Danke für das Kino |
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Christel und Hans Strobel (hier bei der Preisverleihung der DEFA-Stiftung, aber genauso war es, wenn wir uns sahen) (Foto: epd) |
Von Dunja Bialas
Für die deutsche Filmlandschaft war er der Wegbereiter des modernen Kinderkinos: Hans Strobel. Zusammen mit seiner Frau Christel Strobel gründete er den Verein Kinderkino München e.V., mit ihm hat er Kinogeschichte geschrieben. Hat die großen tschechischen Kinderfilme nach Deutschland gebracht in einer Zeit, als niemand etwas vom osteuropäischen Film wissen wollte. Hat sich für einen besseren Kinderfilm eingesetzt, der Kinder nicht für dumm verkauft. Hat durchgesetzt, dass das Münchner Filmfest mit seiner Gründung eine eigene Kinderfilmsektion bekam (die er bis 2004 selbst leitete). Hat die Kinderfilm-Fachzeitschrift »Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz« gegründet. Die jetzt vermutlich mit der Printausgabe des Herausgebers »Filmdienst« eingestellt wird. Einen Tag vor Weihnachten ist Hans Strobel, gerade noch 78-jährig, gestorben.
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Eine Nachricht, die mich unerwartet heftig traf. Hans Strobel kannte ich fast mein ganzes Leben lang, aber erst die Nachricht von seinem Tod führte mir vor Augen, welche Bedeutung er für mein eigenes Leben hatte: Er war derjenige gewesen, der mich als Kind zum Kino gebracht hatte. Damit gehört er zu den wenigen, die meinen Lebensweg am frühesten, und er am Ende vielleicht sogar am nachhaltigsten geprägt hat.
1979 war es, wie ich jetzt dem Nachruf der epd-Film von Katrin Hoffmann als faktische Jahreszahl entnehme, als er zusammen mit seiner Frau Christel Strobel den Kinderfilmclub im Münchner Olympiadorf gründete. Ich muss eines der ersten Mitglieder gewesen sein. Das Kino lag am rückwärtigen Eingang meiner Grundschule, ich fühlte mich sehr autonom und der Schule entwachsen, wenn ich am Nachmittag den Pausenhof überquerte, um ins Kino zu gehen. Vielmehr ins Kino zu rennen. Immer Freitag nachmittags rannte ich kurz vor drei Uhr quer über den Pausenhof meiner Grundschule im Olympiadorf zum Forum 2, wo der dörfliche Kulturverein das Kino der Olympioniken wiederbelebt hatte. Dunkel-geduckter Eingangsbereich, flacher Betonbau, grün gefasste Eingangstüren aus Glas, 2 Mark Eintritt (oder war es weniger?), dunkelgrauer Filzteppich, typisch Olympiadorf, runde Plastiktürklinken, verstaubter Geruch, typisch meine Grundschule, orangefarbene Sessel, typisch 70er Jahre. Welcher war mein Lieblingsplatz?
Von jedem Kind, das Mitglied im Kinderfilmclub war, hing im Eingangsbereich ein Polaroid-Foto im Schaukasten. Die Fotos sah man sich nach den Vorstellungen neugierig an. Wer war neu hinzugekommen, wen kannte man? Die Polaroids waren mehr als der vor Ort angebrachte Mitgliedsausweis, sie waren eine Identitätsbekundung. Wir waren wohl alle Besessene. Noch Jahre später, da war man schon erwachsen, gab man sich als ehemaliges Mitglied des Kinderfilmclubs zu erkennen, wenn die Rede auf das Olympiadorf kam. So lernte ich noch Jahre später ehemalige Filmclub-Kinder kennen. Die Zeit im Kinderfilmclub hat man nicht vergessen.
Was waren das für Nachmittage! Die Filme von Lotte Reiniger, die ich dort sah, führten mich dazu, selbst Scherenschnittfiguren zu basteln, mit Büroklammern als Gelenke, damit sie sich bewegen konnten wie in den Filmen. Besonders in Erinnerung blieb mir auch Philipp, der Kleine (1976), ein modernes Märchen über einen sehr kleinen Jungen, der von allen gehänselt wird, und der mit einer Blockflöte die Dinge verzaubern konnte. Zum Beispiel einen grünen Apfel, der dann übergroß am Baum hing.
Oder Die Kinder aus Nr. 67 (1979), der im Untertitel heißt: »Heil Hitler, ich hätt gern 'n paar Pferdeäpfel«, ein frecher Film über den aufkeimenden Nationalsozialismus. Und den Widerstand der Kinder. Oder Rosi und die große Stadt mit Gerhard Polt (ohne dass ich damals gewusst hätte, wer der war). Ein Film, der eine große Sehnsucht nach dem schnoddrigen Berlin aufkommen ließ, der ich später zeitweise nachgab. Auch Truffauts Fahrenheit 451 sah ich im Forum 2, an einem heißen Sommernachmittag. Ob das auch noch zur Kinderfilmclub-Zeit war?
Ich wuchs relativ schnell raus aus dem Kinderkino. Den Filmclub als Mitmachkino, wo dann auch Frank Strobel, der Sohn der Strobels, vorführte (heute ist er Dirigent für Filmmusik), hatte ich schon nicht mehr mitbekommen. Und auch nicht das kindergemachte Kinoheft »Neues vom lachenden Filmsocken«. Nahtlos ging es über ins Erwachsenenkino im Forum 2, zu den Filmen vom »Kino-Peter« (Peter Neugart), die immer Donnerstag abends liefen. Dort sah ich die Filme von Wim Wenders und mit dreizehn Wenn die Gondeln Trauer tragen. Danach konnte ich nicht mehr zu den Kinderfilmen zurück.
Hans Strobel aber begegnete ich auch damals noch jeden Tag. Immer morgens, wenn ich, wie immer zu spät dran, mit dem Fahrrad in die Schule, jetzt nach Moosach, rüberfuhr, und den kürzesten Weg über die benachbarte Pressestadt nahm, kam er mir zu Fuß entgegen. Auf dem Weg zur Arbeit, in der Hand seine große Aktentasche. Wir begegneten uns noch viele Jahre lang fast täglich und grüßten uns.
Viele, viele, viele Jahre später dann sahen wir uns wieder. Richtig wieder. Ein Viertelleben war vergangen: ich war endgültig dem Kino verfallen, hatte es zu meinem prekären Beruf gemacht, schrieb Filmkritiken und hatte ein Festival gegründet. Hans und Christel Strobel traf ich bei den Veranstaltungen des Verbands der deutschen Filmkritik (von dem sie vor fünf Jahren den Ehrenpreis für ihre Verdienste für
den Kinderfilm verliehen bekamen) und bei den Treffen der Filmstadt München, bei der sie mit ihrem Kinderkino-Verein Mitglied sind. Immer ergab sich ein Gespräch, immer erkundigte sich Hans Strobel nach meinen Eltern, immer duzte er mich, wie damals, als ich zu ihm ins Kino kam. Irgendwann bemerkte ich zu meinem Erstaunen, dass wir Kollegen geworden waren, und ich duzte zurück. Wenige Jahre später
wurde es wegen seiner Parkinson-Erkrankung immer schwerer, ihn zu verstehen, Christel übersetzte, machte ihn verständlich. Er war jedoch nach wie vor geistig auf der Höhe, hatte zu allem seine Gedanken und blieb interessiert. Bis zu unserer letzten Begegnung im September hielten wir unsere Gesprächsminiaturen aufrecht. Wir sprachen meist über den Zustand des Kinos im allgemeinen, die Filmkritik, das Kinderkino, den »Verband«, die Woche der Kritik in Berlin und was »wir Jungen« im Vorstand so machen.
Er fand es gut.
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Mit dem Tod von Hans Strobel ist nun die wiederholte Begegnung mit meiner Kindheitserinnerung vorbei. Aber eines ist geblieben. So kann ich heute sagen: Danke für das Kino.