Maren Ade for President? |
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Für immer miteinander verbunden: Sandra Hüller mit Toni Erdmann |
Wetten, dass...? Heute, Donnerstag, kurz nach 11 Uhr, wird bekanntgegeben, dass Toni Erdmann, der schöne Film der aus Karlsruhe stammenden, Berliner Regisseurin Maren Ade in diesem Jahr vom zuständigen Auswahlgremium aus neun Verbänden (darunter Produktion, Regie, Kino und Filmkritik) für die Abstimmung über den Auslands-Oscar eingereicht werden wird. Eine Nominierung ist das zwar nicht – die unternimmt die amerikanische Film-Academy selber. Immerhin achtzehn Mal in den letzten sechzig Jahren gelang es dem deutschen Kandidaten unter die letzten fünf vorzurücken. Und dreimal gab es am Ende auch tatsächlich die begehrte Trophäe. Warum diese Einreichung quasi ein Selbstläufer ist hat viele Gründe: Natürlich sind solche Benennungen immer auch politische Statements, natürlich kann man es sich gar nicht leisten, den Film nicht ins Rennen zu schicken. Und überhaupt: Wen sollte man denn sonst ins Rennen schicken? Der wichtigste Grund von allen ist aber: Toni Erdmann ist ein guter Film. Er hat die Filmkritik, auch die internationale, begeistert, und er bringt das an Kunst und Irritation interessierte Publikum in die Kinos. Und das sind erstaunlich viele. Nicht, dass all dies für einen Oscar-Kandidaten selbstverständlich wäre. In den letzten zehn Jahren wurden von der aus Verbandsvertretern etwas willkürlich komponierten Entsendungsjury Filme wie Die Fremde nominiert, Der Baader Meinhof Komplex, Der Untergang und andere, die im besten Fall moralisch staatstragend und ästhetisch bieder waren, aber bestimmt nicht die Filmkunst voranbrachten, oder auch nur den in Hollywood geltenden Standard professionell gemachter Unterhaltung oder Dramatik erfüllten. Maren Ade ist also keineswegs nur in guter Gesellschaft. Aber ihr Toni Erdmann ist über weite Strecken genau das Gegenteil dieses ganzen für das deutsche Gegenwartskino leider so typischen, sich an Stories, inhaltlicher Bedeutung und politischer Relevanz verkrampft festklammernden deutschen Filmschaffen. Anderseits ist Toni Erdmann dann aber auch ein Film, der einige sehr typische Elemente enthält, die man in Deutschland vom fast ausnahmslos staatlich subventionierten Film sehen möchte: Denn dieses Kino hat allzu oft etwas vom Werk eines Klassenprimus. Es ist didaktisch, es heischt um Bedeutung, es ist streberhaft, es will ja nichts falsch machen – und macht darum leider oft auch kaum etwas richtig. Bis in die sechziger Jahre hinein war das deutsche Kino zwar nicht immer gut, aber es war überraschend, es wusste, dass zur Kinoerfahrung elementar der Exzess, die Überschreitung, das Verbotene gehörten. Wenn wir im Bild der Schule bleiben wollen, dann war das Kino bis in die Sechziger nie Streber und Klassenprimus, sondern Klassenclown. Es war vor allem subjektiv, also persönlich und Ausdruck individueller Vorlieben, Gelüste, Ängste. Dann kam die Filmförderung, dann kam die soziale Gesinnungspolizei der Linken wie der Rechten und nahm die Stoffe in den Griff, dann kam vor allem das Fernsehen und zunehmend wurde diese Idee des Autors, des Films als Ausdruck eines Individuums abgeschafft. Heutiges Fernsehen und das von ihm längst infizierte Kino wirkt zu neunzig Prozent so, als hätte den Film kein Mensch gemacht, sondern ein Roboter. Zu all dem verhält sich Toni Erdmann auf hochinteressante Weise ambivalent. Denn die Lehrerstochter Maren Ade erfüllt gewissermaßen das Pflichtprogramm perfekt – sie hat ein bedeutungsvolles Thema: Die Familie, eine Vater-Tochter-Beziehung, und die Schlechtigkeit der Wohlstandswelt. Dass er von einer Frau stammt, schadet gerade auch nicht. Und er hat Erfolg – das ist sowieso das Kriterium, vor dem in der Filmbranche noch die letzten Widerstände einknicken. Zugleich macht Toni Erdmann aber unter der Oberfläche sehr viel anderes anders. Man könnte sogar sagen: Wenn man diesen Film mag, dann kann man eigentlich die meisten anderen deutsche Filme nicht mögen. Und nur, weil er so anders und so undeutsch ist und trotzdem sehr deutsch, darum kommt er auch international derart blendend an. Der Exzess in Toni Erdmann ist zwar sehr kontrolliert. Aber er ist vorhanden. Genauso wie der Humor. Natürlich: Am Ende muss es in diesem Film wieder sehr ernst sein, und zwar irgendwie versöhnlich, irgendwie aber auch melancholisch. Aber zwischendrin herrscht Anarchie – zwar in ihrer bildungsbürgerlichen Variante, aber immerhin. Das deutsche Kino hat zur Zeit wenig bessere Aushängeschilder als diesen Film.