Frauen und ernste Filme gewinnen |
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Der mit Abstand radikalste, gewagteste Film unter den Nominierten: Nicolette Krebitz' Wild |
»Toni Erdmann«, »Toni Erdmann«, »Toni Erdmann«, »Toni Erdmann«, »Toni Erdmann«, »Toni Erdmann« – gleich sechsmal war Toni Erdmann nominiert, sechsmal gewann Maren Ades Film. Es waren auch sonst am Ende einmal mehr die Favoriten und die üblichen Verdächtigen, die am Samstag-Abend bei einer festlichen Galaveranstaltung auf dem Berliner Messe den Deutschen Filmpreis 2017 erhalten haben.
Nichts wirklich dagegen zu sagen, aber auch keine Preisvergabe, die nach einem Jahr Toni Erdmann-Hype noch außer bei den Beteiligten irgendeine Begeisterung auslöst. Und wahrscheinlich insgesamt verdient, wenn auch etwas zu viel, etwas zu eindeutig. Denn diese scheinbar uneingeschränkte Zustimmung allerorten für Toni Erdmann bürdet dem Film auch etwas auf, was er nicht aushält, lädt ihn mit einer Erwartung auf, die er nicht einlöst und auch nicht verdient hat – denn so groß, oder gar perfekt, gar ein Film, der das Kino verändert, ist Toni Erdmann nicht. Man kann sogar mit guten Gründen zweifeln, ob sich in zehn oder zwanzig Jahren noch irgendwer an Toni Erdmann erinnern wird. Eine sehr geschätzte Kollegin schrieb das neulich in größerer Runde so: »Leute, ich bin davon überzeugt, dass der Superriesenerfolg dieses Films in 10 Jahren als interessantes Missverständnis gehandelt werden wird. Der Film hat beachtliche Schwächen.«
Man muss das nicht so sehen. Man wünschte sich aber, gerade von einer Filmakademie, die doch nach eigenem Selbstverständnis (oder Selbstdarstellung?) aus lauter superkompetenten Quasi-Experten besteht, die so viel besser Bescheid wissen, als Jurys, Kritiker oder das Publikum, von so einer Masse aus 1800 Bescheidwissern wünschte man sich zumindest ein paar zarte Stimmen des Dissenses, des Zweifels, ob Toni Erdmann in jeder maßgeblichen Kategorie außer ausgerechnet Kamera – oder hat er exzellente Patrick Orth einfach nur die schwächere Lobby – wirklich der beste Film des Jahres ist, oder der auszeichnungswürdigste.
Einmal mehr konnte man da stattdessen etwas anderes beobachten: Ein hyperventilierendes Kollektiv, das sich an der eigenen Begeisterung begeistert, und sich freut, als gefühlt dreizehnte deutsche Brancheninstitution Toni Erdmannauszuzeichnen – die zwölfte war, das wollen wir nicht verschweigen, davor der »Verband der deutschen Filmkritik, der dann aber immerhin Lilith Stangenberg für ihre atemberaubende Leistung in Wild gewürdigt hat. Wild ist gerade so ein Dissensfilm, wie Toni Erdmann eben doch ein Konsensfilm ist.«
Und selbstverständlich spiegelten sich alle diese Gedanken, Zweifel und Einwände dann auch in vielen Gesprächen mit Akademie-Mitgliedern und Filmemachern bei der anschließenden Filmpreis-Party wieder. Nur eben nicht in den Preisabstimmungen. So war es dann auch eher eine Entscheidung, die bestätigt, wie langweilig das Resultat einer Massenwahl eben normalerweise ist.
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Immerhin zweiter Sieger wurde Wild von Nicolette Krebitz mit vier Preisen – der mit Abstand radikalste, gewagteste Film unter den Nominierten, derjenige, der am ehesten dem entspricht, was die Bundesfilmpreise – im Amtsdeutsch eine »zweckgebundene Subvention« der Kulturfördergelder des Bundestages für »herausragende kulturelle Einzelleistungen« – eigentlich sein
sollten: Eine Auszeichnung für das Besondere.
Es handelt sich, auch daran muss man regelmäßig erinnern, nicht wie beim »Oscar« um einen Preis der Filmakademie, sondern um einen Staatspreis, um Steuergelder für Kultur, die die Akademie allenfalls treuhänderisch auf Zeit verwaltet. Und es ist die mit insgesamt drei Millionen am allerhöchsten dotierte Kulturauszeichnung des Landes – viel höher als die ganzen anderen Preise, die die Kulturstaatsministerin Monika Grütters
nach unserem Eindruck viel mehr interessieren.
Übrigens, das gehört jetzt gar nicht hierhin, nur ein kleiner Teil des Etats der Berlinale, den wir hier demnächst auch mal näher unter die Lupe nehmen müssen. Aber der ist ja auch keine Kulturauszeichnung.
Dieses Rumgesülze immer – »starker Jahrgang«. Abgesehen, davon dass Kino kein Wein und keine Klasse der Berliner Schule ist, der Filmpreis keine Abifete, auch wenn man das manchmal zu später Stunde glaubt, abgesehen davon sind 16 Prozent Marktanteil auch nicht sehr hoch, sondern eine Enttäuschung.
Wer keinen dieser Filme gesehen hatte, und nur von den Ausschnitten urteilen konnte, der musste sonderbare Eindrücke bekommen: Männer, die auf Bäumen sitzen und Frauen, die
minutenlang unter Wasser schwimmen – haben wir schon hundertemal gesehen. Aber immer wieder schöne Klischees.
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Der große Verlierer des Abends war dagegen – auch aus vielen Gründen nicht unverdient – Chris Kraus' geschmacklose »Holocaust-Komödie« Die Blumen von gestern: Trotz acht Nominierungen gab es keinen einzigen Preis – offenbar hatten sich viele Akademiemitglieder über die Aufmerksamkeit durch übertrieben empfundene 8 Nominierungen geärgert. Wobei das Verlieren in jedem Fall relativ gemeint ist – immer noch unglaubliche 250.000 Euro Fördergeld gibt es schließlich allein für die Nominierung. Zumindest im Fall von Willkommen bei den Hartmanns, der von Filmkunst so entfernt ist wie die Erde vom Mars, ist das eine Schande.
Til Schweiger war dann als Laudator von Willkommen bei den Hartmanns engagiert, und versuchte, die Flüchtlingsklamotte zu einem politischen Manifest umzudichten: »nimmt berechtigte Sorgen ernst ... nachvollziehbar, irritierend und spannend« – dass das Til Schweiger so ging, das glaube ich sogar. Ansonsten war die Botschaft auch Til-Schweiger-haft: 3,6 Millionen Zuschauer können nicht irren, was wollt ihr!
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Als Peter Simonischek den Darstellerpreis bekam, war er über Skype zugeschaltet, wie später noch Michael Moore, was dessen Absage noch zusätzlich hervorhob. Ist Skype ein Filmpreis-Sponsor, oder fanden da wirklich welche »oh ist doch toll, dass der dabei ist... egal ob man was versteht« – ja spinnen die denn! Und das schreibe ich nicht, weil Iris Berben übersetzte, das war ganz hervorragend.
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Trotzdem war es am Freitag eine solide Veranstaltung mit angemessenen Entscheidungen und ohne große Überraschungen im Guten wie schlechten. Und gut erklärbar: Drei ernste Filme und drei Komödien waren nominiert – es gewannen die ernsten. Drei Regisseurinnen waren nominiert, und drei Regisseure – es gewannen die Frauen.
Vollkommen äußerliche Aspekte, die mit den einzelnen Filmen wenig zu tun haben.
Was aber irritiert, sind mindestens drei Aspekte. Einmal reine Geschmacksfragen: Die Kleider (Ich würde übrigens auch über Männer schreiben, wenn sie Kleider anhätten, oder wenigstens gemusterte Smokings mit handtellergroßen Löchern überm Bauchnabel, also nix fürs Gendergemecker jetzt bitte). Locker ein halbes Dutzend mal fragte man sich, ob das jetzt Absicht war, oder die Schwester, die halt gerade eine Schneiderlehre macht, oder der Wühltisch am Donnerstag im Münchner
Woolworth... Loben wir besser: Palina Rojinski hatte ein Superkleid, das ihr hervorragend stand. Das war schon mal eine Ausnahme. Das schönste Outfit des Abends hatte aber Nicolette Krebitz – und ich kann nicht behaupten, dass mich das überrascht.
Die Kinderfilme: Warum müssen Kinderfilme eigentlich immer so kitschig und sentimental sein. Warum haben da alle einen Tonfall, als sei der Film für Dreijährige, obwohl er erst ab 6 freigegeben ist?
DIe Musikeinlagen: Sogar
in den dezenten Fernsehbildern war das Augenrollen und Fremdschämen der nominierten Regisseure deutlich sichtbar, als Katja Riemann als Musik-Pausenshow-Einlage auftrat – mit Schmetterlingsflügeln eher an eine japanische Mangapuppe erinnernd, als an einen seriösen Filmstar. Ist denn da niemand, der Gedanke kam nicht nur mir, der die Stars rettet vor solchen Selbstentblößungen? Schon klar, das sollte alles überaus ironisch sein, es verstand aber keiner.
Da war der Kitschgesang von Jasmin Tabatabai zu den Schwarzweiß-Bildern der Verstorbenen noch relativ ok, im Gegensatz zu manchen ihrer Moderationen.
Einmal mehr galt: Wenn deutsche Filmleute auf der Bühne reden, dann hat es selten etwas Selbstverständliches. Entweder sind sie so brachial gut gelaunt, dass man sich die Ohren zuhalten will, oder wahnsinnig ergriffen von sich selbst, oder ungemein bedeutungsvoll: »Man muss wählen gehen und dann die Entscheidung der Mehrheit
akzeptieren.« sagte Tabatabai, die sich offenbar eigene Gedanken gemacht hat. Das hätte sie besser gelassen.
Quatsch! So ein Blödsinn!! Den Satz hätte auch Erdogan sagen können. Nicht bloße Mehrheit, sondern Respekt für Minderheiten – man muss das in den Zeiten der Demagogen wohl auch bei einem Filmpreis sagen – ist der Unterschied zwischen Demokratie und der Diktatur des kleinsten gemeinsamen Nenners.
Überdies »gehen« nach eigenen Angaben der Filmakademie nur um die 60 Prozent ihrer Mitglieder wählen. Von »müssen« keine Rede.
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Davon abgesehen, sollte eine Akademie, die angeblich auf ihre Würde hält vielleicht auch nicht als allererstes die Politiker begrüßen, und dann die Fernsehsender – aber dieser Moment ist natürlich authentischer, als alles was folgt – und wird deswegen für die Fernsehübertragung genauso rausgeschnitten, wie die Rede der Kulturministerin. Wer im Saal sitzt, erlebt dafür dann zwei Anfänge: Einmal den echten mit Grüttersrede, und dann nochmal den zweiten fürs Fernsehvolk.
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»Ich bin so froh, dass ich in einem Land lebe, wo das möglich ist.« sagt Jasmin Tabatabai dann mit erhobenem Zeigefinger und jener überbetonten Aussprache, an der man die Schauspielerin von der Moderatorin unterscheiden kann. Christiane Paul weinte schon an dieser Stelle. Dabei meinte Tabatabai gar nicht die zwei Veranstaltungs-Anfänge oder die ausgefallene Grüttersrede, sondern immer noch die freue Filmpreiswahl und die Meinungsfreiheit, oder irgendwas dazwischen.
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Die Party nach der Verleihung war dann sehr charmant, lauter nette Leute und Gespräche, die um Fragen kreisten, wie ob Frederik Lau eigentlich ein Brusthaartoupee hat, oder in Das kalte Herz alles echt ist (wir werden das noch aufklären), ob Justus von Dohnanyi in Timm Thaler jetzt unerträglich ist, oder ob’s an der Regie liegt (tut es nicht), und von welchem Film die Kollegin gegenüber sprach, als wir den Wortfetzen »ein richtiger Scheißfilm, ich hab mich geekelt vor diesem Film« auffingen. Ich hab es natürlich rausgefunden, aber es wäre jetzt unhöflich, das zu sagen.
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Natürlich gab es nach der Preisverleihung auch wieder die bekannten Debatten um das dreistufige, überaus komplizierte Wahlverfahren, das auch nur wenige Akademiemitglieder wirklich durchschauen. Viele Filmemacher kritisierten um Umfeld der Preisverleihung, dass extremere, irritierende, ungewöhnliche Werke zum Teil gar nicht nominiert waren.
Will man zu guter Letzt etwas Konstruktives vorschlagen, und auch darüber reden viele auch in der Akademie, dann könnte man ja
mal überlegen, ob man wie bei den Golden Globes Äpfel und Birnen nicht zusammenwirft, sondern trennt, also je Preise für »Beste Komödie« und »Bestes Drama« vergibt. Ob man vielleicht einen Preis fürs Beste Debüt vergibt, trotz »First Steps«. Und Preise für Jugendfilme, so etwas wie »Generation 14plus« auf der Berlinale.
Fazit einstweilen: Die Nominierungsvergabe durch die Akademie funktioniert nicht, trotz viel Mühe um Ausgewogenheit, Gerechtigkeit und demokratische Verfahren.
Und der Bundesfilmpreis wird auch nicht besser, weil man ihn Lola nennt.