16.07.2015

Zwischen Diplo­maten, Philo­so­phen & Zombies

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
Vollkommen unerwartet – der vergnügliche Zombie-Film Jeruzalem

Auf politisch-kultureller Mission: Das Jerusalem-Filmfestival unterzieht sich einer Verjüngungskur

Von Rüdiger Suchsland

Er war eine der schil­lerndsten Figuren am Himmel der inter­na­tio­nalen Politik der letzten Jahr­zehnte: Richard Holbrooke. Als Kind deutscher Juden, die in den 30er Jahren emigriert waren, wurde Holbrooke der erste jüdische US-Botschafter in der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land. Zuvor schon hatte er schwie­rige Missionen in Indochina mit Bravour erledigt, und ab 1992 wurde er unter Präsident Bill Clinton Washing­tons Mann für besondere Aufgaben. Untrennbar verbunden ist Holbrookes Name mit Dayton, dem schwie­rigen Abkommen, das den jugo­sla­wi­schen Bürger­krieg beendete. Als Holbrooke Ende 2010 über­ra­schend starb, verhan­delte er gerade über eine Lösung des Afgha­nistan-Konflikts. Jetzt hat sein Sohn David einen Doku­men­tar­film über seinen Vater gedreht, der jetzt beim Inter­na­tio­nalen Film­fes­tival von Jerusalem (JFF) Premiere feierte, und viel mehr ist, als eine Hommage und die Vater­suche eines Sohnes: Dies ist auch ein Dokument der hohen Kunst der Diplo­matie und jener Gene­ra­tion, die in den 1940ern geboren, durch die Bürger­rechts­be­we­gung der Sechziger Jahre sozia­li­siert wurde, und aus beiden Erfah­rungen Lehren für die Zukunft gezogen hat. The Diplomat erinnert vor allem daran, was Amerika in den letzten zwei Dekaden innen- wie außen­po­li­tisch verloren hat: Die Fähigkeit zu Kompro­missen. Weder Holbrookes Inter­view­partner – u.a. Henry Kissinger, Al Gore, Madeleine Albright, Kofi Annan – noch er selbst sparen mit Kritik an Bushs und Obamas Admi­nis­tra­tionen. »Dieser Film hält auch uns Israelis den Spiegel vor« rückt Noa Regev, die junge neue Direk­torin des »JFF« diesen Film in einen aktuellen poli­ti­schen Zusam­men­hang. »Unsere Politiker könnten von Holbrooke lernen, wie man aus ideo­lo­gi­schen Fallen heraus­findet und Brücken baut. Au ßerdem zeige der Film, wie inter­na­tio­nale Politik wirklich funk­tio­niert.«

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Seit 2014 leitet die junge Film­wis­sen­schaft­lerin in Perso­nal­union das Film­fes­tival und die Jeru­sa­lemer Cine­ma­teque, die unterhalb des Mount Zion ideal gelegen mit ihren vier Kinos nicht nur als Festi­vals­tätte dient, sondern seit ihrer Gründung Anfang der 80er Jahre auch ganz­jährig zu »dem« Zentrum der israe­li­schen Filmwelt gewachsen ist. Die Fußstapfen, in die Regev dabei tritt, könnten kaum größer sein: Letzten März starb 93-jährig Lia van Leer, die legendäre Grün­dungs­di­rek­torin der Cine­ma­teque wie des JFF und die »grande dame« des israe­li­schen Kinos. Bis 2013 leitete sie selbst das JFF und die in den Nieder­landen behei­ma­tete »Van Leer Group Foun­da­tion« sichert weiterhin auch den Bestand des Festivals in die lang­fris­tige Zukunft. »Lia war eine unver­gleich­liche Persön­lich­keit«, erinnert Regev, »wir werden nie vergessen, was sie geschaffen hat, und sind ihrer Mission verpflichtet.« Auch in Zukunft werde das JFF sich auf Auto­ren­filme konzen­trieren, auf indi­vi­du­elle Hand­schriften von Filme­ma­chern. »Wir wollen Filme zeigen, die das israe­li­sche Publikum ohne uns nicht zu sehen bekommt.« Das heißt Filme ohne israe­li­schen Verleih und Neuent­de­ckungen, aber auch Filme, die politisch gerade nicht opportun sind. »Wir haben bislang keinerlei Zensur-Probleme betonte Regev zu Beginn ihrer zweiten JFF-Ausgabe als Direk­torin, ›aber natürlich gab und gibt es immer wieder verein­zelte Kritik an bestimmten Filmen. Das ist gut, denn wir wollen Debatten auslösen und Denk­an­s­töße geben.‹ Das Festival solle nach seinem Ende in den Köpfen und Herzen der Menschen weiter­leben.
Der Erfolg beim Publikum gibt ihr recht. Die JFF-Kinos sind voll, und oft ausver­kauft, das Publikum ist in jeder Hinsicht gemischt, sehr neugierig und kommt nicht nur aus der unmit­tel­baren Nach­bar­schaft. Das sei nur mit Hilfe privater Sponsoren möglich, so Regev: ›Wir haben nicht viel, aber genug. Ich kann nicht klagen.‹ Es liegt auch daran, dass das JFF das wich­tigste Schau­fenster des israe­li­schen Kinos ist: ›Ein wichtiges Anliegen ist es‹, so Regev, ›Menschen aus anderen Ländern nach Jerusalem zu locken, und ihnen zu zeigen, was Israel zu bieten hat.‹«

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Da können die Zuschauer dann Filme sehen, wie Tova Ashers A.k.a. Nadia, das Drama einer Frau, die seit 20 Jahren das Leben einer jüdischen Karrie­re­frau lebt. Keiner weiss und sie selbst hat fast vergessen, dass ihre Mutter eine Araberin war. Doch irgend­wann kommt das Verdrängte zurück. Oder Avishai Sivans Tikkun in dem ein ultra-ortho­doxer Student eine Nahtod­er­fah­rung macht und fortan von Alpträumen gequält und in seinem Glauben erschüt­tert wird.
Aber auch ganz anderes und voll­kommen Uner­war­tetes: Zu einem Renner am ersten Woche­n­ende wurde Jeruzalem. Die Brüder Yovav und Dorin Paz – die sich nun schmissig »Paz Brothers« nennen – haben zusammen einen überaus vergnüg­li­chen Zombie-Film gedreht, der komplett in der Altstadt von Jerusalem spielt. Als sich die Untoten aus dem Grab erheben, kann auch die Armee nicht viel machen – eine Gruppe aus hübschen Touris­tinnen, Soldaten, einem Apoka­lyp­tiker und einem Verrückten irrt durch die Gassen und kämpft im Paranoia-Chaos ums Überleben. Was Jeruzalem filmisch heraus­ragen lässt, ist, dass er a la Blair Witch Project mit einer »Google-Brille« und scheinbar in einer konti­nu­ier­li­chen Einstel­lung aus dem Blick­winkel einer Betei­ligten gedreht ist. Zudem ist der Film auch eine kluge Umdeutung von Terror­angst, Anti-Terror­kampf und allge­meiner, in Israel verbrei­teter Paranoia. Jeruzalem ist zudem auch ein Beispiel für die ästhe­ti­sche Verjün­gungskur, die Regev seit ihrem Antritt dem Festival verordnet.

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Ob so einem Film wohl die durchaus zu Späßen aufge­legte und an Unge­wöhn­li­chem inter­es­sierte deutsche Philo­so­phin Hannah Arendt etwas hätte abge­winnen können? Viel­leicht schon – zumindest zeichnet Ada Ushpiz in ihrem Doku­men­tar­film Vita Activa, the Spirit of Hannah Arendt ein unge­wöhn­li­ches und sehr facet­ten­rei­ches Porträt der Philo­so­phin. Der Film erinnert vor allem daran, dass Arendt so viel mehr war, als die Frau, die sich als Repor­terin des Eichmann-Prozesses mit den jüdischen Orga­ni­sa­tionen der ganzen Welt anlegte und die Geliebte des faschis­ti­schen Denkers Martin Heidegger war – worauf sie nicht nur in Marga­rethe von Trottas anstän­digem, aber eben limi­tierten Biopic oft reduziert wird. Der Film zeigt Arendt als eine jüdische Exis­ten­tia­listin, die den Versu­chungen des Marxismus so wenig nachgab wie denen des Anti­kom­mu­nismus, die Biogra­phin von Rosa Luxemburg, Rachel Varnhagen und von Brecht war, die sich schon mit poli­ti­scher Theorie befasste, als das noch unfein war und Denk-Kate­go­rien entwi­ckelte, die sie heute zu einer der einfluss­reichsten Denke­rinnen des 20. Jahr­hun­derts machen. Hoffent­lich ist nicht nur dieser Film des JFF auch bald in Deutsch­land zu sehen.