Zwischen Diplomaten, Philosophen & Zombies |
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Vollkommen unerwartet – der vergnügliche Zombie-Film Jeruzalem |
Er war eine der schillerndsten Figuren am Himmel der internationalen Politik der letzten Jahrzehnte: Richard Holbrooke. Als Kind deutscher Juden, die in den 30er Jahren emigriert waren, wurde Holbrooke der erste jüdische US-Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland. Zuvor schon hatte er schwierige Missionen in Indochina mit Bravour erledigt, und ab 1992 wurde er unter Präsident Bill Clinton Washingtons Mann für besondere Aufgaben. Untrennbar verbunden ist Holbrookes Name mit Dayton, dem schwierigen Abkommen, das den jugoslawischen Bürgerkrieg beendete. Als Holbrooke Ende 2010 überraschend starb, verhandelte er gerade über eine Lösung des Afghanistan-Konflikts. Jetzt hat sein Sohn David einen Dokumentarfilm über seinen Vater gedreht, der jetzt beim Internationalen Filmfestival von Jerusalem (JFF) Premiere feierte, und viel mehr ist, als eine Hommage und die Vatersuche eines Sohnes: Dies ist auch ein Dokument der hohen Kunst der Diplomatie und jener Generation, die in den 1940ern geboren, durch die Bürgerrechtsbewegung der Sechziger Jahre sozialisiert wurde, und aus beiden Erfahrungen Lehren für die Zukunft gezogen hat. The Diplomat erinnert vor allem daran, was Amerika in den letzten zwei Dekaden innen- wie außenpolitisch verloren hat: Die Fähigkeit zu Kompromissen. Weder Holbrookes Interviewpartner – u.a. Henry Kissinger, Al Gore, Madeleine Albright, Kofi Annan – noch er selbst sparen mit Kritik an Bushs und Obamas Administrationen. »Dieser Film hält auch uns Israelis den Spiegel vor« rückt Noa Regev, die junge neue Direktorin des »JFF« diesen Film in einen aktuellen politischen Zusammenhang. »Unsere Politiker könnten von Holbrooke lernen, wie man aus ideologischen Fallen herausfindet und Brücken baut. Au ßerdem zeige der Film, wie internationale Politik wirklich funktioniert.«
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Seit 2014 leitet die junge Filmwissenschaftlerin in Personalunion das Filmfestival und die Jerusalemer Cinemateque, die unterhalb des Mount Zion ideal gelegen mit ihren vier Kinos nicht nur als Festivalstätte dient, sondern seit ihrer Gründung Anfang der 80er Jahre auch ganzjährig zu »dem« Zentrum der israelischen Filmwelt gewachsen ist. Die
Fußstapfen, in die Regev dabei tritt, könnten kaum größer sein: Letzten März starb 93-jährig Lia van Leer, die legendäre Gründungsdirektorin der Cinemateque wie des JFF und die »grande dame« des israelischen Kinos. Bis 2013 leitete sie selbst das JFF und die in den Niederlanden beheimatete »Van Leer Group Foundation« sichert weiterhin auch den Bestand des Festivals in die langfristige Zukunft. »Lia war eine unvergleichliche Persönlichkeit«, erinnert Regev, »wir werden nie
vergessen, was sie geschaffen hat, und sind ihrer Mission verpflichtet.« Auch in Zukunft werde das JFF sich auf Autorenfilme konzentrieren, auf individuelle Handschriften von Filmemachern. »Wir wollen Filme zeigen, die das israelische Publikum ohne uns nicht zu sehen bekommt.« Das heißt Filme ohne israelischen Verleih und Neuentdeckungen, aber auch Filme, die politisch gerade nicht opportun sind. »Wir haben bislang keinerlei Zensur-Probleme betonte Regev zu Beginn ihrer zweiten
JFF-Ausgabe als Direktorin, ›aber natürlich gab und gibt es immer wieder vereinzelte Kritik an bestimmten Filmen. Das ist gut, denn wir wollen Debatten auslösen und Denkanstöße geben.‹ Das Festival solle nach seinem Ende in den Köpfen und Herzen der Menschen weiterleben.
Der Erfolg beim Publikum gibt ihr recht. Die JFF-Kinos sind voll, und oft ausverkauft, das Publikum ist in jeder Hinsicht gemischt, sehr neugierig und kommt nicht nur aus der unmittelbaren
Nachbarschaft. Das sei nur mit Hilfe privater Sponsoren möglich, so Regev: ›Wir haben nicht viel, aber genug. Ich kann nicht klagen.‹ Es liegt auch daran, dass das JFF das wichtigste Schaufenster des israelischen Kinos ist: ›Ein wichtiges Anliegen ist es‹, so Regev, ›Menschen aus anderen Ländern nach Jerusalem zu locken, und ihnen zu zeigen, was Israel zu bieten hat.‹«
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Da können die Zuschauer dann Filme sehen, wie Tova Ashers A.k.a. Nadia, das Drama einer Frau, die seit 20 Jahren das Leben einer jüdischen Karrierefrau lebt. Keiner weiss und sie selbst hat fast vergessen, dass ihre Mutter eine Araberin war. Doch irgendwann kommt das Verdrängte zurück. Oder Avishai Sivans Tikkun in dem ein ultra-orthodoxer Student eine Nahtoderfahrung macht und fortan von Alpträumen gequält und in seinem Glauben
erschüttert wird.
Aber auch ganz anderes und vollkommen Unerwartetes: Zu einem Renner am ersten Wochenende wurde Jeruzalem. Die Brüder Yovav und Dorin Paz – die sich nun schmissig »Paz Brothers« nennen – haben zusammen einen überaus vergnüglichen Zombie-Film gedreht, der komplett in der Altstadt von Jerusalem spielt. Als sich die Untoten aus dem Grab erheben, kann auch die Armee nicht viel machen – eine Gruppe aus hübschen Touristinnen,
Soldaten, einem Apokalyptiker und einem Verrückten irrt durch die Gassen und kämpft im Paranoia-Chaos ums Überleben. Was Jeruzalem filmisch herausragen lässt, ist, dass er a la Blair Witch Project mit einer »Google-Brille« und scheinbar in einer kontinuierlichen Einstellung aus dem Blickwinkel einer Beteiligten gedreht ist. Zudem ist der Film
auch eine kluge Umdeutung von Terrorangst, Anti-Terrorkampf und allgemeiner, in Israel verbreiteter Paranoia. Jeruzalem ist zudem auch ein Beispiel für die ästhetische Verjüngungskur, die Regev seit ihrem Antritt dem Festival verordnet.
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Ob so einem Film wohl die durchaus zu Späßen aufgelegte und an Ungewöhnlichem interessierte deutsche Philosophin Hannah Arendt etwas hätte abgewinnen können? Vielleicht schon – zumindest zeichnet Ada Ushpiz in ihrem Dokumentarfilm Vita Activa, the Spirit of Hannah Arendt ein ungewöhnliches und sehr facettenreiches Porträt der Philosophin. Der Film erinnert vor allem daran, dass Arendt so viel mehr war, als die Frau, die sich als Reporterin des Eichmann-Prozesses mit den jüdischen Organisationen der ganzen Welt anlegte und die Geliebte des faschistischen Denkers Martin Heidegger war – worauf sie nicht nur in Margarethe von Trottas anständigem, aber eben limitierten Biopic oft reduziert wird. Der Film zeigt Arendt als eine jüdische Existentialistin, die den Versuchungen des Marxismus so wenig nachgab wie denen des Antikommunismus, die Biographin von Rosa Luxemburg, Rachel Varnhagen und von Brecht war, die sich schon mit politischer Theorie befasste, als das noch unfein war und Denk-Kategorien entwickelte, die sie heute zu einer der einflussreichsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts machen. Hoffentlich ist nicht nur dieser Film des JFF auch bald in Deutschland zu sehen.