Auf der Suche nach Asien |
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Stärkster chinesischer Beitrag: Feng Xiaogangs I Am Not Madame Bovary |
Von Arne Koltermann
Filme aus ostasiatischen Ländern versprechen hemmungslose Gewalt, Neurosen und rätselhafte Laute, die direkt aus dem Zwerchfell zu kommen scheinen. Doch was verbindet diese Kulturen miteinander? Hier die riesigen Filmindustrien in Japan, Korea und dem noch halbwegs eigenständigen Hongkong, dort scheinbar weiße Flecken des Films wie Laos und Malaysia. Dazwischen so unterschiedliche Länder wie Thailand oder die Philippinen.
Im friaulischen Udine, malerisch voralpin im äußeren Nordosten der italienischen Halbinsel gelegen, fanden sich zum nunmehr neunzehnten Mal Produzenten, Filmemacher und Freunde des fernöstlichen Films ein, um sich auszutauschen, in Workshops zu Haiku oder Tai Chi die Zeit zu vertreiben, aber vor allem: Filme anzuschauen. Der Begriff Far East ist Ausdruck einer hiesigen Perspektive und erlaubt ebenso wenig wie das vom assyrischen Assu (»Sonnenaufgang«, »Osten«) abgeleitete Wort Asien Rückschlüsse über Selbstverständnis und Eigenheiten dieses riesigen Erdteils. Eine der EU vergleichbare Asiatische Union gibt es nicht, die politischen Beziehungen beschränken sich auf Freihandelsabkommen und Zweckbündnisse angesichts gemeinsamer Feinde. Besteht Asien also nur für den westlichen Betrachter oder lässt sich von einer groben geografischen Gemeinsamkeit auf eine asiatische Essenz schließen, die sich in ähnlichen Filmsprachen ausdrückt?
Die im futuristisch anmutenden Teatro Nuovo in Udine präsentierten Werke folgten Formeln, mit denen sich in Hongkong und Hanoi genauso reüssieren lässt wie in Hollywood: Im Esperanto des Genrekinos werden Horrorfilme, Buddy Movies und Melodramen produziert – mit klinisch reinen Oberflächen, klaren Figurenzeichnungen und verschwenderischem Einsatz von gefühliger Geigenmusik. Anscheinend gleichen sich die Mittelstandslebensweisen im Schlepptau der Globalisierung immer weiter an: Sei es die schleichende Entfremdung eines Ehepaares (der chinesische Someone to Talk to), die allzu rainmanhaft erzählte Annäherung eines alternden Bowlingstars an einen inselbegabten Autisten (der koreanische Split) oder die Wandlung eines geldgierigen Advokaten, der über die Rehabilitierung eines zu Unrecht verurteilten Habenichts zum Fahnenträger der gerechten Sache wird (der ebenso koreanische New Trial). Diese Läuterungsfilme besitzen in ihrem Glauben an die umstandslose Wandelbarkeit des Menschen etwas Aufmunterndes – sind aber in den schwächeren Fällen universell belanglos.
Das Far East Film Fest versteht sich als ein Festival des populären Films. Kein Wunder, dass hier kaum elliptische, meditativere Filme zu sehen sind, in denen wir der Zeit beim Verrinnen zuschauen. Die starken Genrebeiträge kamen aus den Bereichen Thriller und Horror: Allen voran Herman Yaus The Sleeping Curse über einen besessenen Wissenschaftler (Anthony Wong), der an seinen Menschenversuchen zur Überwindung des Schlafbedürfnisses wahnsinnig wird – eine eher komplizierte Geschichte, die von Schamanismus über Schwanzabschneiden bis kannibalem Körperschmaus alles bot, was Bodyhorrorherzen höher schlagen lässt. Ebenfalls körperlich erzählte Liu Jie im Klassenkampfthriller Hide and Seek von der verdrängten Familiengeschichte eines jungen Vaters. Im koreanischen Bluebeard heftet sich ein biederer Krankenhausarzt auf die Spuren eines Frauenmörders. Steckt sein Metzger und Vermieter damit zu tun, und welche Rolle spielt dessen greiser inkontinenter Vater?
An Klischees können wir uns schön orientieren, und die japanische Gesellschaft hat hier scheinbar einiges zu bieten: Obrigkeitsfixiert, ritualisiert und hemmungslos neurotisch. High School Bullying, Schulkinder machen sich gegenseitig das Leben zur Hölle, geschickt mit politsatirischen Elementen verwoben in der Mangaverfilmung Teiichi – Battle of Supreme High. Mit den im japanischen Kino stets präsenten Hang zum Expressiven erzählte Uchida Eijis Love and other Cults das Coming-of-Age des jungen Mädchens Ai. Von ihrer erlösungssüchtigen Mutter ausgestoßen, sehnsüchtig nach Halt in der Gemeinschaft – sei es eine Sekte, eine Teenie-WG, die Pornoindustrie. In Over the Fence widmete sich der in Udine gleich mit drei Werken vertretenen Yanashita Nobuhiro der Amour fou eines geschiedenen Mittvierzigers mit der manischen Kellnerin Satoshi, die gern Balztänze von Vögeln imitiert. Deutlich prüder als der Titel versprach verfilmte Nishitani Hiroshi die Serie Hirugao – Love Affairs in the Afternoon als gefühlige Tragödie über die unglückliche Liebe einer geschiedenen Frau zu einem Fliegenforscher. Sehr atmosphärisch und humorvoll präsentierte sich das Endzeit-Road-Movie Survival Family, der Eröffnungsfilm von Yaguchi Shinobu. Auch den Publikumspreis gewann mit Close-Knit ein japanischer Beitrag: Behutsam erzählt Ogigami Naoko über ein verlassenes kleines Mädchen, das zu seinem Onkel kommt und damit umzugehen lernt, dass er mit einer Transsexuellen zusammenlebt.
Den stärksten chinesischen Beitrag lieferte Feng Xiaogangs I Am Not Madame Bovary: Eine durch reichlich Aussparungen und Perspektivwechsel raffiniert gefilmte moderne Parabel über eine Frau, die gegen die scheinbar übermächtige chinesische Bürokratie um ihren Ruf kämpft. Den Unterschied zwischen der Machtzentrale Peking und dem der provinziellen Heimat der Hauptfigur Li Xuelian betonte Xiaogang, indem er letztere in einem den überwiegenden Teil der Leinwand schwarz lassenden ovalen Bildausschnitt als völlig andere, scheinbar autarke Lebenswelt inszenierte.
Gegenstand einer Sonderprogrammierung war ein Fixstern der asiatischen Filmkunst, der seit der Übergabe durch England mehr und mehr unter chinesische Kontrolle gerät: Hongkong Cinema 1997-2017 präsentierte mit Werken von Johnnie To bis Wong-Kar Wai nicht nur die ortsüblichen Genres Action und Neo-Noir, sondern auch Fruit Chan’s Made in Hongkong – die tragische Liebe eines Kleinganoven zu einem todkranken Mädchen, mit wenig Budget gedreht in beengten Behausungen und wuseligen Straßen. Nicht überraschend, aber behutsam erzählte Wong Chun in Mad World die holprige Annäherung eines bipolaren Mannes an seinen Vater. Von der immer stärkeren Integration des Hongkong-Films in den chinesischen Markt zeugten diverse Co-Produktionen wie Derek Tsangs Buddy Movie Soul Mate über zwei sehr gegensätzliche junge Frauen: Wie so häufig eine Bestsellerverfilmung, Ausdruck eines erzählerischen Hanges zur sicheren Nummer.
Die Politik fand nur vor historischer Folie statt – als Seitenstränge kamen die Wunden der japanischen Besatzung in einigen koreanischen und chinesischen Filmen vor. Wenig erfuhren die Zuschauer über den Zustand der Gesellschaften, in denen die Filme spielen. Eine Ausnahme bildete Little Sister, ein Psychothriller der laotischen Regisseurin Mattie Do über das junge Mädchen Nok, das von ihrer Familie zu einer und unter den Spannungen in ihrem neuen Haushalt zu zerbrechen droht. Ein beunruhigendes Spiel mit Perspektiven und Erwartungshaltungen. Sonst bekäme man aus ihrem Land nur Filme im Poverty-Porn-Stil (die voyeuristische Inszenierung von Armut) zu sehen, und die seien meist »un cazzo di merda«, fluchte Do in der Sprache der Gastgeber und zu deren Erstaunen. Einen Einblick in die gesellschaftliche Realität der Philippinen schien man sowohl im Transgenderdrama Die Beautiful zu bekommen sowie im Dokumentarfilm Sunday Beauty Queen über das entbehrungsreiche Leben philippinischer Hausangestellter in Hongkong – einer der seltenen Fälle, in denen über eine Co-Produktion hinaus eine innerasiatische Länderbeziehung reflektiert wurde (ab dem 04. Mai auf dem Dok.Fest München zu sehen). Dem philippinischen Kino der siebziger und achtziger Jahre widmete sich im sehr schönen, abgelegenen Kino Visionario eine kleine Retrospektive, mit Lino Brocka’s Bibelvariation Cain and Abel als krönendem Abschluss.