Nyau 10 statt Dogma 95 |
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Samson Kambalus Branch |
Von Axel Timo Purr
»In Africa even when you pray to a fetish or a thing, if it doesn’t give us answers, we discard it, burn it and make another one.«
Samson Kambalu im Gespräch mit Kabelo Malatsie und Marc Berben, Kapstadt, Sepember 2014
Der Kampf um Afrika geht in eine weitere Runde. Waren es bislang politische und wirtschaftlich motivierte Runden, ist es nun die Kunst, die an der Reihe ist. Weltweit steigt der Marktwert für Kunstwerke aus dem afrikanischen Raum kontinuierlich; selbst auf dem afrikanischen Binnenmarkt wie etwa in Dakar werden Preise verlangt, die denen in Paris in nichts mehr nachstehen.
Auch die diesjährige Biennale in Venedig trägt dieser Entwicklung Rechnung. Und dies nicht nur durch seinen aus dem nigerianischen Calabar stammenden Kurator Okwui Enwezor, sondern vor allem durch die Einflechtung des Themas Migration bzw. der Präsenz des »Anderen«: Mal wird dies von nicht-afrikanischen Künstlern verhandelt wie etwa im deutschen Pavillion durch Tobias Zielonys Fotoserie »The Citizen« oder aber aber wie im spanischen Pavillion das filmisch festgehaltene Migrations-Psychodrama »17« mit afrikanischer Statistenbeteiligung. Doch fast alle diese Arbeiten verpuffen spätestens dann zu einem fragwürdigen Gedankenspiel, wenn man auf die Verzweiflung eines echten Migranten aus Eritrea trifft, der mit allen Mitteln versucht, im Zug nach München Deutschland zu erreichen und dabei fast von einem gummigepufferten Gelenk zwischen den Waggons zerquetscht wird.
Vielleicht ist es gerade deshalb nicht nur mutig, sondern geradezu vermessen, wenn es einem afrikanischen Künstler gelingt, den drei gemeinhin für Afrika stehenden »Ks« (Kriege, Krisen, Kranke) einfach den Rücken zuzukehren und so etwas wie menschliche und künstlerische Normalität herzustellen – und dabei auch noch zu gewinnen.
Samson Kambalu überrascht mit seinem im internationalen Pavillion in den Giardini gezeigten Kurzfilmen »Nyau Cinema (Hysteresis)« aber nicht nur durch sein konsequentes Verweigern von Erwartungen. Mehr noch gelingt es Kambalu der klassischen, immer wieder völlig überbordenden und auf Ausstellungen kaum mehr zu bewältigenden Flut von überlangen Videoinstallationen ein neues Format entgegenzustellen und es gleich noch mit einem Zehnpunkte-Manifest zu untermauern. Kambalu fordert darin nicht nur die Begrenzung der Filmlänge auf eine Minute, sondern vor allem auch ihre Alltagstauglichkeit und weiss noch acht weitere Forderungen hinzuzufügen, die »seine« Art von Kino erfüllen sollte.
Was Kambalu darunter versteht, zeigt sich in seinen Filmen. In »Draw« will ein Mann – von Kambalu selbst verkörpert – Geld am Bankautomaten abheben und gerät in einen sich wiederholenden Luftsog, der ihn vom Automaten wegzieht. In »Branch« steht Kambalu auf einem abgesägten Baum und fällt nach vorne, wird durch einen Loop-Effekt jedoch immer wieder abgefangen und in »An artist makes a head« beobachten wir Kambalu beim Aufsetzen einer Maske. Alle Filme referenzieren offensichtlich historisch auf die großen Slapstick-Zeiten des Stummfilms, sie sind dementsprechend entfremdet, getaktet, verspielt und mit Ironie und Humor unterlegt, doch gleichzeitig sind sie auch ein Verweis auf den maskenbetonten Initiationsritus »Nyau« der in Malawi und Zambia lebenden Chewa-Ethnie.
Doch mehr noch als diese historischen und kulturellen Referenzen erzählt Kambalu auch die Geschichte des Kinos in seiner Heimat Malawi, einem kleinen Land im südlichen zentralen Afrika, in dem diese Art von Nyau-Cinema in Kambalus Kindheit die einzige Art von Kino war, die die Bevölkerung auf dem Land erreichte. Denn oft waren es nur noch Bruchstücke von einst ganzen Filmen, die auf veralteten Projektoren gezeigt werden konnten. Aus der Not entwickelten die Vorführer eine Tugend, schnitten neu zusammen, was nicht mehr ganz war, mussten immer wieder von vorne beginnen, weil wieder etwas gerissen war und entwickelten somit ein experimentelles Kino, dass seinesgleichen suchte.
Kambalu versucht in seinem Nyau-Cinema nicht nur diese Traditionen zu pflegen, sondern auch die eigentliche Produktion des Films diesen Traditionen anzupassen. In immer wieder unterschiedlichen Outfits (Masken) geht der in London lebende Kambalu durch die Straßen und lässt sich inspirieren, von Landschaften, Architekturen und Emotionen. Hat er eine Idee, bittet er Passanten, ihn für eine der Kurzeinstellungen zu filmen und damit nicht nur den Film zu einer Reflexion über Gratwanderungen im Alltag, sondern auch die Produktion selbst dementsprechend zu transformieren. Und damit Baustein zu den vielleicht einzigen Videoinstallationen zu werden, die sich jeder Betrachter von Anfang bis Ende ansieht.
Samson Kambalus Nyau-Cinema-Arbeiten sind noch bis zum 22.11.2015 auf der 56. Biennale Arte in Venedig zu sehen.