Schillernde Filmperlen aus Japan |
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Nippon Cinema Award 2016 – RYUZO AND THE SEVEN HENCHMEN |
Von Gregor Torinus
Aber was für eine Verbindung existiert eigentlich zwischen der Mainmetropole und dem Land der aufgehenden Sonne? Würde man so ein Festival in Deutschland nicht viel eher in Düsseldorf erwarten – einer Stadt, in der ein Japaner vom Friseur- bis zum Arztbesuch komplett ohne ein Wort Deutsch auskommen kann? Auf dem Festival meinte eine japanische Besucherin, Frankfurt sehe wie ihre Heimatstadt Yokohama aus – einzig das Meer würde fehlen. Ist dies eine Erklärung?
Wie dem auch sei: Die Ursprünge des heute größten japanischen Filmfestivals außerhalb von Japan reichen in das Jahr 1999 zurück. Damals hatten ein paar Studenten die Idee, zu der Zeit kaum in Deutschland zu sehende, japanische Filme an der Frankfurter Uni zu zeigen. Aus der Privatinitiative heraus entstand ein Jahr später die erste NIPPON CONNECTION. Seither ist das Festival immer weiter gewachsen und hat mit dem Mousonturm und der Naxoshalle zwei sehr atmosphärische neue Festivalzentren erhalten.
Doch trotz allen Wachstums hat sich der ursprüngliche Geist des Festivals bis heute erhalten. Dies zeigt sich schon daran, dass bis heute fast die gesamte Organisation des Festivals von ehrenamtlichen Helfern gestemmt wird. Dies führt zu einer einzigartigen Wohlfühlatmosphäre, bei welcher jeder Besucher sofort spürt, dass man sich hier tatsächlich über seinen Besuch – und natürlich über den vieler japanischer Filmschaffender freut – und nicht bloß auf eine mögliche Gewinnmaximierung schielt.
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Das äußerst sehenswerte Programm der 16. NIPPON CONNECTION startete am Dienstag, den 24. Mai 2016 mit einem Screening von Kiyoshi Kurosawas Geisterdrama Journey To The Shore. Dieses zeigt den eher für seine Psychothriller und Horrorfilme bekannten japanischen Auteur von einer ungewohnt lichten Seite. Der Regisseur wurde auf dem Festival mit dem Nippon Honor Award ausgezeichnet. Aus diesem Anlass wurde eine kleine Retrospektive seiner Werke gezeigt, die aus drei Filmen besteht, die eher typisch für Kiyohi Kurosawa sind.
Zu diesen gehörte der am folgenden Tage gezeigte Horrorfilm Creepy (2015), der im selben Jahr, wie Journey To The Shore entstand. Zu jenem bildete ebenfalls das später am Eröffnungstag gezeigte Thrillerdrama That’s It von Gakuryo Ishii einen scharfen Kontrast. Mit dem anarchisch-experimentellen That’s It kehrt Ishii ein gutes Stück weit zu seinen Wurzeln zurück – einer Zeit, als er noch als Sogo Ishii bekannt war und mit Filmen, wie Burst City (1982) wichtige Vorarbeit für Shinya Tsukamotos wüsten Cyberpunkt-Kracher Tetsuo – The Iron Man (1989) leistete.
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Dieser Kontrastreichtum sowohl innerhalb des Werkes eines bestimmten Filmemachers als auch innerhalb der Programmgestaltung zog sich wie ein roter faden durch das gesamte Festival. So war am zweiten Tag Sion Sonos fast meditativer Schwarzweiß-Sci-Fi-Film The Whispering Star zu sehen, der den als das aktuelle Enfant terrible des japanischen Films geltenden Filmemacher – analog zu Kiyohi Kurosawa – von einer sehr ungewohnt ruhigen Seite zeigte. Einen starken Kontrast setzte auch an diesem Tag der bereits erwähnte Horrorfilm Creepy von Kurosawa.
Am späten Abend gab es zudem die von mir sehnsüchtig erwartete Rückkehr eines zweiten japanischen Altmeisters mit Namen Ishii zu feiern: Mit Gonin Saga setzt Takeshi Ishii die Geschichte seines Yakuza-Kultfilms Gonin (1995) in der heutigen Gegenwart fort. Leider gelingt es Takeshi Ishii mit Gonin Saga nur sehr bedingt, an die einstige Glorie von Gonin anzuknüpfen: So finden sich auch im neuen Film wieder viele skurrile Charaktere und einige gelungene Ideen. Aber insgesamt dämpfen das stark verschleppte Tempo – inklusive vollkommen adrenalinbefreiter »Actionszenen« – und eine extreme Kompliziertheit, die eher verworren, als wirklich komplex ist, stark die Freude an dieser Fortführung eines Klassikers.
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Ein Tag der filmischen Kontraste war auch der folgende Donnerstag: An diesem sorgte Satoko Yokohamas lakonische Komödie The Actor im ausverkauften Saal des Mousonturms für große Begeisterung beim Festivalpublikum. Leider gab es jedoch auch am dritten Festivaltag in der Spätvorstellung mit dem Mystery-Horror-Thriller The Inerasable von Yoshihiro Nakamura einen weniger gelungenen Genrefilm zu sehen. Trotz der interessanten Grundidee klassischem J-Horror mit einer Detektivgeschichte zu ummanteln, sorgte auch The Inerasable eher für Langeweile, als für spannende Unterhaltung.
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Von einer überbordenden visuellen Virtuosität war dafür das Programm am Freitag: Am vierten Festivaltag wurde in der Sektion Nippon Animation Ryotaro Makiharas Sci-Fi-Film The Empire Of Corpses gezeigt. Der Anime basiert ebenso, wie der am Sonntag gezeigte Harmony von Michael Arias und Takashi Nakamura auf einem Roman des verstorbenen japanischen Sci-Fi-Autors Project Itoh. Aber obwohl The Empire Of Corpses gerade in seinen letzten 20 Minuten mit fast sprachlos machenden Bildern von überirdischer Schönheit auftrumpft, verliert dieser retro-futuristischen Animationsfilm deutlich aufgrund seiner extrem kruden und unausgegorenen Geschichte.
Uneingeschränkt beeindruckend waren dafür die beiden am Freitagabend gezeigten Experimentalfilme Cinéma Concret und Cinéma Direct von Takashi Makino. Sowohl bei dem 23 minütigen Cinéma Concret als auch bei dem doppelt so langen Cinéma Direct handelt es sich um abstrakte 3D-Filme. Aber während Cinéma Concret komplett aus rein abstrakten Strukturen besteht, die durcheinanderwirbeln und mal in den Kinosaal hineinfließen und sich dann wieder fast in eine zweidimensionale Ebene zurückziehen, tauchen in Cinéma Direct auch immer mal wieder reale Versatzstücke, wie Bäume, Berge, Wolken und Wellen auf. Zudem kam die Musik bei Cinéma Direct nicht von der Tonspur, sondern wurde von Takashi Makino und von dem britischen Jazz-Musiker Hilary Jeffery live gespielt. Diese audiovisuelle Performance war ein wirklich unvergleichliches Erlebnis. Man kann deshalb nur hoffen, dass Takashi Makino, der zuvor nur beim Filmfestival in Rotterdam aufgetreten war, auch in Zukunft auf der Frankfurter NIPPON CONNECTION zu sehen sein wird.
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Am Wochenende zeigte das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt in der Sektion Nippon Retro die Filmreihe »Ghosts & Demons – Scary Tales from Japan«. In dieser waren neun japanische Horror- und Geisterfilme aus den 1940er bis 1960er Jahren zu sehen. Einer von diesen war der aus dem Jahre 1949 stammende Klassiker The Yotsuya Ghost Story (1949) von Keisuke Kinoshitas. Dieser wirkt trotz seines Alters noch sehr frisch und weist viele Elemente auf, die man aus jüngeren J-Horrorfilmen kennt, und zeigt, dass diese eine wesentlich längere Tradition besitzen, als einem heute oftmals bewusst ist.
Am Samstagabend wurde Sion Sonos Punk-Musical Love & Peace gezeigt. Diese komplett überdrehte Komödie stammt ebenso, wie der meditative The Whispering Star aus dem Jahr 2015. Dass ein Filmemacher in nur einem Jahr zwei von ihrer Tonalität dermaßen konträre Filme dreht, ist schon sehr bemerkenswert – aber nicht, wenn der Filmemacher Sion Sono heißt: Dieser drehte in einer einzigen gewaltigen Explosion der Kreativität neben diesen beiden jeweils auf seine Art sehr gelungenen Filmen noch ganze vier weitere Filme für das Kino und für das Fernsehen.
Hierbei erzählt Love & Peace die wahnwitzige Geschichte eines kleinen, von allen gemobbten Büroangestellten, der zum Superstar wird und dessen einziger und bester Freund eine singende Monsterschildkröte ist. Das Ganze verquickt Sono mit einer romantischen Liebesgeschichte zu einem brüllend komischen – und familienkompatiblen – Molotowcocktail des schlechten Geschmacks, der großes Gelächter und begeisterten Applaus erntete. Als Sahnehäubchen verzauberte die japanische Sängerin Cuushe am späteren Abend das Publikum mit ihrem wunderschönen Dreampop.
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Das Festival fand am Sonntag, den 29. Mai einen krönenden Abschluss: An diesem Tag wurde Takeshi Kitanos Komödie Ryuzo And The Seven Henchmen gezeigt. Mit diesem Film um eine Rentner-Yakuza-Gang nimmt Kitano auf selbstironische Weise sein eigenes Lieblingsgenre aufs Korn. Der sehr gelungene Film sorgte im bis zum letzten Platz ausverkauften Saal des Mousonturms für viel Gelächter und später großen Applaus. Auch die Festivaljury zeigte sich von der sehr gelungenen Komödie äußerst angetan und zeichnete den Film mit dem Nippon Cinema Award 2016 aus – Dies ist eine begrüßenswerte Entscheidung – auch wenn es noch weitere sehr starke Beiträge gab.
Am letzten Festivaltag wurde zudem noch der bereits erwähnte Sci-Fi-Anime Harmony von Michael Arias und Takashi Nakamura gezeigt. Dieser ist deutlich stärker, als der ebenfalls auf einen Roman von Projekt Itoh basierende The Empire Of Corpses. Harmony verknüpft auf intelligente Weise eine Sci-Fi-Krimigeschichte mit an Aldous Huxleys »Schöne neue Welt« erinnernde Gesellschaftskritik. Eine runde Sache.
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So zeigte die 16. NIPPON CONNECTION ein japanisches Kino, das quicklebendig ist. Besonders beeindruckend ist die Mühelosigkeit, mit der sich viele dortige Filmemacher von Film zu Film zwischen den verschiedensten Tonalitäten und Genres bewegen. Besonders stark ist aktuell die japanische Komödie. Dahingegen ist der Genrefilm – für den das Land noch vor einer Dekade weltweit berühmt war – weiterhin ein wenig am Schwächeln.
Das größte Plus dieses Festivals ist jedoch dessen entspannte Atmosphäre. So ließ ich die 16. NIPPON CONNECTION am Sonntagnachmittag beim Kinderschminken und beim familiären Nudelsuppenessen ausklingen.