Vergewaltigung als Schauwert und Metapher |
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Stolz & Angst: Elle und The Salesman |
Von Dunja Bialas
Meine erste Reaktion auf Elle kannte nur ein Wort: »disgusting« entfuhr es mir nach der Pressevorführung. Sieben Vergewaltigungen lagen hinter mir, sieben Mal war ich körperlich mitgerissen, zu Boden geworfen worden. Sieben Mal hatte sich niemand für mich gewehrt, bis Vincent, Spiel-Sohn von Isabelle Huppert, dem Treiben ein Ende setzte, mit einem tödlichen Schlag auf den Kopf. Wumm.
Die Vergewaltigungen der Michèle Leblanc, dargestellt von Isabelle Huppert, derart körperlich erfahrbar zu machen, zeigt die unbestrittene inszenatorische Meisterschaft von Paul Verhoeven, die jetzt mit dem César für den besten Film und für seine Darstellerin Isabelle Huppert die höchsten französischen Weihen empfangen hat. Verhoevens Kino ist eines der großen Gesten, der eindeutigen Bilder und grellen Handlungen, ein Kino, dem man nicht entkommt. Es ist ein Kino der Schauwerte, das seine Darsteller ebenso zu Boden wirft wie seine Zuschauer. Unter der grandios inszenierten Oberfläche aber tun sich Abgründe auf. Verhoeven möchte, dass wir die Vergewaltigungen als Perversion der Hauptfigur erleben. Denn was, wie in vielen Kritiken geäußert, vermeintlich die Emanzipation der Frau feiert, die sich in sadomasochistischer Manier freiwillig der Unterwerfung, dem Schmerz und dem Thrill der Angst aussetzt, ist in Wirklichkeit eine biedere Geschichte von der kindheitstraumatisierten Figur, die ausgleichend nur in der Perversion Lust empfinden kann. Verhoeven setzt die Backstory Wound der Vergewaltigten ein wie dies landläufig die Gesellschaft mit der »schwierigen Kindheit« der Vergewaltiger und anderer Täter tut. Die Vergewaltigte ist in keinster Weise frei; ihre Lust in Schmerz und Schrecken ist nicht frei gewählt, sondern erklärt sich durch das traumatische Kindheitserlebnis. Die Vergewaltigte ist damit möglicherweise ebenso pervers wie der Vergewaltiger. Und auch wenn uns hier die Vorgeschichte des Aggressors erspart bleibt, genügen die kleinen Hinweise auf dessen fanatisch-religiöse (also lustabgekehrte, devote, demütige) Ehefrau, um im Vergewaltiger den unfreiwillig triebgehemmten und also frustrierten Aggressor auszumachen. Richard Brody hat über die Verankerung der Hauptfigur in der Backstory einen wohltuend wütenden Artikel verfasst:»The Phony Sexual Transgressions of Paul Verhoeven’s Elle« ist, soweit ich das überblicke, die einzige kritische Gegenstimme zum allenthalben gefeierten Elle.
Verhoeven hat ein seltsames Bild vom Verhältnis der Geschlechter. Schon in Basic Instinct (1992) inszenierte er die Frau als Personifikation der Vagina dentata. Wenn die mutmaßliche Eispickelmörderin im Verhör ihre endlosen Beine übereinanderschlägt und dabei zeigt, dass auch die Frau ihr Geschlechtsteil zwischen den Beinen trägt, klafft mit diesem auch Paul Verhoevens Ratlosigkeit gegenüber dem weiblichen Wesen auf. Die gierige Vagina ist, wie der weitere Handlungsverlauf ausführt, Ursprung allen männlichen Verderbens. Immerhin darf die Frau hier noch handelndes Subjekt sein, was sich drei Jahre später mit Showgirls, von einer Fangemeinde als Kultfilm gefeiert, erledigt hat. Hier hat die Frau in ihrer Degradierung zum Objekt, ja, Sexobjekt, jegliche Würde verloren. Von ihr bleiben hirnlose Körper, kreisende Hüften und der blanke Busen. Die Verweise auf die Stupidität der männlich dominierten Welt sind angesichts der Exploitation des weiblichen Körpers geschenkt.
Eines muss man Verhoeven lassen: Die Besetzung mit Isabelle Huppert ist ein Geniestreich. Kaum eine andere Schauspielerin verkörpert wie sie zugleich Bourgeoisie und Autonomie, Verletzbarkeit und dickköpfigen Stolz, Gelangweiltsein und Abenteuerlust. Sie steht da in nichts der Katze nach, die sie hochhält und deren Wehrhaftigkeit sie einfordert. Am Ende gehört jedoch die Wehrhaftigkeit wieder einem Mann – ihrem eigentlich pussyhaften Sohn. Indem sie ihn zum schuldig werdenden Handelnden macht, überträgt die Vergewaltigte wiederum ihm ihr Ur-Trauma und macht sich in der Erlösung von ihrem Peiniger ein zweites Mal schuldig. Bei Verhoeven kommt die Frau eben nicht ungeschoren davon. Sie ist eine Erbschuld-Eva, da kann die Frau des Vergewaltigers so viel beten, wie sie will.
Im zweiten Vergewaltigungsfilm dieser Tage, der jetzt mit dem Auslands-Oscar belohnte The Salesman von Asghar Farhadi, ist die Frau zu stiller Passivität verdammt. Auch hier gibt eine, wenn auch subtiler formulierte und nicht psychoanalytisch gefasste Vorgeschichte die Richtung an. Das Wohnhaus droht wegen Bauarbeiten einzustürzen, daher muss das im bürgerlichen Milieu angesiedelte Paar in eine schnell aufgetane Übergangswohnung ziehen – und erfährt damit nicht nur gesellschaftlichen Abstieg, sondern auch tragische Nähe zur Hinterlassenschaft einer Prostituierten, Vormieterin der neuen Wohnung. Der Iraner Farhadi formuliert natürlich, anders als der Niederländer Verhoeven, den körperlichen Übergriff auf die Frau nicht aus (und lässt die Vergewaltigung unbestätigt als Andeutung über der Handlung schweben). Stellvertretend werden paradigmatische Momente von allzu großer körperlicher Nähe inszeniert. Sie zeigen eine Gesellschaft am Rande der Hysterie, wenn der Ehemann der Frau, ein ehrbarer Lehrer, unter Verdacht gerät, eine ältere Frau in einem Mini-Bus belästigt zu haben.
Am Ende ist bei Farhadi nicht die angegriffene Frau in ihrer körperlichen und psychosozialen Integrität verletzt, es ist vielmehr der Mann, dessen Ehre durch die unsittliche Berührung seiner Frau auf dem Spiel steht. Entsprechend nimmt auch hier der Mann in Rape-Revenge-Manier am Aggressor Rache, was wie in Elle – hier überraschend – körperlich ausgetragen wird. Die Vergewaltigung der Frau dient Farhadi insgesamt als Anschauungsmaterial für eine dysphorische Gesellschaftsanalyse, bei der nicht nur die Wohnbauten, sondern mit ihnen auch die bürgerlichen Werte und die individuelle Liebe ins Wanken gerät. Die angegriffene Frau wird zum Anlass für das größere gesellschaftliche Bild, auf das Farhadi abzielt.
Indem auch er die Frau für seine Zwecke instrumentalisiert und keinen Gegenentwurf zum gesellschaftlich Kritisierten findet, bleibt der Film seltsam auf der Strecke. Auch wenn die Frau am Ende das größtmögliche Risiko, die Beendigung ihrer Ehe, auf sich nimmt, geschieht dies wiederum, um sie als Hüterin der moralischen Werte auf das hohe gesellschaftliche Podest zu heben. Von dem heruntergestoßen hätte sie womöglich ihr Recht, ebenfalls Protagonistin zu sein, endlich einfordern können.