Der Unvollendete – Guillermo del Toro, der große Zauber seiner Filme und seine große Kunst des Scheiterns |
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Crimson Peak – del Toros bislang düsterster Film in englischer Sprache |
Märchen für Erwachsene sind alle seine Filme: Voller Zauber, aber immer über dem Abgrund, voller Sehnsucht, aber erfüllt von Schmerzen und Trauer. Seine Filme sind überaus gefühlvoll, sie sind nie ganz zu Ende gedacht und genau in diesen kleinen Leerstellen, die sie sich selber zugestehen, liegt nicht nur ihr Charme, sondern auch die Faszination, die sie auf ihre Zuschauer ausüben. Der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro (geboren am Oktober 1964) erzählt vom Fremden, vom Bizarren, vom Phantastischen, und er tut das auf eine seltsame Weise: Er legt eine Verwundbarkeit und Offenheit an den Tag, die immer spürbar bleiben lässt, dass es die des Regisseurs selber ist, nicht nur die seiner Figuren. Del Toro ist erfüllt von einer Sehnsucht, die in dem Sinn kindlich ist, als dass sie unschuldig und ungerichtet ist, dass sie da ist, nicht weil der Regisseur es will, sondern weil er nicht anders kann. Dieser Eindruck des Verwundbaren, Offenen, Sehnsüchtigen unterscheidet einen del-Toro-Film von anderen, von den durchschnittlichen Genrefilmen.
Denn Genre sind diese Märchen für Erwachsene alle. Horror, Fantasy, Science-Fiction, Superheldenfilm. Aber darin auch Autorenfilme, denn sie besitzen eine Kontinuität und eine Handschrift, die mindestens auf den zweiten Blick klar erkennbar ist.
Die Lehrjahre als Maskenbildner und Set-Designer sieht man den anspruchsvollen Bildwelten von del Toros Filmen jederzeit an. Es gibt eine erkennbare Lust an Plastizität und Details der Ausstattung. Del Toros Bilder sind oft in ein
charakteristisches gelbliches Licht getaucht, das hier selten morbid oder fahl wirkt, sondern eher dem Geschehen einen goldenen verklärenden und auch altmodisch-nostalgioschen Schimmer verleiht.
Zugleich wirkt die streng-katholische Erziehung nach. Möglicherweise darf man del Toro in dieser Hinsicht mit Luis Bunuel vergleichen, der sich mehr als einmal als »katholischen Atheisten« bezeichnet hat. Denn del Toros Helden sind moralische Figuren, die sich explizit und unter Einsatz ihres Lebens für das Gute einsetzen. So gibt es große Ähnlichkeiten zwischen dem Superheld Hellboy, den Waisen in The Devils Backbone und dem Mädchen in Pans Labyrinth. Sie sind einsam und verlassen, aber in ihrem Handeln kompromisslos und entschlossen. Sie sind »rein«. Sie könnten sich opfern. Potentieller Märtyrer-Existenzen.
Verbunden sind solche Motive mit einem starken Interesse für Transzendenz und Spiritualität – allerdings in alle Richtungen: Das Übernatürliche ist es, das del Toro anzieht. Sein Wert handelt von Geistern aus dem Jenseits, von sonderbaren, machtvollen Kräften und vom Unheimlichen.
Weltanschaulich ist del Toro in seinen Filmen ein Anarchist: Seine Schurken sind autoritäre Charaktere und Möchtegern-»Führer«: Industriebosse, Militärs oder gleich direkt Francisten und Nazis als Gegenspieler des »Hellboy«.
Im mexikanischen Kino ist del Toro eher eine Ausnahme. Zwar arbeitete er immer wieder im Dunstkreis der drei bekanntesten mexikanischen Autorenfilmer der letzten zwei Jahrzehnte, der etwa gleichalten Alfonso Cuaron, Alejandro Gonzalez Innaritu und Guillermo Arriaga, zu denen man auch noch Carlos Reygadas rechnen kann. Aber er beschritt doch deutlich seinen eigenen Weg stilistisch und in der Wahl seiner Themen eher abseits des Autorenkinos. Noch früher als Cuaron und Innarito begann er in den USA zu arbeiten. Vielleicht hat es damit zu tun, dass del Toro als Einziger der Genannten nicht aus Mexico-City stammt? Er wuchs im nordwestlichen Guadalajara auf, an dessen lokaler Filmschule er auch studierte. Zudem legte sich del Toro weniger deutlich auf das Regiefach fest. Er gründete früh das Guadalajara International Film Festival und zwei eigene Produktionsfirmen, »Necropia« und »Tequila Gang«. Mit ihnen und seit 2010 dann mit seiner neuen Firma »Mirada Studios« tritt er immer wieder als Produzent in Erscheinung, auch als großzügiger Financier und Ermöglicher von Werken, die ohne sein Zutun und die Hilfe seines Namens nicht gemacht werden könnten.
Wenn man das bisherige Schaffen von del Toro ordnen will, gibt es mehrere Möglichkeiten: Man könnte zum Beispiel das Werk des Regisseurs von dem des Produzenten unterscheiden. Aber das führt nicht weit, denn dann stehen acht Filmen als Regisseur 16 Filme als Produzent gegenüber, darunter den spanischen Blockbuster El orfanato und der Animationsfilm Kung Fu Panda 2.
Zudem müsste man hinzufügen, dass del Toro, der schon mehrfach betont hat, dass ihm Literatur noch wichtiger sei, als das Kino, auch seit 2009 vier Romane veröffentlicht hat: Die »Strain-Trilogie« (»Die Saat«, »Das Blut«, »Die Nacht«), die inzwischen zu einer Fernsehserie
geworden ist.
Diese Serie, die gerade auf Pro Sieben läuft, ist großartig: »Good times never seemed so good« singt Neil Diamond. Während sein Song »Sweet Caroline« im Radio läuft, wachen die Untoten im Leichenhaus auf und verschlingen den Arzt, der sie eigentlich gerade obduzieren möchte – einer der Höhepunkte des Auftakts von The Strain, der ersten Fernseh-Serie, die del Toro als
Produzent und Autor entwickelte. Dass del Toro im Grunde ein Klassizist ist, zeigt sich hier mit seltener Deutlichkeit. Denn zwar geht es um das irgendwie immer noch modische Thema Vampirismus – der Ansatz ist aber altmodisch: Vampire als Schreckensgestalten, als mörderische menschenfeindliche Kreaturen, mit denen ein gedeihliches Zusammenleben keinesfalls möglich ist. Kein Hauch der Niedlichkeiten von »True Blood« oder Twilight also.
Die Pilotfolge – die einzige, in der del Toro auch Regie führte – gibt den Takt vor: Ein Linienflugzeug landet im New Yorker John F. Kennedy-Airport. Bis zur Landung war alles normal, doch nun steht die auffallend kalte Maschine am Rand des Rollfelds, ohne Lebenszeichen der Insassen. Da
vieles auf eine Infektion hindeutet, werden Epidemiologie-Experten gerufen. Sie finden vier Überlebende, über 200 Menschen sind tot – doch das ist nur der Anfang zunächst unerklärlicher Vorgänge. Denn bald wachen die Toten wieder auf. Die Vampire ähneln eher Rieseninsekten mit Saugrüsseln, zugleich pflanzt sich der Vampirismus mittels kleiner feiner weißer hungriger Würmchen fort – als wärs ein Film von Cronenberg. Im Grunde ist »The Strain« eine geschickte, in
Serienform gegossene Mischung aus Vampir- und Zombie-Schocker und Bio-Horror, aufgepeppt mit Splatter-Effekten und grundiert mit unübersehbarer Geschichtspolitik. Denn im Zentrum des Bösen stehen sinistre Weltherrschaftspläne untoter Nazis, und die haben – kaum überraschend – etwas mit amerikanischer Außenpolitik zu tun. Die Helden dagegen sind Juden, Latinos und Armenier.
Eine Weile versuchte man zwischen persönlichen Projekten und angeblichen Auftragsarbeiten zu unterscheiden. Doch dem widersprach der Regisseur heftig. Man müsse seine Filme ja nicht alle mögen, die sie stünden ihm gleich nahe.
Vielleicht ist die inhaltlich sinnvollste Differenz die zwischen den spanischsprachigen und den englischsprachigen Filmen del Toros. Seine persönlicheren Filme, so hat es den Anschein, hat der Mexikaner auf Spanisch gedreht, und mehrfach sogar in
Spanien: Nach etwa zehn Kurzfilmen (»Doña Lupe« und »Geometria« sind zugänglich) und der Regie von fünf Episoden der mexikanischen »Kult«-Fernsehserie »La Hora Marcada« debütierte er 1993 mit dem Fantasydrama »Cronos (La invención de Cronos)«. Gleich nach diesem Debüterfolg bekam er die Möglichkeit einen Hollywood-Horrorfilm zu drehen: »Mimic – Angriff der Killerinsekten« ist in seiner Unverfrorenheit wie in seinen offenkundigen Schwächen und seinem Billig-Charme ein
veritabler B-Movie. Auf die beiden in den Nachwehen des spanischen Bürgerkriegs angesiedelten The Devils Backbone und Pans Labyrinth sollte ein dritter Film zur spanischen Geschichte folgen – »3993« – der aber nie gemacht
wurde.
Es folgten ein zweiter Hellboy, der unbefriedigende Ausflug nach Mittelerde, dann Pacific Rim (2013) – ein von Spezialeffekten dominierter Science Fiction-Film. Die Geschichte kreist um riesige futuristische Kampfmaschinen, die gegen Außerirdische kämpfen und um
Mensch-Maschine-Verschmelzungen, zugleich wird eine Erlösungsphantasie erzählt – und trotzdem vielleicht das am wenigstens märchenhaftestes Werk des Regisseurs.
Jetzt kommt Crimson Peak ins Kino. Sein neuer Film sei sein düsterster Film in englischer Sprache, äußerte sich der Regisseur in Interviews. Es ist aber auch ein großartiger Film, bombastisch, elegisch, und schön, für den del Toro, der bereits als Kind Hitchcock zu seinem Lieblingsregisseur wählte, und mit 23 Jahren ein Buch über ihn geschrieben hat, Daphne du Mauriers von Hitchcock verfilmtes Rebecca als zentralen Einfluss nennt, aber auch spätromantische britische Literatur wie »Wuthering Heights« und »Jane Eyre« von den Schwestern Emily und Charlotte Bronte. Ein schwarzes Melodram, das uns daran erinnert, dass dieses Wort eigentlich meint: Gesangsdrama.
Den acht Spielfilmen, die del Toro seit 1993 als Regisseur fertig gestellt hat, stehen nicht weniger als 15 fertige Drehbücher gegenüber, aus denen kein Spielfilm wurde. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Es gibt die langwierige Arbeit am »Hobbit«-Projekt, bei dem Peter Jackson am Ende offenbar doch selber Regie führen wollte, del Toro aber als Drehbuch-Co-Autor aller drei Teile genannt wurde. Aber es gibt auch gescheiterte Vampir- und Pinocchio-Stoffe. Vielleicht liegt es auch an der Kompromisslosigkeit eines Regisseurs, der sehr genaue Vorstellungen von dem hat, was er anpackt. Oder ist hier nicht doch eher einer am Werk, der eine Tendenz hat, sich zwischen sehr vielen Interessen zu »verzetteln«?
Man hat den Eindruck, dass de Toro bis heute, mit 50 Jahren noch nicht wirklich dort angekommen ist, wo er hin möchte, dass er noch nicht den Film gemacht hat, zu dem er fähig ist. Del Toro würde auch dieser Feststellung widersprechen. Mehrfach hat er formuliert, ein Filmemacher drehe in seiner Karriere immer nur einen einzigen Film, und jede seiner Arbeiten sei ein gleich legitim legitimes Teilstück daran.
Pans Labyrinth bleibt auch heute, nach zehn Jahren derjenige seiner Filme, der del Toro die meiste Anerkennung als Autorenfilmer einbrachte, und die meisten internationalen Meriten. Schließlich nahm er damit am Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes teil, und gewann später drei Oscars, unter anderen den für die beste Kamera und war immerhin als »bester Regisseur« nominiert. Die Konzentration auf dieses Meisterwerk ist bei aller Anerkennung seiner Qualitäten vielleicht doch ein bisschen ungerecht, denn The Devil’s Backbone und zuvor schon Cronos, die ebenfalls unglaublich starke und zugleich originelle filmische Entwürfe sind. Viele hätten jedenfalls seit 2006 gern mehrere Filme im Geist von »Pan« gesehen, Filme, die ein ganzes eigenes Universum auf die Leinwand werfen. Möglicherweise wäre dies »At the Mountains of Madness« geworden, die Verfilmung der gleichnamigen Novelle von H.P.Lovecraft, an der del Toro mehrere Jahre arbeitete, bevor das Projekt vom Studio gestoppt wurde.
Es gibt Pläne für einen »Frankenstein«-Film und für einen Film namens »Saturn and the End of Days« – alle drei Projekte scheinen für del Toro zurück auf die Fährten von Pans Labyrinth zu führen: »Gothic« Horror-Fabeln, die dem Schrecken Poesie nicht untermischen, sondern deren essentieller Bestandteil sie ist. Wieder märchenhafte Geschichten, in denen Gegenwelten Abgrund und tröstendes Refugium zugleich sind. Und die in ungesehene, neue, unverbrauchte Bilder gekleidet sind, die in ihrer Phantastik den Zuschauer nicht mehr loslassen, sondern zu einem Bestandteil seines Bilderkosmos werden.
Möglicherweise findet dieses einfallsreiche große Kind, diese Spielernatur des Gegenwartskinos in einem von diesen Werken ihre persönliche Erfüllung – überraschen und faszinieren dürften sie uns in jedem Fall.