11.06.2015

Nyau 10 statt Dogma 95

Samson Kambulas BRANCH
Samson Kambalus Branch

Einer der aufregendsten Video-Installationen auf der 56. Biennale Arte 2015 in Venedig ist das Nyao-Cinema, die Kurzfilme von Samson Kambalu aus Malawi. Mit maximal einer Minute Länge sind sie ausstellungskompatibel wie nur wenige andere filmische Beiträge der gegenwärtigen Kunstszene. Und Sie haben sogar das Potential zu einem neuen Manifest, das Kambalu gleich mitgeliefert hat.

Von Axel Timo Purr

»In Africa even when you pray to a fetish or a thing, if it doesn’t give us answers, we discard it, burn it and make another one.«
Samson Kambalu im Gespräch mit Kabelo Malatsie und Marc Berben, Kapstadt, Sepember 2014

Der Kampf um Afrika geht in eine weitere Runde. Waren es bislang poli­ti­sche und wirt­schaft­lich moti­vierte Runden, ist es nun die Kunst, die an der Reihe ist. Weltweit steigt der Marktwert für Kunst­werke aus dem afri­ka­ni­schen Raum konti­nu­ier­lich; selbst auf dem afri­ka­ni­schen Binnen­markt wie etwa in Dakar werden Preise verlangt, die denen in Paris in nichts mehr nach­stehen.

Screenshot <q>17</q>
Migra­tions-Psycho­drama mit afri­ka­ni­schen Statisten – »17«

Auch die dies­jäh­rige Biennale in Venedig trägt dieser Entwick­lung Rechnung. Und dies nicht nur durch seinen aus dem nige­ria­ni­schen Calabar stam­menden Kurator Okwui Enwezor, sondern vor allem durch die Einflech­tung des Themas Migration bzw. der Präsenz des »Anderen«: Mal wird dies von nicht-afri­ka­ni­schen Künstlern verhan­delt wie etwa im deutschen Pavillion durch Tobias Zielonys Fotoserie »The Citizen« oder aber aber wie im spani­schen Pavillion das filmisch fest­ge­hal­tene Migra­tions-Psycho­drama »17« mit afri­ka­ni­scher Statis­ten­be­tei­li­gung. Doch fast alle diese Arbeiten verpuffen spätes­tens dann zu einem frag­wür­digen Gedan­ken­spiel, wenn man auf die Verzweif­lung eines echten Migranten aus Eritrea trifft, der mit allen Mitteln versucht, im Zug nach München Deutsch­land zu erreichen und dabei fast von einem gummi­ge­puf­ferten Gelenk zwischen den Waggons zerquetscht wird.

Viel­leicht ist es gerade deshalb nicht nur mutig, sondern geradezu vermessen, wenn es einem afri­ka­ni­schen Künstler gelingt, den drei gemeinhin für Afrika stehenden »Ks« (Kriege, Krisen, Kranke) einfach den Rücken zuzu­kehren und so etwas wie mensch­liche und künst­le­ri­sche Norma­lität herzu­stellen – und dabei auch noch zu gewinnen.

Samson Kambalu über­rascht mit seinem im inter­na­tio­nalen Pavillion in den Giardini gezeigten Kurz­filmen »Nyau Cinema (Hyste­resis)« aber nicht nur durch sein konse­quentes Verwei­gern von Erwar­tungen. Mehr noch gelingt es Kambalu der klas­si­schen, immer wieder völlig über­bor­denden und auf Ausstel­lungen kaum mehr zu bewäl­ti­genden Flut von über­langen Video­in­stal­la­tionen ein neues Format entge­gen­zu­stellen und es gleich noch mit einem Zehn­punkte-Manifest zu unter­mauern. Kambalu fordert darin nicht nur die Begren­zung der Filmlänge auf eine Minute, sondern vor allem auch ihre Alltags­taug­lich­keit und weiss noch acht weitere Forde­rungen hinzu­zu­fügen, die »seine« Art von Kino erfüllen sollte.

Screenshot <q>Draw</q>
Alltag Bank­au­tomat – Kambalus Draw – Nyau Cinema (Hyste­resis)

Was Kambalu darunter versteht, zeigt sich in seinen Filmen. In »Draw« will ein Mann – von Kambalu selbst verkör­pert – Geld am Bank­au­to­maten abheben und gerät in einen sich wieder­ho­lenden Luftsog, der ihn vom Automaten wegzieht. In »Branch« steht Kambalu auf einem abge­sägten Baum und fällt nach vorne, wird durch einen Loop-Effekt jedoch immer wieder abge­fangen und in »An artist makes a head« beob­achten wir Kambalu beim Aufsetzen einer Maske. Alle Filme refe­ren­zieren offen­sicht­lich histo­risch auf die großen Slapstick-Zeiten des Stumm­films, sie sind dementspre­chend entfremdet, getaktet, verspielt und mit Ironie und Humor unterlegt, doch gleich­zeitig sind sie auch ein Verweis auf den masken­be­tonten Initia­ti­ons­ritus »Nyau« der in Malawi und Zambia lebenden Chewa-Ethnie.

Doch mehr noch als diese histo­ri­schen und kultu­rellen Refe­renzen erzählt Kambalu auch die Geschichte des Kinos in seiner Heimat Malawi, einem kleinen Land im südlichen zentralen Afrika, in dem diese Art von Nyau-Cinema in Kambalus Kindheit die einzige Art von Kino war, die die Bevöl­ke­rung auf dem Land erreichte. Denn oft waren es nur noch Bruchs­tücke von einst ganzen Filmen, die auf veral­teten Projek­toren gezeigt werden konnten. Aus der Not entwi­ckelten die Vorführer eine Tugend, schnitten neu zusammen, was nicht mehr ganz war, mussten immer wieder von vorne beginnen, weil wieder etwas gerissen war und entwi­ckelten somit ein expe­ri­men­telles Kino, dass seines­glei­chen suchte.

Screenshot <q>An Artist Makes a Head</q>
Alltag Maskerade – Kambalus An Artist Makes a Head – Nyau Cinema (Hyste­resis)

Kambalu versucht in seinem Nyau-Cinema nicht nur diese Tradi­tionen zu pflegen, sondern auch die eigent­liche Produk­tion des Films diesen Tradi­tionen anzu­passen. In immer wieder unter­schied­li­chen Outfits (Masken) geht der in London lebende Kambalu durch die Straßen und lässt sich inspi­rieren, von Land­schaften, Archi­tek­turen und Emotionen. Hat er eine Idee, bittet er Passanten, ihn für eine der Kurz­ein­stel­lungen zu filmen und damit nicht nur den Film zu einer Reflexion über Grat­wan­de­rungen im Alltag, sondern auch die Produk­tion selbst dementspre­chend zu trans­for­mieren. Und damit Baustein zu den viel­leicht einzigen Video­in­stal­la­tionen zu werden, die sich jeder Betrachter von Anfang bis Ende ansieht.

Samson Kambalus Nyau-Cinema-Arbeiten sind noch bis zum 22.11.2015 auf der 56. Biennale Arte in Venedig zu sehen.

Literatur & Links: