Schund vs. Magie |
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Joe D’Amatos Nackte Eva mit Jack Palance und Laura Gemser |
Von Ulrich Mannes
Auffallend viele »total Filmmaker« gibt es gar nicht in der Filmgeschichte. Einer davon ist ganz bestimmt der Italiener Aristide Massaccesi, besser bekannt unter dem Pseudonym Joe D’Amato. Er begann seine Filmkarriere als Kameramann, stieg dann zum Regisseur auf (ohne freilich den Job des Kameramanns abzugeben), auch die Drehbücher schrieb er alsbald und größtenteils selbst, er kümmerte sich zudem allein um die Spezialeffekte seiner Filme, und irgendwann blieb es nicht aus, dass er neben der Produzententätigkeit auch noch sein eigener Verleiher wurde. Außerdem steht D’Amato auf nackte Körper, »weil die sehr kommerziell sind«, wie er in einem Interview mit der Zeitschrift »Splatting Image« bekennt. Seine berühmtesten Werke sind wohl die BLACK EMMANUELLE-Filme, die er mit dem Erotikstar Laura Gemser gedreht hat. Wenn man der IMDb glauben darf, hat er in den 26 Jahren seiner Regietätigkeit 197 Filme verantwortet, also im Schnitt um die sieben Filme pro Jahr. Künstlerische Ambitionen sollte man D’Amato vorrangig nicht unterstellen. Aber auch das, was man unter inszenatorischer Raffinesse versteht, sucht man in seinen Filmen eher vergebens, so dass er von der seriösen Kritik weit gehend missachtet wurde und selbst bei den Afficinados unter den Cineasten nicht unbedingt hoch im Kurs steht. Aber es gibt sie, die Joe D’Amato-Fans: Sie feiern den Regisseur als Meister des Minimalismus, da er seine Plots so schön überschaubar hält und man während des Betrachtens (selbst wenn es sich um Horror- oder Splatterfilme handelt) »wunderbar hindämmern und träumen kann«.
Jeder, der sich eine Meinung zu Joe D’Amato bilden oder gar seine bisherige Meinung einer Neubewertung unterziehen wollte, konnte das Anfang des Jahres im Filmhaus/Kommkino zu Nürnberg tun. Dort liefen gleich drei D’Amato-Filme auf dem 16. Hofbauer-Kongress, der sich mittlerweile zu einer Art Hochamt der »Cinephilie« entwickelt hat. Die »Cinephilen« sind nämlich die neuen Cineasten, und die bekommen seit geraumer Zeit in filmpublizistischen Kreisen eine vermehrte Aufmerksamkeit. Zum Beispiel im aktuellen »Revolver« (Zeitschrift für Film), der die »bedingungslose Liebe zum Kino« lange im Verdacht hatte, »Filmemacher von der Welt zu entfremden«. Aber aus Dankbarkeit »für die in den letzten Jahren entstandene, häufig in der Provinz verwurzelte neue Cinephilie, die unsere alte Skepsis produktiv herausfordert«, hat sich der Herausgeber mit einigen Vertretern eben dieser Cinephilie getroffen und ein ganzes Heft lang unterhalten. Im vorletzten »Filmdienst« geht es zufällig auch um dieses Thema: In einem Betrag über Claude Bertemes, dem Direktor der Cinémathèque in Luxemburg (»Cinephilie, damals und heute«), unterscheidet der Autor Holger Twele zwischen der klassischen, der vertikalen Cinephilie, der ein ordnendes, kuratorisches und kanonisches Prinzip zu Grunde läge, und der Cinephilie neuerer Art, der digitalen, die auf einer horizontalen Achse funktioniere, kaleidoskopisch zusammengewürfelt sei, und der die »historischen Dimensionen« abgehen würden. Aber genau solchen schematischen Gegenüberstellungen versucht sich der Hofbauer-Kongress zu entziehen. In jenem Revolver-Gespräch sagt Andreas Beilharz, der zusammen mit Christoph Draxtra den Kern des Hofbauer-Kommandos bildet, dass das Kuratieren für ihn was »Spielerisches« habe, er lege mit dem Programm quasi bestimmte Karten aus, und manche Filme würden sich als Flops und andere als die totalen Entdeckungen erweisen.
Dennoch sollte man der Veranstaltung ein gewisses Ordnungsprinzip und vor allem einen Sinn für historische Dimensionen nicht absprechen: Seit der ersten Kongress-Ausgabe setzen die Veranstalter ihre Schwerpunkte auf das Trivial-Kino der Nachkriegsjahre, vor allem auf das Genre des Sittenfilms, der zwischen den damals noch keineswegs lockeren Zensurbestimmungen und den Voyeursgelüsten der Zuschauer laviert und bizarr-apokryphe Zeitbilder hervorbringt – und zugleich ein filmhistorisches Segment bildet, mit dem sich bislang noch niemand ernsthaft auseinandergesetzt hat. Eine dreiteilige Tour d’Horizion des Sittenfilms der 60er Jahre stand denn diesmal an einem Tag auf dem Programm: Syrtaki – Erotik Ohne Maske, ein griechischer Film von 1966, der den Leidensweg eines unschuldiges Mädchen vom Lande ausschlachtet; Lustvoll Eine Schlange Streicheln (Kan Mukai), ein japanischer »Schmuddelimport« von 1968, der die traurige Karriere einer Prostituieren in verwegenen Cinemascope-Bildern zeigt; und Zauberstab Zur Selbstmassage (1968), ein »fieses Schundprodukt« von der Amerikanerin Doris Wishman, das per Handkamera einen unwiderstehlichen Mädchen-, Frauen- und Männerschänder auf seiner Gewalttour begleitet (zwei davon haben übrigens die Gastkuratoren vom »Geheimnisvollen Filmclub Buio Omega« mitgebracht).
Den Hofbauer-Kongress (der übrigens fast alle Filme in 35mm-Kopien vorführt) könnte man also als Festival des verfemten Films bezeichnen, und die Macher lenken mit den überaus süffigen Texten in ihrer Programmbroschüre die Zuschauererwartungen genüsslich in diese Richtung. Was man aber wiederum auf einer anderen Ebene nicht fehlinterpretieren sollte, denn nichts liegt den Hofbauer-Kommandanten (und seinem Publikum) ferner, als ein ironisch-hämisches Ausweiden echter oder vermeintlicher Trashfilme, wie es regelmäßig und quotenträchtig in der Pro7-ScheFaZ-Reihe veranstaltet wird. Eine brasilianische 70er-Jahre Sexklamotte mit dem Titel Verflixt nochmal… wer hat, der hat, die im Grunde nur ein 90 Minuten langer Pimmelwitz ist, wird deshalb zwar durchaus belacht, aber: »…hier war das kein abgezockter Spott, sondern Ausdruck ungläubigen Staunens in einer von Staunensbereitschaft erfüllten Luft« (meint ein Augenzeuge auf »critic.de«). Dass nun dieser Kongress von Runde zu Runde immer mehr Zuschauer aus allen Teilen des deutschen Sprachraums anzieht und mittlerweile fast alle Vorstellungen ausverkauft sind, ist durchaus eine phänomenale Entwicklung. So darf es auch nicht verwundern, daß ein Joe D’Amato-Film für viele Teilnehmer einer der Höhepunkte war: Nackte Eva (1976). Der Inhalt: In einem überkultivierten Hongkong-Setting trifft eine Schlangentänzerin (Laura Gemser) auf einen reichen Schlangenliebhaber (Jack Palance), stößt auf ihr Love-Interrest (Michelle Stark), das von Palance’ eifersüchtigen Bruder (Gabriele Tinti) unter Einsatz einer Giftschlange ermordet wird, was wiederum einen besonders perfiden Racheakt nach sich zieht. Und die Regie schlängelt sich (dieses Wortspiel muß erlaubt sein) so entspannt durch diesen mörderischen Plot, dass man zumindest im Schutzraum dieses Kongresses D’Amatos Minimalismus als reine Magie begreifen muss. Ob und wann ein nächster Kongress stattfinden wird, darüber schweigen sich die Veranstalter noch aus.