Der Vater der lebenden Toten |
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Amerikanischen Albträume und Lebenslügen auf der Leinwand... |
Nur auf den ersten Blick könnte man meinen, sie wären kein Thema für das bildungsbürgerliche Feuilleton: Die Zombies, jene seltsamen Untoten, die im Horrorkino seit Beginn der Filmgeschichte immer populärer wurden. Doch erst durch den Regisseur George A. Romero wurde aus einer Horrorfigur unter vielen eine der wichtigsten popkulturellen Metaphern unserer Zeit: Ob vergangene Woche, als 1000 friedliche Demonstranten ganz in grau gekleidet, mit grau geschminkten Gesichtern, mit einem »Zombie-Walk« im schlurfenden Zeitlupengang als lebende Tote des Kapitalismus gegen den Hamburger »G20«-Gipfel protestierten, oder schon vor gut 20 Jahren, als Michael Jackson mit seinem »Thriller« den berühmtesten Musik-Video der Geschichte produzierte – immer stand George Romero und die von ihm erfundenen Figuren Pate.
Bereits in seinem allerersten Film, Die Nacht der lebenden Toten legte Romero den Grundstein für das, was ihn zeitlebens beschäftigen und verfolgen sollte. Zuvor hatte er als Regisseur von Werbefilmen sein Handwerk gelernt. Als Sohn eines kubanischen Vaters war er am 4. Februar 1940 in der New Yorker Bronx zur Welt gekommen.
Für nur 6000 Dollar produzierte
er dann seinen Erstling – ursprünglich ein nicht ganz ernst gemeinter Paranoia-Thriller. Aber es war das Jahr 1968, als auch das liberale Amerika gegen den Vietnam-Krieg protestierte. Und als dann auch noch Martin Luther King von Rassisten ermordet wurde, wurde aus dem Film, in dem spießbürgerliche weiße Tote, die durch seltsame Strahlungen wieder zum Leben erweckt wurden, die schwarze Hauptfigur zu Tode hetzen plötzlich eine soziale Metapher.
Mit diesem Film wurde Romero zur führenden Figur jener Gruppe von Independent-Regisseuren, die noch jenseits des schon unabhängigen »New Hollywood« die verschrienen Genres und Figuren des »Mitternachts-Kinos« – Vampire, Außerirdische, »Körperfresser«, Horror, Science-Fiction, Sex- und Splatter – benutzen, um Amerika zu verändern: John Carpenter, Wes Craven, David Cronenberg und eben Romero brachten die amerikanischen Albträume und Lebenslügen auf die Leinwand und
wurden der filmische Zweig der 68er.
Während die Kollegen ihre Stoffe variierten, waren Romeros Lebensthema die Zombies. Ursprünglich stammten sie aus dem Voodoo-Kult der amerikanischen »Negersklaven«, in dem lebende Menschen, in totengleichen Trance versetzt werden und nur zu langsamen Bewegungen fähig sind.
Romero vermischte diese Idee mit der sinnlichen Erfahrung der Schrecken des 20. Jahrhunderts: Die Überlebenden der NS-Vernichtungslager und Hiroshimas, aber auch
Napalm-Opfer, denen die Haut in Fetzen vom Leib hin – das waren die Zombies der Wirklichkeit, die ihren kulturellen Ausdruck im Zombie-Film fanden.
Denn die Zombies mögen Monster sein, aber vor allem sind sie Opfer: Im Gegensatz zu Vampiren sind die Zombies keine glamourösen, souveränen Monster, und im Gegensatz zu Aliens kommen sie nicht aus anderen Welten, sondern aus unserer Mitte. Sie sind Ausgestoßene, Versehrte, und gerade in dem, was wir an ihnen unangenehm und ekelig finden, sind sie ein Spiegel unserer selbst: In einer Gesellschaft, die sehr stark von der Optimierung geprägt ist, verkörpern sie unsere eigene Angst vor körperlichem Verfall, Kommunikationsverlust, vor Krankheit, Tod und Verwesung.
Im Werk Romeros, der auch (Zombie-)Romane schrieb, folgten auf den allerersten noch sechs weitere Zombie-Filme, der letzte 2009. In ihnen wurden die Figuren immer menschlicher und mutierten zur Analogie auf den Durchschnittskonsumenten, der von Medien und Populisten manipuliert wie ferngesteuert den Versuchungen des Kapitalismus erliegt. Berühmt ist Dawn of the Dead, der fast komplett in einer großen Shopping-Mall spielt – aus Waren werden hier Waffen.
George A. Romero war insofern auch der Klassenkämpfer des Horrorfilms. Ein widerständiger, humorvoller Kritiker des amerikanischen Traums und seiner Versuchungen, einer der im Schrecken immer auch das Eigene entdeckte. Am Sonntag erlag Romero mit 77 Jahren einer Krebserkrankung.