Die deutsche Angst vor der German Angst |
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Im Dachboden wohnen die Geister der Vergangenheit (Foto: Bildstörung) |
Von Dunja Bialas
»Der Mainstream verändert sich durch all jene Autorenfilmer, Experimentalfilmer, Independentfilmer, Undergroundfilmer und Genrefilmer, die eine ganz eigene Vision davon haben, was Film kann, darf und soll. Sie alle verhindern durch Filme mit Ecken und Kanten den geraden, glatten Fluss der Bilder. Hindern das Kino daran, sich an immer gleichen Wiederholungen abzunutzen. Sie tun dies, indem sie das große Bild mit ihren Bildern stören. Sie sind die BILDSTÖRUNG.« – Carsten Baiersdörfer, Alexander Beneke von der »Bildstörung«
Das DVD-Label »Bildstörung« hat sich in den letzten zehn Jahren einen Namen in der Cineasten-Szene gemacht. Es hat die restaurierte Neuauflage eines der besten tschechischen Filme der Geschichte herausgebracht, František Vláčils Mittelalterepos Marketa Lazarová, den letzten Film des Russen Aleksei German, seinen eindrucksvoll düsteren Es ist schwer, ein Gott zu sein oder Possession des letztes Jahr verstorbenen polnischen Regisseurs Andrzej Żuławski, der die Vorlage für Amat Escalantes verstörenden The Untamed lieferte. Eine beträchtliche Liste von Horrormovies ergänzt das DVD-Programm, allesamt filmische Raritäten, die in ihrem Gerne zu den besten gehören.
»Bildstörung« tritt nun erneut an, die schalen Sehgewohnheiten der Deutschen zu durchbrechen: Mit der DVD/BluRay-Edition von Robert Sigls 1988 entstandenem Gothic-Horror Laurin. Eine neue Negativabtastung wurde vorgenommen, so dass das Korn des 35mm-Materials die ganze Bildtiefe animiert. In einzelnen Kinos ist Laurin in der »Bildstörung«-Edition jetzt auch auf großer Kinoleinwand zu sehen.
Dem Film war eine wechselvolle Geschichte beschieden. Das Horrormärchen war das Filmdebüt des Münchner HFF-Absolventen Robert Sigl, der mit ihm den Bayerischen Filmpreis als bester Nachwuchsregisseur gewann, mit Rückenwind von Regisseur Eckhart Schmidt, der damals dem Gremium angehörte und sieben Jahre vorher den stylischen Horrorfilm Der Fan gedreht hatte (siehe unser Interview mit Eckhart Schmidt; Schmidt hat auch einen Dokumentarfilm über Sigl gedreht, der auf der DVD als Bonus-Material enthalten ist). Dann war es aber auch schon wieder vorbei mit dem Ruhm. Das Bundesinnenministerium ließ ihm ausrichten, dass er für Laurin keinen Deutschen Filmpreis bekommen würde, »da es darin zu viele byzantinische
Gesichter gäbe«, wie Sigl im Interview mit dem Magazin »Deadline« erzählt.
Weitere Filmprojekte wurden von den entsprechenden Förderstellen abgelehnt. Sigl hatte sich dem Horror-Genre verschrieben, das in Deutschland keiner haben wollte. Trotz seiner großen Tradition, die die expressionistische Stummfilmzeit mit Werken von Robert Wiene (Genuine), F.W. Murnau (Nosferatu), Paul Wegener (Der Golem) begründet hatte, grassierte eine große Angst vor der German Angst.
Robert Sigl hatte Laurin aus Kostengründen in Ungarn gedreht, obgleich seine Geschichte von der neunjährigen Laurin an der deutschen Nordsee spielt. Die historische Ausstattung und Bauten machten dies notwendig, alles sollte »so opulent wie möglich« wirken, erzählt Sigl. Es ist das 19. Jahrhundert, alles gemahnt an die Atmosphäre von Theodor Storms »Schimmelreiter«. Kleine Jungen verschwinden auf mysteriöse Weise, Laurins Mutter stirbt unter ungeklärten Umständen, der Vater ist meist auf hoher See, die Großmutter scheint direkt einem Film von Carl Theodor Dreyer zu entsteigen. In einer Burgruine kommt es schließlich zum spirituellen Gothic-Showdown zwischen dem kleinen Mädchen und dem unbekannten schwarzen Mann.
Für die deutsche Originalfassung wurde der komplett ungarische Cast nachsynchronisiert, was sonisch an die Synchronfassungen des osteuropäischen Kinos erinnert, die einst im Fernsehen ausgestrahlt wurden, und den Retro- und Märchentouch unterstreicht. Auch die Kamera ist altmodisch, wirkt darin ihrer Zeit aber komplett voraus. Zooms, die als Close-ups auf den Gesichtern enden, waren schon seit den 1970er Jahren aus der Mode, erst jetzt erfahren sie eine zögerliche Rehabilitation als stilistisches Mittel. In den Erzählfluss eingeschnittene Details von groß kadrierten scheinbaren Nebensächlichkeiten – eine Puppe, ein Kleid, ein Foto, sind Vehikel des Horrors, auf die auch der Giallo-Meister Dario Argento setzte. Die Atmosphäre von Kubrick (The Shining) oder Hitchcock (Rebecca) durchzieht ebenfalls den Film.
In Deutschland verschwand der Film nach seiner kurzen Aufmerksamkeit durch den Bayerischen Filmpreis bald in der Versenkung, während er im Ausland eine ungleich breitere Rezeption erfuhr, die ihn dort zum Kultfilm werden ließ, in England und Spanien erschien er schon früh als VHS-Videotape und DVD, allerdings in minderer Qualität, was aber garantierte, dass er weiterhin gesehen wurde.
Dass sich das Verhältnis der Deutschen zum Genrefilm allmählich wandelt, ist zu hoffen. Auf dem diesjährigen Max-Ophüls-Festival war zumindest ein Horror-Werk aus der Schmiede der Berliner Filmhochschule »dffb« nach dessen Weltpremiere auf dem katalanischen Fantasy-Filmfestival in Sitges zu sehen. Hagazussa von Lukas Feigelfeld zeigt eine fast schon beunruhigend reife Sicherheit im Wahl seiner Horror-Mittel, in mittelalterlicher Atmosphäre wird die weibliche Gebärfähigkeit zur Quelle subtilen Horrors. Hoffentlich ist Lukas Feigelfeld mehr Akzeptanz bei den Förderinstanzen beschieden, als dies Robert Sigl erfuhr. Während dieser für seinen Erstling noch Fördergelder von der Filmförderungsanstalt, der Bayerischen Filmförderung, dem Bundesministerium des Inneren, dem Kuratorium Junger Deutscher Film und dem Südwestfunk erhalten hatte, konnte er für Nachfolgeprojekte – Bayerischer Filmpreis hin oder her – keine Gelder mehr akquirieren. »Es müssen eben amerikanische Produzenten kommen, vor denen kriechen sie. Die bekommen die Förderung für Horrorfilme«, erzählt Sigl im Hinblick auf Gore Verbinskis A Cure for Wellness, der 2016 als deutsch-amerikanische Co-Produktion in die Kinos kam und »jede Förderung abgegrast« hatte. »Die Sucht nach Harmlosigkeit bei uns ist manisch«, sagt Sigl. In dem Land, wo sogar »im Keller die Sonne scheinen soll«, gäbe es eine Angst davor, in die psychoanalytischen Untiefen der menschlichen Seele zu blicken, wie es der Horrorfilm macht.
Jetzt wird Laurin zurück in den Rezeptionskreislauf gebracht. »Ich bin da« – mit diesen Worten endet der Film.
Laurin. Ein Film von Robert Sigl, Deutschland 1989, 84 Min. (ungeschnitten), Ton: Deutsch & Englisch Stereo, DVD&BluRay bei Bildstörung