30.03.2017

Wahl­ver­wandt­schaften und andere Wech­sel­be­zie­hungen

La nave dolce
Das »süße Schiff« hatte Zuckerrohr aus Kuba geladen, machte Halt in Albanien und nahm Zehntausende von Menschen auf, die ihr Glück in Italien suchen wollten: La nave dolce

Mit »Apulien: Modernität und Tradition« stellt der Münchner Circolo Cento Fiori die Filme der Region vor

Von Elke Eckert

Der Circolo Cento Fiori, Mitglied der Filmstadt München e.V., stellt mit seiner dies­jäh­rigen Filmreihe mit Apulien eine Region in den Mittel­punkt, die auch bei Itali­en­rei­senden immer beliebter wird. In ihren Doku­men­ta­tionen und Spiel­filmen zeigen einhei­mi­sche Regis­seure die unter­schied­li­chen Gesichter dieser Gegend, die von archäo­lo­gi­schen Schätzen, kultu­rellen Bräuchen und modernen Unter­nehmen, aber auch von mafiösen Struk­turen und Migration geprägt ist.

Den Anfang der Filmreihe macht eine Erfolgs­ge­schichte. In Focaccia Blues (2009) spielt eine kuli­na­ri­sche Köst­lich­keit die Haupt­rolle. Die Focaccia, ein schmack­haft gewürztes Fladen­brot, setzte sich erst im nahe der apuli­schen Haupt­stadt Bari gelegenen Altamura gegen namhafte ameri­ka­ni­sche Fast-Food-Produkte durch, bevor sie ihren Siegeszug nach New York antrat. Wie es dazu kam und was die Brüder di Gesù damit zu tun haben, erzählt Nico Cirasola in seiner unter­halt­samen Docu­fic­tion. (Sa., 1.4., 17:30 Uhr)

Dass selbst die gelun­genste Inte­gra­tion ins Chaos führen kann, zeigt Regisseur Mimmo Mancini in seiner Komödie Ameluk (2014) am Beispiel eines jungen Jorda­niers: Jusuf, genannt Ameluk, wird in der Klein­stadt Mariotto von allen geschätzt. Doch als Wahlkampf und Passi­onszug zusam­men­fallen, und Moslem Ameluk bei beiden eine zentrale Rolle spielen soll, ist bei vielen der Gemein­de­mit­glieder Schluss mit lustig. Beim Zuschauer geht der Spaß da erst richtig los. (Sa., 1.4., 20:00 Uhr)

Pinuccio Lovero – Sogno di una morte di mezza estate spielt ebenfalls in Mariotto. So lange er denken kann, hat Titelheld Pinuccio davon geträumt, Toten­gräber und Fried­hofs­wärter zu werden. Als sein Traum mit vierzig endlich in Erfüllung geht und Pinuccio sich voller Taten­drang in seine neue Aufgabe stürzt, mangelt es dem Spät­be­ru­fenen plötzlich an seiner Geschäfts­grund­lage. Pippo Mezza­pesas Docu­fic­tion von 2008 punktet mit ihrer Haupt­figur und der skurrilen Geschichte. (So., 2.4., 17:30 Uhr)
Ein faszi­nie­rendes Schau­spiel sind die Ballon- und Messer­tänze, Danze di palloni e di coltelli, die in der Provinz Lecce zum Kulturgut gehören und von Gene­ra­tion zu Gene­ra­tion weiter­ge­geben werden. In Paràbita werden beide Kunst­formen zu Ehren des Heiligen Antonius in der Abend­däm­me­rung aufge­führt. Die Künstler bringen ihre selbst­ge­fer­tigten Ballons und beim Fechten auch ihre Messer zum Tanzen. In Chiara Idrusa Scri­mieris Doku­men­tar­film von 2009 steht Leonardo Donadei im Mittel­punkt, der diese einzig­ar­tige Darbie­tung perfekt beherrscht und als »ballunaru« und »scher­mi­dore« sein Publikum begeis­tert. (So., 2.4., im Anschluss an Pinuccio Lovero)

Auch Ales­sandro Pivas Komödie von 2003 überzeugt mit einem außer­ge­wöhn­li­chen Duo. Mio cognatoMein Schwager erzählt von zwei Männern, die zur gleichen Familie gehören, aber sonst nicht viel mitein­ander anzu­fangen wissen. Toni bewegt sich auch als Vater und Klein­un­ter­nehmer gerne am Rand der Legalität und darüber hinaus. Sein Schwager Vito führt dagegen ein ruhiges und gere­geltes Leben. Als Tonis Sohn getauft und während­dessen Vitos Auto gestohlen wird, verschlägt es die beiden gemeinsam in Baris Altstadt – in Ecken, in denen Vito noch nie war, Toni sich aber bestens auskennt. Am Ende der Nacht ist ihre Beziehung eine andere. (So., 2.4., 20:00 Uhr)

Eine Verwandt­schaft ganz anderer Art führt in der deutsch-italie­ni­schen Kopro­duk­tion Pizzicata (1996) zu einer Tragödie: Toni, ein ameri­ka­ni­scher Bomber­pilot mit italie­ni­schen Wurzeln, stürzt 1943 auf Salento über dem Hof des Bauern Carmine ab. Dieser gibt Toni fortan als Verwandten aus, um ihn zu schützen. Toni bedankt sich dafür mit seiner Mitarbeit auf dem Feld. Er entdeckt die Sitten und Bräuche seiner Vorfahren und verliebt sich in Carmines Tochter. Doch die ist bereits einem Anderen verspro­chen… In Edoardo Winspeares Drama wirken fast ausschließ­lich Laien­dar­steller mit, nur die Rolle des Bauern Carmine ist von einem Schau­spieler besetzt. (Mo., 3.4., 19:30 Uhr)

Italien ist wegen seiner Randlage eines der europäi­schen Länder, das am stärksten von Migration betroffen ist. Und das nicht erst in den letzten Jahren. Schon im Sommer 1991, am 8. August, erreichte ein Fracht­schiff mit 20.000 Menschen den Hafen von Bari. Bei dem Schiff handelte es sich um einen mit Zucker beladenen Handels­frachter, der tags zuvor von Albanern gekapert wurde, die auf ein besseres Leben hofften. Daniele Vicari zeigt mit seiner Doku­men­ta­tion La nave dolce (2012), wie an diesem Augusttag eine Nation von Auswan­de­rern begonnen hat, sich zum Einwan­de­rungs­land zu wandeln. (Di., 4.4., 19:30 Uhr)

Apulien: Moder­nität und Tradition. Filmreihe vom 1. – 4. April 2017, Carl-Amery-Saal (ehem. Vortrags­saal der Biblio­thek), Gasteig, Rosen­heimer Str. 5, 81667 München

Am 4.4. findet ab 21 Uhr findet zum Abschluss der Filmreihe ein Empfang in der Stadt­bi­blio­thek am Gasteig statt.

Alle Filme werden in der italie­ni­schen Origi­nal­fas­sung mit deutschen oder engli­schen Unter­ti­teln gezeigt.

Eine Veran­stal­tung der Filmstadt München e.V.