02.06.2016

Schil­lernde Film­perlen aus Japan

RYUZO AND THE SEVEN HENCHMEN
Nippon Cinema Award 2016 – RYUZO AND THE SEVEN HENCHMEN

Vom 24. bis zum 29. Mai fand in Frankfurt am Main zum 16. Mal das japanische Filmfestival NIPPON CONNECTION statt.

Von Gregor Torinus

Aber was für eine Verbin­dung existiert eigent­lich zwischen der Main­me­tro­pole und dem Land der aufge­henden Sonne? Würde man so ein Festival in Deutsch­land nicht viel eher in Düssel­dorf erwarten – einer Stadt, in der ein Japaner vom Friseur- bis zum Arzt­be­such komplett ohne ein Wort Deutsch auskommen kann? Auf dem Festival meinte eine japa­ni­sche Besu­cherin, Frankfurt sehe wie ihre Heimat­stadt Yokohama aus – einzig das Meer würde fehlen. Ist dies eine Erklärung?

Wie dem auch sei: Die Ursprünge des heute größten japa­ni­schen Film­fes­ti­vals außerhalb von Japan reichen in das Jahr 1999 zurück. Damals hatten ein paar Studenten die Idee, zu der Zeit kaum in Deutsch­land zu sehende, japa­ni­sche Filme an der Frank­furter Uni zu zeigen. Aus der Privat­in­itia­tive heraus entstand ein Jahr später die erste NIPPON CONNECTION. Seither ist das Festival immer weiter gewachsen und hat mit dem Mouson­turm und der Naxos­halle zwei sehr atmo­s­phä­ri­sche neue Festi­val­zen­tren erhalten.

Doch trotz allen Wachstums hat sich der ursprüng­liche Geist des Festivals bis heute erhalten. Dies zeigt sich schon daran, dass bis heute fast die gesamte Orga­ni­sa­tion des Festivals von ehren­amt­li­chen Helfern gestemmt wird. Dies führt zu einer einzig­ar­tigen Wohl­füh­l­at­mo­s­phäre, bei welcher jeder Besucher sofort spürt, dass man sich hier tatsäch­lich über seinen Besuch – und natürlich über den vieler japa­ni­scher Film­schaf­fender freut – und nicht bloß auf eine mögliche Gewinn­ma­xi­mie­rung schielt.

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Das äußerst sehens­werte Programm der 16. NIPPON CONNECTION startete am Dienstag, den 24. Mai 2016 mit einem Screening von Kiyoshi Kurosawas Geis­ter­drama Journey To The Shore. Dieses zeigt den eher für seine Psycho­thriller und Horror­filme bekannten japa­ni­schen Auteur von einer ungewohnt lichten Seite. Der Regisseur wurde auf dem Festival mit dem Nippon Honor Award ausge­zeichnet. Aus diesem Anlass wurde eine kleine Retro­spek­tive seiner Werke gezeigt, die aus drei Filmen besteht, die eher typisch für Kiyohi Kurosawa sind.

Zu diesen gehörte der am folgenden Tage gezeigte Horror­film Creepy (2015), der im selben Jahr, wie Journey To The Shore entstand. Zu jenem bildete ebenfalls das später am Eröff­nungstag gezeigte Thril­ler­drama That’s It von Gakuryo Ishii einen scharfen Kontrast. Mit dem anar­chisch-expe­ri­men­tellen That’s It kehrt Ishii ein gutes Stück weit zu seinen Wurzeln zurück – einer Zeit, als er noch als Sogo Ishii bekannt war und mit Filmen, wie Burst City (1982) wichtige Vorarbeit für Shinya Tsuka­motos wüsten Cyber­punkt-Kracher Tetsuo – The Iron Man (1989) leistete.

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Dieser Kontrast­reichtum sowohl innerhalb des Werkes eines bestimmten Filme­ma­chers als auch innerhalb der Programm­ge­stal­tung zog sich wie ein roter faden durch das gesamte Festival. So war am zweiten Tag Sion Sonos fast medi­ta­tiver Schwarz­weiß-Sci-Fi-Film The Whis­pe­ring Star zu sehen, der den als das aktuelle Enfant terrible des japa­ni­schen Films geltenden Filme­ma­cher – analog zu Kiyohi Kurosawa – von einer sehr ungewohnt ruhigen Seite zeigte. Einen starken Kontrast setzte auch an diesem Tag der bereits erwähnte Horror­film Creepy von Kurosawa.

Am späten Abend gab es zudem die von mir sehn­süchtig erwartete Rückkehr eines zweiten japa­ni­schen Altmeis­ters mit Namen Ishii zu feiern: Mit Gonin Saga setzt Takeshi Ishii die Geschichte seines Yakuza-Kultfilms Gonin (1995) in der heutigen Gegenwart fort. Leider gelingt es Takeshi Ishii mit Gonin Saga nur sehr bedingt, an die einstige Glorie von Gonin anzu­knüpfen: So finden sich auch im neuen Film wieder viele skurrile Charak­tere und einige gelungene Ideen. Aber insgesamt dämpfen das stark verschleppte Tempo – inklusive voll­kommen adre­na­lin­be­freiter »Action­szenen« – und eine extreme Kompli­ziert­heit, die eher verworren, als wirklich komplex ist, stark die Freude an dieser Fort­füh­rung eines Klas­si­kers.

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Ein Tag der filmi­schen Kontraste war auch der folgende Donnerstag: An diesem sorgte Satoko Yokohamas lako­ni­sche Komödie The Actor im ausver­kauften Saal des Mouson­turms für große Begeis­te­rung beim Festi­val­pu­blikum. Leider gab es jedoch auch am dritten Festi­valtag in der Spät­vor­stel­lung mit dem Mystery-Horror-Thriller The Inerasable von Yoshihiro Nakamura einen weniger gelun­genen Genrefilm zu sehen. Trotz der inter­es­santen Grundidee klas­si­schem J-Horror mit einer Detek­tiv­ge­schichte zu ummanteln, sorgte auch The Inerasable eher für Lange­weile, als für spannende Unter­hal­tung.

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Von einer über­bor­denden visuellen Virtuo­sität war dafür das Programm am Freitag: Am vierten Festi­valtag wurde in der Sektion Nippon Animation Ryotaro Makiharas Sci-Fi-Film The Empire Of Corpses gezeigt. Der Anime basiert ebenso, wie der am Sonntag gezeigte Harmony von Michael Arias und Takashi Nakamura auf einem Roman des verstor­benen japa­ni­schen Sci-Fi-Autors Project Itoh. Aber obwohl The Empire Of Corpses gerade in seinen letzten 20 Minuten mit fast sprachlos machenden Bildern von über­ir­di­scher Schönheit auftrumpft, verliert dieser retro-futu­ris­ti­schen Anima­ti­ons­film deutlich aufgrund seiner extrem kruden und unaus­ge­go­renen Geschichte.

Unein­ge­schränkt beein­dru­ckend waren dafür die beiden am Frei­tag­abend gezeigten Expe­ri­men­tal­filme Cinéma Concret und Cinéma Direct von Takashi Makino. Sowohl bei dem 23 minütigen Cinéma Concret als auch bei dem doppelt so langen Cinéma Direct handelt es sich um abstrakte 3D-Filme. Aber während Cinéma Concret komplett aus rein abstrakten Struk­turen besteht, die durch­ein­an­der­wir­beln und mal in den Kinosaal hinein­fließen und sich dann wieder fast in eine zwei­di­men­sio­nale Ebene zurück­ziehen, tauchen in Cinéma Direct auch immer mal wieder reale Versatz­stücke, wie Bäume, Berge, Wolken und Wellen auf. Zudem kam die Musik bei Cinéma Direct nicht von der Tonspur, sondern wurde von Takashi Makino und von dem briti­schen Jazz-Musiker Hilary Jeffery live gespielt. Diese audio­vi­su­elle Perfor­mance war ein wirklich unver­gleich­li­ches Erlebnis. Man kann deshalb nur hoffen, dass Takashi Makino, der zuvor nur beim Film­fes­tival in Rotterdam aufge­treten war, auch in Zukunft auf der Frank­furter NIPPON CONNECTION zu sehen sein wird.

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Am Woche­n­ende zeigte das Deutsche Film­mu­seum in Frankfurt in der Sektion Nippon Retro die Filmreihe »Ghosts & Demons – Scary Tales from Japan«. In dieser waren neun japa­ni­sche Horror- und Geis­ter­filme aus den 1940er bis 1960er Jahren zu sehen. Einer von diesen war der aus dem Jahre 1949 stammende Klassiker The Yotsuya Ghost Story (1949) von Keisuke Kino­shitas. Dieser wirkt trotz seines Alters noch sehr frisch und weist viele Elemente auf, die man aus jüngeren J-Horror­filmen kennt, und zeigt, dass diese eine wesent­lich längere Tradition besitzen, als einem heute oftmals bewusst ist.

Am Sams­tag­abend wurde Sion Sonos Punk-Musical Love & Peace gezeigt. Diese komplett über­drehte Komödie stammt ebenso, wie der medi­ta­tive The Whis­pe­ring Star aus dem Jahr 2015. Dass ein Filme­ma­cher in nur einem Jahr zwei von ihrer Tonalität dermaßen konträre Filme dreht, ist schon sehr bemer­kens­wert – aber nicht, wenn der Filme­ma­cher Sion Sono heißt: Dieser drehte in einer einzigen gewal­tigen Explosion der Krea­ti­vität neben diesen beiden jeweils auf seine Art sehr gelun­genen Filmen noch ganze vier weitere Filme für das Kino und für das Fernsehen.

Hierbei erzählt Love & Peace die wahn­wit­zige Geschichte eines kleinen, von allen gemobbten Büro­an­ge­stellten, der zum Superstar wird und dessen einziger und bester Freund eine singende Mons­ter­schild­kröte ist. Das Ganze verquickt Sono mit einer roman­ti­schen Liebes­ge­schichte zu einem brüllend komischen – und fami­li­en­kom­pa­ti­blen – Molo­tow­cock­tail des schlechten Geschmacks, der großes Gelächter und begeis­terten Applaus erntete. Als Sahnehäub­chen verzau­berte die japa­ni­sche Sängerin Cuushe am späteren Abend das Publikum mit ihrem wunder­schönen Dreampop.

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Das Festival fand am Sonntag, den 29. Mai einen krönenden Abschluss: An diesem Tag wurde Takeshi Kitanos Komödie Ryuzo And The Seven Henchmen gezeigt. Mit diesem Film um eine Rentner-Yakuza-Gang nimmt Kitano auf selbst­iro­ni­sche Weise sein eigenes Lieb­lings­genre aufs Korn. Der sehr gelungene Film sorgte im bis zum letzten Platz ausver­kauften Saal des Mouson­turms für viel Gelächter und später großen Applaus. Auch die Festi­val­jury zeigte sich von der sehr gelun­genen Komödie äußerst angetan und zeichnete den Film mit dem Nippon Cinema Award 2016 aus – Dies ist eine begrüßens­werte Entschei­dung – auch wenn es noch weitere sehr starke Beiträge gab.

Am letzten Festi­valtag wurde zudem noch der bereits erwähnte Sci-Fi-Anime Harmony von Michael Arias und Takashi Nakamura gezeigt. Dieser ist deutlich stärker, als der ebenfalls auf einen Roman von Projekt Itoh basie­rende The Empire Of Corpses. Harmony verknüpft auf intel­li­gente Weise eine Sci-Fi-Krimi­ge­schichte mit an Aldous Huxleys »Schöne neue Welt« erin­nernde Gesell­schafts­kritik. Eine runde Sache.

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So zeigte die 16. NIPPON CONNECTION ein japa­ni­sches Kino, das quick­le­bendig ist. Besonders beein­dru­ckend ist die Mühe­lo­sig­keit, mit der sich viele dortige Filme­ma­cher von Film zu Film zwischen den verschie­densten Tona­litäten und Genres bewegen. Besonders stark ist aktuell die japa­ni­sche Komödie. Dahin­gegen ist der Genrefilm – für den das Land noch vor einer Dekade weltweit berühmt war – weiterhin ein wenig am Schwächeln.

Das größte Plus dieses Festivals ist jedoch dessen entspannte Atmo­s­phäre. So ließ ich die 16. NIPPON CONNECTION am Sonn­tag­nach­mittag beim Kinder­schminken und beim fami­liären Nudel­sup­pen­essen ausklingen.