexität des Unterfangens deutlich wurde. 95% der Kinos weltweit seien mittlerweile digitalisiert, so Fößel. Daraus ergäben sich Fragestellungen für die Forschung: Wie die analogen Filme auch in Zukunft zugänglich machen? Wie sie zeigen? Wie sie aufbewahren?
Gegen die sich als Standard durchgesetzten teuren DCI-Systeme (Digital Cinema Initiatives, die sich um die großen Hollywood-Studios herum gruppieren) mit sich verbindenden Anschlusskosten wie an das Kino zu entrichtende Abspielgebühren für die Filmverleiher, den Virtual Print Fees (VPF, eine Art Ausgleichszahlung für die teure Kino-Digitalisierung und der billiger werdenden Film-Distribution, die gerade für kleinere Verleiher kaum zu bezahlen ist) entwickelte das Fraunhofer Institut das für 3000 Euro erschwingliche Easy-DCP. Dieses System ermöglicht das Abspielen von DCPs (den Digital Cinema Packages, in denen „Filme“ heute meist geliefert werden) auch ohne 50.000-Euro-Kinoprojektionssysteme und erlaubt außerdem, wichtig für die Filmproduktion, die Herstellung DCI-konformer DCPs. Easy-DCP also als David gegen den Goliath der Monopolisierung. Technisch befindet es sich im mittlerweile unteren 2K-Bereich, ist aber Teil des widerständigen A-Cinema, wobei „A“ für „alles“ steht und das hybride Kino mit analogen wie digitalen Abspielmöglichkeiten meint.
Auf Abspiel- und Produktionsseite wäre damit zumindest einer ungesunden Monsanto- oder Microsoft-Monopolisierung durch das DCI ein erster Riegel vorgeschoben. Problematischer sieht es jedoch auf der Seite des Bewahrens auf. Im digitalen Zeitalter geht es nicht mehr vor allem um das richtige Archivieren und Lagern von Filmkopien, jetzt geht es um das „Sichern“. Dabei stellt sich die grundsätzliche Frage, was überhaupt an die Archive geliefert werden solle, die im „Submission Information Package“ (SIP) zusammengestellt würden (z.B. das Kameranegativ, Metadaten, die separierten Filmdaten wie Bild- und Tonspur, Untertitel usw.). Bei der Sicherung gehe es nun um das „Einzel-Bit“ und nicht wie vormals um das Einzelbild, so Fößel.
Weiterhin müsse der Datenträger für die Speicherung der Film-Informationen bestimmt werden. Hier gebe es verschiedene Möglichkeiten der Speicherung: digitale Daten auf analogem Film (sic!), eine Metallfolie (das DOTS oder Digital Optical Technology System), die eine Haltbarkeit von »mindestens 100 Jahren verspricht« oder LTO (Linear Tape Open)-Magnetbänder, die »permanent bewegt und umkopiert« werden müssen. Fößel räumte auf Nachfrage unumwunden ein, dass es »am langlebigsten und am kostengünstigsten« wäre, analoge Filme auf analogem Material zu konservieren. Dennoch: Die »Pandora Box der jährlich neuen Formate«, sagt er unter dem Rückgriff auf David Bordwell, sei eröffnet, es gäbe kein Zurück mehr. Filme müssten nun ständig migrieren, also umkopiert und auf neue Datenträger gebracht werden. Mit Daten- oder Festplattenverlust sei zu rechnen.
Angesichts der zu sichernden Datenmenge von 5 Millionen Minuten Filmerbe und den bislang gesicherten 154 Spielfilmen (von insgesamt 200.000 Titeln) gelte es, es eine Priorisierung zu erstellen, was deutlich macht, dass apokryphe Werke der Filmgeschichte auf die lange Wartebank der Digitalisierung geschoben werden. Hinzu kommt die Gesetzeslage, die bislang die Sicherung für lediglich preisgekrönte oder geförderte Filme vorsieht. Die Kosten für die digitale Sicherung einer analogen Filmkopie belaufen sich dabei auf bis zu 50.000 Euro, je nach dem angesetzten Qualitätsstandard. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat im August eine jährliche Förderung für die Sicherung der Filmerbes von einer Million Euro bekannt gegeben. Kaum genug Geld, als dass es sich überhaupt lohnen würde, mit der Arbeit anzufangen.
Wieso also der ganze Wanderzirkus? Weshalb sei man nicht bei der Archivierung analoger Filmkopien geblieben, wenn dies doch der bessere und kostengünstigere Weg gewesen wäre? – So die spontanen Einwände aus dem Kreis der achtzig akkreditierten Kongressteilnehmer. Fößel unterstrich, dass es bei der Digitalisierung vor allem um die Verfügbarmachung der Filme für das Internet gehe. Das mythische Bild der Pandora-Büchse aufgreifend, war dies also der Grund, sie zu öffnen. Hinzu kamen die selbst heute nicht öffentlich diskutierten Folgen der Digitalisierung wie hohe Kosten, Datenverluste und tiefgreifende Veränderungen unserer Kultur.
Das Internet ist so nun endgültig das Leitmedium geworden, das mit seinen Bits und Datenströmen die bewegten Bilder abgelöst hat, die ihrerseits die Fotografie, die Malerei, die Skulptur ablösten, ohne jedoch selbst ein künstlerisches Medium zu sein. „Flatness“ nannten vor einem Jahr die Kurzfilmtage Oberhausen dieses Phänomen der virtuellen Gleichmacherei von Inhalten und ihrer unterschiedslosen Präsenthaltung und Koexistenz auf den Flachbildschirmen der Computer.
Jenseits der technischen Historizität des Filmmaterials bleiben so nur noch die technische Filmgeschichte als ästhetische und die vielen Film-Geschichten im Content der Pixel enthalten. Das Ende des Films als Medium hat weitreichende Folgen für die kulturelle Praxis, die sich einst mit ihm verband. Der Ort für „Film“ wird in Zukunft nicht mehr der reale Ort des Kinos sein, sondern hat sich ins Internet virtualisiert. Mit dem Wechsel vom Einzelbild zum Einzel-Bit geht nicht nur die Ablösung der Medien einher, sondern es vollzieht sich ein schleichender Kulturwandel, der das Ende des Kinos einläutet.
Keine frohe Botschaft für die anwesenden Vertreter der kommunalen Kinos, die sie nicht nur vom Forscher des Fraunhofer Instituts, sondern auch von Filmkritiker Seeßlen vernommen haben. Vielleicht aber steckt gerade in ihrer Sonderrolle »andere Filme anders zeigen« zu wollen die Chance für den Fortbestand, jenseits ihrer Subventionierung? A-Cinema, Easy-DCP, hybride Kinos mit weiterhin analoger wie digitaler Projektionstechnik, und Archive wie das des Nürnberger KommKinos oder des Münchner Werkstattkinos zeigen immerhin Nischen auf, in denen der Cinephile eine Zeit lang überwintern kann.
Einzig die Hoffnung blieb in dem niemals wankenden Hause
Unter der Mündung noch im Gesäß und konnte heraus nicht
Flattern, da jene zuvor dem Gefäße den Deckel noch aufdrückt. – Hesiod, Werke und Tage
Literatur: David Bordwell, Pandora’s Digital Box: Films, Files, and the Future of Movies, 237 S., gibt es als e-book für $ 3,99 hier.