Frauen, rechnet ab! |
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Meine glückliche Familie zeigt ein Frauendrama aus Georgien |
Von Dunja Bialas
Ich wurde schon gefragt, warum ich meine Kolumne »Die Frau von artechock« so genannt habe. Einerseits sei das irgendwie kein schöner Titel, sagten mir ein paar Männer, andererseits sei ich doch wohl nicht die einzige Frau bei »artechock«? Zum ersten sei gesagt: Was, bitteschön, ist nicht schön an einer »Frau« im Titel? Frauen zieren Zeitschriften-Cover, Filmplakate und die Hauben von Sportautos (hiermit bedauern wir offiziell die Abschaffung der Boxen-Luder!), weshalb nicht von Kolumnen? Zum zweiten sei gesagt: Natürlich haben wir noch weitere Frauen in unserem Redaktionsteam, auch andere Autorinnen. Ich habe aber als langjährige »artechock«-Redakteurin die Erfahrung gemacht, dass sie nur sehr spärlich schreiben. Ich muss ihnen für einen Text meist explizite Aufforderungen schicken, würde mir aber wünschen, dass sie powervoll das Wort ergreifen und mehr meinungs- und kritikstarke Texte schreiben. Die Gretchenfrage ist: Warum eigentlich üben sich Frauen so selten in den (männlichen) Disziplinen der Reviermarkierung, Deutungshoheit und dem Filmsplaining? Zwischen dem männlichen Kritiker-Gebaren und der feministischen Filmkritik, die ihre Rezensionen sozial- und genderkritischen Fragen unterordnet, gibt es noch viel Raum zu erobern. Das sage ich Euch, Frauen.
Drittens und ungefragt ergänze ich zu obigen Ausführungen noch folgendes. Wie oft wurde ich gefragt: Und, was denkst du als Frau dazu? Da haben wir es: Ich als Frau. Das fand ich ja immer sehr toll. Wie oft wurden Männer wohl gefragt: Und, du als Mann, hast du eine Meinung dazu? Ich finde ja, Männer als Männer finden viel zu wenig Beachtung. Wir sollten sie viel öfter fragen, was sie denken und wie sie sich fühlen. Ich finde auch, wir sollten endlich die Männerquote einführen und die paritätische Besetzung von Gremien fordern. Männerquote: 50% – das haben sie sich verdient.
Gerade komme ich zurück von einem Symposium in Wien, das von den 15. Frauenfilmtagen veranstaltet wurde. Drei Frauen, darunter meine Wenigkeit, sprachen und diskutierten über das Schreiben über Film im Kontext einer männerdominierten Diskursbesetzung – so meine Übersetzung des Symposiums zur »Filmkritik aus feministischer Sicht«. Ich selbst bezeichne mich nicht als feministische Filmkritikerin, nach mir aber sprach die kämpferische Wienerin Julia Pühringer, die beim Fernsehmagazin »tele« schreibt. Die dritte im Bunde war die Filmemacherin und Autorin Claudia Siefen, die einen eher literarischen und tiefen-analytischen Zugang zu Filmen pflegt und unter anderem bei »Jugend ohne Film« schreibt.
Ohne mich referieren oder gar wiederholen zu wollen, sei mein Denkanstoß noch einmal forciert, den ich in den Raum stellte. Wie, liebe Frauen und Männer, sollte feministische Filmkritik Eurer Meinung nach aussehen? Frieda Grafe sagte schon 1973 im Rahmen des ersten Frauenfilmseminars: »Filme wurden hier nicht ästhetisch, sondern politisch beurteilt!« Die vor ein paar Jahren verstorbene deutsch-französische Kritikerin Heike Hurst, eine kämpferische Frau mit hennarotem Haar, die ich noch kennengelernt habe, sagte einmal: »Ich bin Cineastin, keine Feministin.« Und Gertrud Koch schrieb 1977 in der Zeitschrift »frauen und film«: »Nicht alles, was Frauen gemacht haben, ist schon deswegen besonders gut, weil es eben von Frauen gemacht wurde.« Und, sehr wichtig: »Die schönste Wut nützt nichts, wenn sie sprachlos bleibt und sich nicht ausdrücken kann.«
Was ist aber, wenn die schönste Wut sich zwar ausdrückt, aber den Adressaten nicht mehr findet? Bei allem Respekt für die feministische Filmkritik: Müssen wir nicht aufpassen, am Ende »unter uns« zu sprechen und uns in die Nische zu begeben? Frauenfilmtageleiterin Gabi Frimberger unterstrich, dass es eine Selbstverständlichkeit werden müsse, Filme von Frauen zu zeigen – ohne jedesmal besonders darauf hinzuweisen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, wie kontraproduktiv die Vergabe des Bayerischen Filmpreises an fünf Frauen letztes Jahr war. Es war als »Statement« gedacht, wie mir eine der Jurorinnen nach der Preisverleihung zuraunte, außerdem konnten sie sich nicht auf einen Film der fünf Frauen einigen, und dann wäre es am Ende wieder ein Mann geworden… Oh, Mann! Das Preisgeld wurde natürlich nicht verfünffacht, und so gingen die fünf Frauen mit handlichen 4.000 Euro in der Clutch Bag nach Hause.
Wie erhellend feministische Filmkritik aber auch sein kann, zeigte Julia Pühringer mit ihren Umkehrungen, denen sie sich selbst beim Schreiben stellt. Nehmen wir an, wir hätten bei einem Werk nicht den / die urhebende/n Filmemacher/in vor Augen, sondern würden grundsätzlich von etwas ganz anderem ausgehen. Am besten: Film von einem NoName. Oder einer/m Schwarzen. Einer Frau. Wie würden wir dann über den Film nachdenken? Über ihn schreiben? Sie sei selbst erschrocken, wie viele Vorurteile in ihr schlummern, berichtet sie. Diese Vorurteile sind, was die Wissenschaft »implicit biases« nennt, die in jedem schlummern und im »Implicit Association Test« aufgedeckt werden. Damn! Dabei dachten wir doch über uns selbst, wir seien aufgeklärt und würden vorurteilsfrei durchs Leben gehen.
Zu Pühringers Strategie der Umkehrung gehört auch zu zählen und zu benennen. Dialogzeilen zählen, die Frauen sprechen. Haben Frauen in Filmen einen Beruf, und sieht man sie bei dessen Ausübung? Haben Frauen einen eigenen Handlungsstrang? Haben Frauen überhaupt einen Namen? Das hat alles erst einmal nichts mit dem berühmten Bechdel-Test zu tun, der im übrigen heute auch nicht ganz im Sinne ihrer Erfinderin Alison Bechdel angewendet wird. Sie wollte damals, 1983, ein Instrumentarium haben, um Film-Konventionen aufzudecken. Es war nicht normativ gemeint!
Pühringer räumt aber auch die Bedenken der oben genannten Filmkritikerinnen aus dem Weg: Das seien Einwände, die dem »silencing« dienten, dem feministische Filmkritikerinnen allenthalben begegnen. Sie sei oft dem Vorwurf ausgesetzt: »Du siehst überall Sexismus!« Dann stellte sie noch das wunderbare Bonmot in den Raum: »Männer machen Filme, Frauen machen Frauenfilme!« Da sage noch einer, Feministinnen hätten keinen Witz.
Das Zählen und Benennen ist sicherlich eine der dringlichsten Disziplinen, um sicht- und hörbar zu werden, ohne selbst in der Nische stecken zu bleiben. Gegen Zahlen und Fakten haben auch Männer nichts, in ihnen birgt sich unhintergehbare Argumentation. Da wollen wir heute gleich mal damit anfangen und über den Filmkanon sprechen. »Der« Filmkanon, der verbindlich für alle Schulen ist, um den Nachwuchs in Filmgeschichte zu bilden (allerdings frage ich mich, zumindest für Bayern, wo und wann das wohl geschehen möge?), wurde vor genau fünfzehn Jahren von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgebracht. Die Aufgabe für das achtzehnköpfige Gremium bestand darin, ab 1920 für jedes Jahrzehnt mindestens drei Meilenstein-Filme auszuwählen. Insgesamt wählten die Juroren, darunter Andreas Dresen, Dominik Graf, Christian Petzold, Volker Schlöndorff und Tom Tykwer sowie Erika Gregor, Katja Nicodemus und Uschi Reich 35 Filme aus. Darunter befand sich nur ein einziger Film einer Frau: und zwar der unvermeidliche Die Abenteuer des Prinzen Achmed von Lotte Reiniger, ausgewählt für die Sparte Kinderfilm. Also: Kein Film von einer Chantal Ackerman, Agnès Varda, Mai Zetterling, Vera Chytilova, Helke Sander, Ulrike Ottinger, Ula Stöckl, Kathryn Bigelow. Kein »erwachsener« Film einer Frau. Das ist skandalös!
Ich stelle hiermit fest: 15 Jahre Filmkanon sind genug! Die Zeit ist abgelaufen, als man noch unbehelligt einen derartigen »Kanon« beschließen konnte. Frauen wie Männer haben in dem Gremium wohl geschlafen, am tiefsten aber die Bundeszentrale für politische Bildung. Aber vielleicht wussten die nichts davon, dass Frauen auch Filme machen?
Das Filmmuseum München zeigt am Internationalen Frauentag den deutsch-georgischen Spielfilm Meine glückliche Familie. Der Film von Nana Ekvtimishvili und Simon Gross zeigt die friedliche Revolution einer Mutter und Ehefrau, die sich ihren größten Traum erfüllt und in eine eigene Wohnung zieht – und es mit dem tiefverwurzelten
gregorianischen Patriarchat und falsch verstandenem Beschützerinstinkt zu tun bekommt.
Filmmuseum München, 8.3.2018, 19 Uhr