Filmpreis der Parlamentarier |
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Komplizen, die den LUX gewonnen haben: Jonas Dorbach, Maren Ade und Toni Erdmann (nicht im Bild). (Foto: Europäisches Parlament) |
Von Dunja Bialas
Maren Ade steht im riesigen Plenarsaal des Straßburger Parlaments, im schwarzen Hosenanzug wie zuletzt bei der Verleihung des Herbert-Strate-Preis in Köln. Und wie schon vor zwei Wochen windet sie sich auch heute wieder ein wenig, beugt ihren Oberkörper leicht nach vorne, als wolle sie unter dem Anlass hindurchtauchen. Dann aber steht sie am Mikro und spricht große Worte, die im gut gefüllten Plenarsaal Wirkung zeigen. Ziemlich persönlich beginnt sie, erzählt eine womöglich erfundene Geschichte von ihrem fünfjährigen Sohn und seiner Suche nach dem großen Land namens Europa.
Maren Ade ist nicht nur eine gute Geschichtenerzählerin, sie weiß, wie man spricht, und welche Worte für so einen Anlass passend sind. Der Anlass ist die Verleihung des LUX-Filmpreises, den das Europäische Parlament zum 10. Mal vergibt, eine Auszeichnung der Abgeordneten aus 28 EU-Nationen, verbunden mit einer Untertitelung in die 24 Amtssprachen. Feierlich, mit einem kleinen, heiteren Glucksen in der Stimme, gibt Ade ihrem Geehrtsein Ausdruck, freut sich, dass ihr doch auch humorvoller Film so viele Nationen ansprechen konnte und nun in ganz Europa bekannt wird. Aber: »Kino ist kein Fußball!«, sagt sie. »Es ist egal, aus welchem Land ein Film kommt, Hauptsache, er spricht zu einem!« Damit hat sie den Nerv der Parlamentarier getroffen und en passant den europäischen Gedanken gewürdigt.
Drei Filme standen wieder im Parlaments-Finale: die französisch-tunesische Co-Produktion À peine j'ouvre les yeux, eine an den letztjährigen Gewinner Mustang erinnernde Emanzipationsgeschichte am Vorabend des arabischen Frühlings; sodann mit Ma vie de Courgette erstmals ein Animationsfilm, eine herzergreifende Geschichte über Waisenkinder aus dem Wallis mit einer Prise Schweizer Sehnsucht nach dem Idyll, und Toni Erdmann, der humoristische Parcours durch die Deformationen unserer Performance-Gesellschaft und Zwängen à la »da sind mir leider die Hände gebunden«. Das hat den Parlamentariern gefallen.
24 Stunden vorher. »Nach dem Brexit spreche ich nicht mehr Englisch, wenn es nicht unbedingt nötig ist!«, verkündet die deutsche EU-Politikerin Doris Pack. Das ist ein Statement: Es markiert den Beginn des Presseseminars, zu dem das Europäische Parlament anlässlich der Verleihung des LUX-Filmpreises nach Straßburg eingeladen hat. Doris Pack war langjährige EU-Abgeordnete, jetzt sitzt sie dem Ausschuss für Kultur und Bildung vor. Außerdem ist sie »Mutter« (»oder Großmutter«, witzelt die 74-Jährige) von LUX. Wir befinden uns in einem Tagungsraum im Dach des Europäischen Parlaments, einem labyrinthischen Moloch, der mit Büroräumen hinter Glas und viel Einblick auf Freitreppen, Korridore und Verbindungsstege Transparenz und Kommunikation suggeriert, aber auch viele bauliche Einbahnstraßen und Sackgassen bereithält. (Das ist natürlich auch im übertragenen Sinne zu verstehen, wie so vieles Gesagtes an den zwei Tagen in Straßburg gerne und immer wieder auch symbolisch gemeint ist.) Vor allem überrascht, dass der Weg ins Gebäude durch wie Dienstboteneingänge (!) gestaltete Pressezugänge führt, was einem sofort verdeutlicht, dass man hier eine Parallelwelt betritt, die wie ein Bienenstock ihre ganz eigenen Hierarchien, Rituale und Wege (Amtswege!) hat.
In der Wand des kreisförmigen Sitzungssaal (gibt es hier eigentlich auch einen undemokratischen, rechteckigen Saal?) sitzen hinter Glas aufgereiht die multilingualen Simultandolmetscher. Um die dreißig Pressevertreter, überwiegend Filmkritiker, aus 22 EU-Staaten, darunter auch je ein Vertreter aus Malta, Ungarn, Polen, Portugal und Estland sind zu zwei Panels eingeladen, in denen es um den europäischen Film auf der politischen Agenda geht. Vor uns aufgereiht: Antonio Tajani, Vizepräsident des Parlaments und heute verantwortlich für den LUX-Preis, LUX-Erfinderin Doris Pack und die Teilnehmer des ersten Panels, Silvia Costa und Bogdan Wenta, beide wie Pack, die das Panel moderiert, vom Ausschuss für Kultur und Bildung (was das Podium sehr monologisch werden lässt).
Ein 21-köpfiges Vorauswahlgremium aus Produzenten, Verleihern, Kinobetreibern, Festivalleitern und Filmkritikern wählt seit 2007 zehn europäische Produktionen aus, die in den Wettbewerb um den LUX gehen, aus ihnen wiederum drei, die als Finalisten durch fünfzig europäische Städte touren, untertitelt in der jeweiligen Amtssprache. Dies zur kurzen Orientierung. Tajani betont in seinen Eröffnungsworten das große Thema »Integration«, um das herum Europa gebaut werde. Auch die Filme der Endrunde transportieren mehr oder minder die europäischen Werte wie Integration, Toleranz und, im Fall von Toni Erdmann, auch als Kritik, die sich die unmenschliche westeuropäische Arroganz im Sektor der Human Resources vorknöpft. Zweck des Preises sei so auch, die Kultur und die europäischen Werte zu stärken. Aber auch die Filmindustrie der EU »gegen die Invasion amerikanischer Filme«, wie es Tajani doch tatsächlich formuliert. 3,3% des europaweiten Bruttoinlandsprodukts, 6,7 Millionen Arbeitnehmer seien in der europäischen Filmbranche tätig, einem Sektor mit einer »hohen Wachstumsrate, höher als in der Chemie- oder Automobilindustrie«.
Silvia Costa spricht von der Kreativwirtschaft Europas, die mit dem LUX-Preis unterstützt werde. »Creative Europe« mit seinem MEDIA-Programm stehe auf zwei Säulen: Filmproduktionen werden gefördert und deren Vertrieb unterstützt, wie zum Beispiel durch die LUX-Untertitelungs-Maßnahme. Außerdem gäbe es das Netz von fast 1000 »Europa Cinemas«, die überwiegend europäische Filme zeigen und ebenfalls von MEDIA finanziell unterstützt werden. Die sprachliche Vielfalt (»Europa ist groß wegen seiner Diversität«) transportiere den europäischen Gedanken, die Untertitelung sei daher auch Teil der Kommunikationsaufgabe der Kulturkommission. Doris Pack betont, dass der LUX-Preis jedoch nicht aus dem Topf von »Creative Europe« finanziert werde, sondern aus den »den Abgeordneten zugeschriebenen Kommunikationsmitteln«, die dafür »auf Mittel verzichten« würden. Was auch immer das heißen mag. Kino und Filme seien jedenfalls ein wunderbares Mittel der Kommunikation, außerdem werden die LUX-Filme mit pädagogischem Material begleitet. »Der LUX-Preis ist das Tüpfelchen auf dem I«, schwärmt Pack, er ermögliche das Subtiteling. Im Falle des Gewinnerfilms geht es dabei auch um die weiterreichende barrierefreie Kommunikation: der Film wird audiovisuell auch für Hör- und Seheingeschränkte zugänglich gemacht.
Bogdan Wenta räumt ein, dass es mit der »Entwicklung des Publikums bislang nicht so erfolgreich gelaufen« sei. Der Preis sei Gegenstand einer 400.000 Euro schweren Promotionsmaßnahme für die kulturelle Vielfalt Europas, die auch kleinere Projekte unterstütze. Mit 400T ist der LUX-Preis zwar noch kein Luxus-Preis, heruntergerechnet mit PR-Ausgaben von 8.000 Euro pro Stadt. Komfortabel aber ist es doch und erklärt nicht, weshalb das »Symbol europäischer Strahlkraft« zumindest in Deutschland den Kinogängern kaum was sagt (Achtung: Behauptung ohne repräsentative Umfrage).
Auf dem zweiten Panel zur »Rolle des europäischen Kino und der Autoren in der heutigen Gesellschaft« nehmen dann auch die »Kreativen« Platz, um die es ja eigentlich geht, die Vertreter der Finalisten-Filme, die aber dem schwammigen Titel entsprechend in ihren Ausführungen sehr vage bleiben und Allgemeinplätze von sich geben. Helga Trüpel, ihrerseits wieder Vizevorsitzende des Kultur- und Bildungsauschusses, ergänzt das erste Panel und betont, dass mit der Untertitelung zwar ein anderes und größeres Publikum für die LUX-Finalisten erreicht werde, es darüber hinaus aber auch darum gehe, Kinos als kulturelle und soziale Orte zu erhalten. Die sogenannten »release windows«, die Verwertungsfenster für Kinos müssten so auch bleiben, um die Abspielstätten weiterhin zu unterstützen, bei einer immer schnelleren und umfassenderen Filmauswertung außerhalb des Kinosaals. Jonas Dorbach von der Produktion Komplizenfilm, die viele europäische Projekte co-produziert hat (darunter die 1001-Nacht-Trilogie des Portugiesen Miguel Gomes), begreift dies als Aufgabe, Filmen mehrere »Pässe« und damit viele »Aufenthaltsgenehmigungen« zu verschaffen. Da hat er sicherlich recht, trotz der strapazierten EU-Metaphern. Ohne die deutsche Co-Produktion wäre, trotz des Erfolgs von Tabu, Gomes' 1001 Nacht sicherlich nicht ins Kino gekommen, noch dazu hat sich die Trilogie als Kassengift erwiesen. Lag es an dem Off-Sprecher der deutschen-Fassung, dass der Film hier keine Freunde finden konnte? Untertitelung ist in Deutschland jedenfalls noch immer kaum eine Option und erreicht nur die Arthouse-Nische. »We're not used to it, it’s a question of education!«, sagt Doris Pack jetzt doch auf Englisch. Ein Seminarteilnehmer nutzt am Ende noch schnell die Gelegenheit und fordert, ganz high vom europäischen Gedanken des Seminars: »Taxes on American movies!«
Übrigens findet sich im »endgültigen Entwurf« der im Parlament ausliegenden Tagesordnung für den Dienstag, an dem das Seminar stattfand, folgender TOP: »Strategische Kommunikation der EU, um gegen sie gerichteter Propaganda von Dritten entgegenzuwirken.«