Durchs Labyrinth der Kunst |
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Kraftvolles, indes zeitloses sozialkritisches Statement: A Man of Integrity | ||
(Foto: Mohammad Rasoulof / Cinema Iran) |
Von Natascha Gerold
Sie waren nah dran: Nur knapp verfehlte die iranische Nationalmannschaft gegen Portugal den Aufstieg ins Achtelfinale der Fußball-WM 2018. Doch die eigentliche Sensation spielte sich schon im Vorfeld ab, beim zweiten WM-Spiel der Iraner: Nach 37 Jahren wurde Frauen erstmalig der Eintritt ins bekannte Azadi-Stadion in Teheran gewährt, sie durften am dortigen Public Viewing der Mannschaft gegen Spanien teilnehmen. Was wäre passiert, hätte ihr engagiertes Spiel die Iraner weiter befördert? Wie lange kann das Regime das Stadion-Verbot für Frauen bei Live-Spielen noch aufrechterhalten?
Iran, das Land der Verbote, der Unterdrückung, der Atombomben, der Sanktionen, der Israelfeinde … einmal mehr war es der Sport, der es geschafft hat, das Image einer Nation zwar nicht zu revidieren, es aber doch um einen großen, wichtigen Teil zu erweitern: Iran, ein Land von Menschen, die leidenschaftlich und beharrlich kämpfen können, sowohl auf dem Spielfeld als auch in der Öffentlichkeit, was unter anderem die Netz-Kampagne #NoBan4Women beweist.
Dieses zurechtrückende „Sowohl-als-auch“ schafft, neben dem Sport, insbesondere die Kunst aus dem Iran. Es braucht aber auch immer Menschen, die sie entdecken und hierzulande als Vermittler agieren. Diese verdienstvolle Aufgabe übernimmt, unter anderem, das Münchner Filmfestival CINEMA IRAN: Seit nun schon fünf Jahren verstehen sich Kuratorin Silvia Bauer und ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter als Botschafter der vielfältigen iranischer (Film-)Kultur und bieten dem heimischen Publikum die Möglichkeit, das eigene Bild von der vorderasiatischen Republik immer wieder zu aktualisieren und stets neue Seiten an ihr zu entdecken.
Einer, der sich enorm an der Opferrolle stört, die insbesondere westliche Medien iranischen Filmemachern mitunter überzustülpen neigen, ist der Regisseur Mani Haghighi. Längst ist der studierte Philosoph als Fachmann für skurrile Komödien bekannt, auch sein aktuelles Werk, mit dem CINEMA IRAN eröffnet, schillert wieder in einem Schwarz, das sämtliche Farben des Regenbogens reflektiert: In Pig (Mi., 11.07. 20 Uhr) bangt ein Regisseur in physischer und künstlerischer Hinsicht um seine Existenz: Zum Einen geht ein Serienmörder um, der es auf Filmemacher abgesehen hat. Zum Anderen quält den Regisseur die Tatsache, dass er, der immerhin Berufsverbot erhielt, bislang vom Killer verschont wurde. Bis zum Showdown muss er noch mehr Albträume durchleben, als die Horrorszenarien auf seinen geliebten Heavy-Metal-Shirts erahnen lassen. Der Film übe Kritik aus durch das Labyrinth der Kunst, so Haghighi bei der Vorstellung seines Films bei der diesjährigen Berlinale. »Du kannst nur etwas ernst nehmen, wenn Du Witze darüber machen kannst. Ironie und Humor schaffen Distanz für die Analyse.«
Dieses „Labyrinth der Kunst“, wie es Haghighi nennt, wird von Filmemacher zu Filmemacher anders genutzt. Während er das Mittel der Mehrdeutigkeit wählt, dass für gelungenen Humor sowieso essenziell ist, hat sich Regisseur Keywan Karimi für die Abstraktion entschieden, durch die eine Mehrdeutigkeit überhaupt erst erreicht werden kann: In Drum (Fr., 13.07. 18 Uhr) wird einem Anwalt ein Paket anvertraut. Fortan wird er von Agenten bedroht, seine Suche nach Antworten führt ihn an unwirkliche Orte einer heruntergekommenen Stadt. Die Bedeutung der Handlung und erst recht des gesprochenen Worts treten hinter die Kraft der schwarz-weißen Bildkompositionen und irritierenden, außergewöhnlichen Kamerafahrten, was Karimi alles zu einem schwarz-weißen Reigen arrangiert, der voller Bedeutung steckt, aber erst vom Betrachter zum Klingen gebracht wird. Der Spielfilm Drum entstand nach seinem Dokumentarfilms Writing On the City über die Bedeutung von Street Art in Teheran vom Beginn der Revolution 1979 bis zu den Protesten 2009. Für diesen wurde Karimi 2015 von einem „Revolutionsgericht“ zu sechs Jahren Haft und über 220 Peitschenhieben verurteilt. Nach fünf Monaten im Gefängnis kam der 32-Jährige im vergangenen Jahr frei. Er ist als Ehrengast zur Vorführung von Drum in München angekündigt.
Karimi ist nicht der einzige Künstler, der unbeirrt weiterarbeitet – allen bereits erlebten Repressalien und Strafen zum Trotz: Mohammad Rasoulof wurde gemeinsam mit Jafar Panahi 2010 festgenommen und verurteilt, wie bei Panahi wurde die Strafe noch nicht vollstreckt, derzeit ist Rasoulof auf Kaution frei. In seinem Spielfilm A Man of Integrity (Fr., 13.07. 20 Uhr), den er heimlich in ländlichen Gebieten drehte, beginnt ein ehemaliger Lehrer mit seiner Frau auf dem Land ein neues Leben als Fischzüchter im Nord-Iran. Seine Prinzipien verbieten ihm, an den offenbar ortsüblichen Korruptionsgeschäften teilzunehmen, was sein junges Unternehmen und seine gesamte Existenz schnell in Gefahr bringt. Im Original heißt der Film Lerd, ein Wort türkischen Ursprungs. Rasoulof fand den Begriff, der eine Art Sediment beschreibt, passend für einen Film über Korruption in seinem Heimatland, die sich von oben durch sämtliche Schichten der Gesellschaft ziehe. Einer der Hauptpreis-Gewinner bei den Filmfestspielen von Cannes 2017 und kraftvolles, indes zeitloses sozialkritisches Statement.
Berufs- und Ausreiseverbot, Gefängnis, Stock- und Peitschenhiebe bis hin zur Todesfatwa – je offener die Kritik und Provokation, desto drastischer die Reaktion seitens des Regimes. Davon weiß der Musiker und Poet Shahin Najafi Lieder zu singen. Wegen seiner religions- und gesellschaftskritischen Songs wurde bereits bereits zweimal ein Todesurteil über ihn verhängt, seit 13 Jahren lebt der Geflüchtete in Deutschland. Da beim letzen Mal sogar ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt wurde, lebt Najafi unter Polizeischutz, denn sein Leben ist auch hier alles andere als sicher. In ständiger Sorge vor allem um seine Mitstreiter und um seine Beziehung arbeitet der Künstler trotzdem unermüdlich weiter – wie, darüber gibt der Filmemacher Till Schauder Einblick in seinem ergreifenden Dokumentarfilm Wenn Gott schläft (Sa., 14.07. 20 Uhr). Er zeigt den Musiker nicht als Opfer, sondern als Kämpfer für Meinungsfreiheit, der, so Schauder im Deutschlandfunk, eine überwältigend große Fangemeinde hätte. An Exil-Iranern sowieso, aber auch in seinem Heimatland würde er, wenn man ihn ließe, nach wie vor Riesenstadien füllen.
Regisseur Mahmoud Ghaffari ist gleich mit zwei Filmen bei CINEMA IRAN vertreten. In beiden Spielfilmen stehen Frauen im Mittelpunkt: Hair (So., 15.07. 18 Uhr) erzählt, nach einer wahren Begebenheit, die Geschichte dreier gehörloser Karate-Sportlerinnen, die zur Weltmeisterschaft nach Deutschland eingeladen werden. Gehen dürften sie schon, allerdings müssten sie während des Kampfes die Kleiderordnung des iranischen Sportverbands einhalten. Die wiederum widersprechen dem WM-Reglement. So eilen die drei Freundinnen von Lösungsangebot zu Lösungsangebot, welche sich alle als entmutigende Sackgassen entpuppen. Der Kern des Films ist die dramatische Entwicklung der Kämpferinnen, die im Wortsinn nicht gehört werden, zu Kriegerinnen in eigener Sache, bei denen nach jeder Niederlage nur eines sicher ist: Sie kommen wieder. In einen anderen Feldzug bricht die 40-jährige Soheila auf: Sie hat weder Mann noch Kind und will ihrem einsamen Singledasein endlich ein Happy End setzen. Dafür sucht sie unter anderem eine Art Partnersuche-Coaching auf, wo sie als suchende Single nicht alleine ist und die Nummer 17 erhält. Ob und wie sich ihr Leben durch diese Aktion verändert, zeigt Ghaffari in No. 17 Soheila (So., 15.07. 20 Uhr) auf humor-und gefühlvolle Weise.
2018 ist nicht nur das erste Jubiläumsjahr des iranischen Kulturfestivals in München, sondern auch Gedenkjahr vieler bedeutsamer Ereignisse in der Geschichte Irans. Der bis heute noch ungeklärte Brand des Cinema Rex in Abadan 1978, bei dem 430 Menschen zu Tode kamen, der Beginn der Revolution im selben Jahr, das Ende des Iran-Irak-Krieges 1988 – alles Ereignisse, denen das diesjährige Motto „Halb vergessene Erinnerungen“ Rechnung tragen will, unter anderem mit dem Vortrag Filme, die brennen (So., 15.07. 14 Uhr) von Dr. Maryam Palizban, der Fotoausstellung Cinema Iran – Alte Kinos im Iran (12. bis 27.07. Stadtbibliothek München am Gasteig, Eintritt frei) von Josef Polleross und natürlich mit mehreren Filmen: Die Revolution und der Anfang des Iran-Irak-Krieges setzen den Handlungsrahmen von Breath (Do., 12.07. 20 Uhr) der Regisseurin Narges Abyar, dem diesjährigen Nominierungs-Anwärter für den Oscar in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“. Die Heldin ist die kleine Halbwaise Bahar, die mit ihren Geschwistern, der Stiefoma und dem asthmakranken Vater dessen Erkrankung wegen die vertraute Umgebung verlassen muss. Mit sensiblen Nah- und Detailaufnahmen und eingestreuten Animationen zeigt Abyar, wie (oftmals von Frauen ausgehende) Gewalt die Mikrokosmen Schule und Zuhause regelt und wie das Mädchen dieser Gewalt die Kraft seiner Fantasie entgegensetzt und in eine Art innere Emigration flüchtet.
Before the Revolution (Sa., 14.07. 16 Uhr) von Dan Shadur beleuchtet eine Seite der Zeitgeschichte, die vielen Zuschauern bislang unbekannt gewesen sein durfte: In völligem Gegensatz zu heute waren in den 1970er-Jahren vor der Revolution die iranisch-israelischen Beziehungen nämlich durchaus eng. Israel hatte im Schah einen verlässlichen Bündnispartner, der unter anderem auf israelische Waffenlieferungen, Unterstützung bei der Etablierung eines eigenen Geheimdienstes und auf Hilfe bei infrastruktureller Modernisierung zählen konnte. Nicht wenige der dort tätigen Israelis lebten in Iran damals in einer paradiesischen Blase, die von Unkenntnis der brodelnden Atmosphäre vor der Revolution geprägt war. In seinem 60-minütigen Dokumentarfilm lässt der israelische Filmemacher Dan Shadur, der im Umfeld jener Menschen in Teheran aufwuchs, viele Zeitzeugen zu Wort kommen, die durch ihre Ignoranz von den Ereignissen nicht nur überrascht, sondern auch beinahe überrollt wurden.
Zeitgeschichtlich relevante Vorkommnisse – ab welchem Moment werden sie für den Einzelnen handlungsmotivierend und zu welchen öffentlichkeitswirksamen Handlungen können sie ihn veranlassen? Unter anderem diesen Fragen geht die Deutschlandpremiere von CINEMA IRAN nach: The Invincible Diplomacy of Mr Naderi (Sa., 14.07. 18 Uhr) von Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam begleitet den iranischen Geschäftsmann Mahti Naderi, der seit 18 Jahren ein Lebensziel hat: als Zeichen des Friedens und der Völkerverständigung will er den USA, dem erklärten Erzfeind des Iran, drei handgeknüpfte Teppiche schenken. Gut vernetzt und unermüdlich hält er an diesem Ziel fest – allen Rückschlägen, Gefahren und Gegenstimmen zum Trotz. Das Porträt eines friedfertigen Dickkopfs, das zugleich ein eindrucksvolles Lehrstück über das Verhältnis von Filmemachern und ihren Protagonisten ist. Ob Mr. Naderi in seinen Bemühungen in heutigen Zeiten vorankommt, können die Besucher von CINEMA IRAN Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam selbst fragen, da sie bei der Vorführung ihres Dokumentarfilms dabei sein werden.
Das 5. Iranische Filmfestival vom 11. bis 15. Juli im Gasteig München ist eine Veranstaltung des Vereins Cinema Iran, Mitglied im Filmstadt München e.V., der Münchner Stadtbibliothek sowie der Evangelischen Stadtakademie. Sämtliche Filmvorführungen und Lesungen finden im Carl-Amery Saal statt, Eintritt jeweils 7 Euro, sofern nicht anders angegeben, sind alle Festivalfilme FSK ab 18 Jahre. Weitere Infos zum Programm und Termine unter www.cinema-iran.de, www.muenchner-stadtbibliothek.de.