Keinen Bock auf deutsche Frauen? |
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Der einzige Film im deutschen Wettbewerb von Leipzig, bei dem eine Frau wenigstens Co-Regie geführt hat: Muhi – Generally Temporary |
Von Dunja Bialas
DOK Leipzig führt die Frauenquote ein! Ja, was für eine tolle Schlagzeile, die die Leipziger Festivalintendantin Leena Pasanen uns Journalisten zur Eröffnung ihres Festivals vergangene Woche lieferte. Wie aber kam es dazu, dass eine wesentliche Forderung von Pro Quote Regie jetzt so freiwillig von dem zweitgrößten europäischen A-Festival für Dokumentarfilm eingelöst wird?
Der Paukenschlag kam mit einem Eingeständnis. »Leider haben wir auch keine guten Nachrichten«, offenbarte Pasanen mit Blick auf die Casting-Couch-Debatte und die Me-too-Initiativen der letzten Wochen. Und dann kam es: »In unserem deutschen Wettbewerb für lange Dokumentar- und Animationsfilme ist nur eine Frau als Co-Regisseurin vertreten.«
Wie bitte?
Leipzig soll also als führendes deutsches Dokumentarfilmfestival es nicht geschafft haben, auch nur einen Film einer deutschen Regisseurin an Land zu ziehen? Wie kann das sein? Gerade der Dokumentarfilm ist doch, so die erhellende Studie »Gender und Film« der FFA, die deutsche Frauendomäne neben dem Drama. »Die Analyse zeigt«, heißt es dort unter dem Stichwort »Genre«, »dass Frauen häufiger Dokumentarfilme inszenieren als Männer. Von allen Filmen, bei denen eine Frau Regie führte, waren 41% Dokumentarfilme.« Bei Männern ist das Genre unbeliebter: Nur 29% von ihnen machen Dokumentarfilme, wenn sie Regie führen.
Was aber noch nichts darüber aussagt, wie das Gender-Verhältnis im Dokumentarfilm insgesamt aussieht. Für die Festivalteilnahmen kommt die Studie der FFA zu dem Ergebnis: »Im Dokumentarfilmbereich ist die Teilnahmehäufigkeit fast gleich.« Die minimalen Unterschiede wurden als »nicht signifikant« eingestuft.
(Q: FFA Filmförderungsanstalt [Hg.]: Studie Gender und Film – Rahmenbedingungen und Ursachen der Geschlechterverteilung von Filmschaffenden in
Schlüsselpositionen in Deutschland. Berlin: Februar 2017).
Zur absoluten Zahl von Regisseurinnen gibt die Studie leider keine Auskunft. Unabhängig davon ist aber anzunehmen, dass es im starken Frauengenre Dokumentarfilm auch 2017 eine wesentliche Anzahl von deutschen Dokumentarfilmen geben muss, bei denen Frauen Regie geführt haben. Ein Blick in den Katalog des 34. Kasseler Dokfests, das am kommenden Dienstag beginnt, bestätigt dies zumindest im Ansatz. Von den zehn programmierten Langdokumentarfilmen von Frauen (ohne Co-Regie) wird immerhin einer in Deutschlandpremiere (Roser Corella: Grab and Run), einer in Europapremiere (Karin Jurschick: Playing God) und zwei in Weltpremiere (Eva Knopf: Myanmarket und Angela Zumpe: Pfarrers Kinder) gezeigt. [Anmerkung der Autorin: Ob es sich bei Knopfs Film tatsächlich um eine WP handelt, ist fraglich. Aber auch DOK Leipzig hatte eine angebliche WP in seinem Programm: Ruth Kaaserers Gwendolyn, der zuvor auf der Viennale einen Preis gewonnen hatte.] Demgegenüber stehen vierzehn Filme von Regisseuren im Kasseler Programm. Das Geschlechterverhältnis ist hier also ziemlich ausgeglichen.
Doch kehren wir nach Leipzig zurück. Den Prinzipien meiner Auswertung des Kasseler Programms folgend, wäre nicht einmal der halbe Leipziger deutsche Film-von-einer-Frau mitgezählt worden, handelt es sich doch bei Muhi – Generally Temporary um eine deutsch-israelische Co-Produktion. Regie geführt hat Rina Castelnuovo-Hollander, die seit drei Jahrzehnten als Photographin arbeitet, der Film ist das Debüt der Israelin. Der wesentlich jüngere Co-Regisseur Tamir Elterman stammt aus Berkeley und lebt in Tel Aviv. Wenn wir nach der Berücksichtigung des Geschlechts nun auch noch die Nationalität bzw. den Wohnort betrachten, kommen wir zur Tatsache:
Keine einzige deutsche Regisseurin war im deutschen Langfilmwettbewerb von Leipzig vertreten.
Insofern war Leena Pasanen ziemlich euphemistisch, als sie sich auf die Wettbewerbsprogrammierung bezog, ohne genauer hinzusehen, was dies für die deutschen Regiefrauen eigentlich bedeutet. Aber wir unterstellen ihr, dass sie selbst ziemlich erschrocken die Notbremse gezogen haben muss und in die Offensive gegangen ist, bevor der große Aufschrei losgehen konnte.
Pasanen hat nun angekündigt, »für 2018 und 2019« eine Quote für Regisseurinnen im deutschen Wettbewerb einzuführen, also einen zweijährigen Testballon zu starten. Aufschlussreich, dass sie hinterherschickt: »Ich bin mir darüber im Klaren, dass es viele gibt, die gegen diese Quote sein werden – auch Regisseurinnen.« Ist das vorauseilende Selbstverteidigung, oder will sie sich damit feministischer und aufgeklärter als die Quoten-BeführworterInnen geben? Findet sie die Quote am Ende selbst gar nicht so gut?
Wenn Pasanens Aussagen stimmen und sie nicht Dinge gesagt hat, die sie eigentlich ganz anders gemeint hat, dann ist der Grund für die jetzt erhobene Selbstauflage hausgemacht. »Wir sind durch unsere Statistiken gegangen und sehen, dass es jedes zweite oder dritte Jahr an Regisseurinnen im deutschen Wettbewerb mangelt. Dies ist auch der Fall, wenn die Anzahl der eingereichten Filme, die von Regisseurinnen gemacht wurden, oder unsere Auswahlkritierien gleich bleiben. Was also läuft schief?«
Ja, was also läuft schief bei DOK Leipzig? Gleiche Anzahl von eingereichten Filmen von Frauen und trotzdem keiner im Programm. Waren die alle schlecht? Heißt dies am Ende des Tages, dass mit der Einführung der Quote die Qualität im deutschen Langfilmwettbewerb sinken wird? Oder wie sonst ist es zu verstehen, dass Frauen so eine geringe Rolle in Leipzig spielten? »Jedes zweite oder dritte Jahr« ist also entweder der Jahrgang schlecht, was mit einer Quote kaum verbessert werden kann, oder… Ja, welches »Oder« könnte sich hier anschließen? Oder die Kuratoren haben keine Lust auf Regiefrauen, sogar wenn deren Filme gut sind?
Am Schluss versucht Pasanen noch, den Spieß umzudrehen: »Es wäre leicht für uns, andere zu beschuldigen und zu sagen, das Problem liege in der Filmförderung und in der Produktion. Aber als eines der führenden Festivals ist es auch an uns, Veränderungen voranzutreiben.«
Da der Mangel an weiblicher Regie im deutschen Wettbewerb Leipzigs nach Festivalauskunft nicht an der Einreichungsvarianz liegt, sind die »Traditionen und Veränderungen«, die Pasanen mit der Einführung einer Frauen-Quote jetzt »brechen« beziehungsweise »anstoßen« möchte, jedoch auf DOK Leipzig selbst zu beziehen. Es bleibt festzustellen: Nach allem, was das Festival verlautbart, wurde es dafür höchste Zeit.