12.10.2018

Kür der Kritik

Werk ohne Autor
Der Genuss eines eigenen Urteils: Saskia Rosendahl als Elisabeth in Werk ohne Autor
(Foto: The Walt Disney Company (Germany) GmbH)

Verschwindet das Film-Feuilleton in einer Blase der eigenen Ansprüche und Selbstreferenzen? Bei Durchsicht der Kritik an Henckel von Donnersmarcks Werk ohne Autor kann einem jedenfalls angst und bange werden

Von Christoph Becker

»There are many many crazy things«
That will keep me loving you
And with your permis­sion
May I list a few
The way you wear your hat
The way you sip your tea
The memory of all that
No, no they can’t take that away from me
- „They can’t take that away from me“, George Gershwin (Musik), Ira Gershwin (Text)

Werk ohne Autor von Florian Henckel von Donners­marck hat sich im deutschen Feuil­leton zahl­reiche Verrisse einge­fangen. Viele der aufge­führten Kritik­punkte sind dabei durchaus nach­voll­ziehbar, einige sogar beden­kens­wert und klug, vor allem die Analysen der reak­ti­onären Gestal­tung der Frau­en­rollen. Trotzdem ist dies ein Film, der in seiner epischen Erzähl­weise den Zuschauer drei Stunden inter­es­sieren, teilweise auch fesseln kann, der insgesamt also durchaus sehens­wert ist. Das liegt in erster Linie an den über­zeu­genden Schau­spie­lern, allen voran Tom Schilling, Sebastian Koch und Paula Beer, wobei letzterer vom Drehbuch leider zu wenig Gestal­tungs­spiel­raum zuge­standen wird. Dann ist es natürlich auch der spannende Plot: die Künst­ler­bio­grafie, die schick­sal­haften privaten und histo­ri­schen Umstände, die Liebes­ge­schichte. Beim Prozess der künst­le­ri­schen Selbst­fin­dung wird die Auffas­sung von Kunst in drei unter­schied­li­chen poli­ti­schen Systemen beleuchtet, wobei zuge­ge­be­ner­maßen alles recht verein­facht und kari­kie­rend darge­stellt wird, nicht nur in der köstlich-sati­ri­schen NS-Muse­ums­füh­rung, gespielt von Lars Eidinger. Aber wann traut sich sonst ein Film für das große Publikum, große Teile in Kunst­aka­de­mien spielen zu lassen? Ebenfalls positiv: Der Film lässt dem Zuschauer Zeit, sich atmo­s­phä­risch einzu­fühlen, gerade bei den Szenen zunächst an der Dresdener, später der Düssel­dorfer Kunst­aka­demie oder bei der Entwick­lung der Liebes­ge­schichte – an der mehrmals kriti­siert wird, man sähe zu viel Nacktheit – also bitte, welche Maßstäbe werden hier angelegt?!

Womit lässt sich das Ausmaß der Kritik an Werk ohne Autor erklären?

Vier Thesen:

  • Florian Henckel von Donners­marck macht es einem mit seinen voll­mun­digen Ausfüh­rungen und Inter­pre­ta­tionen zu seinem Werk und seinen teilweise pein­li­chen Auftritten (vgl. Rüdiger Suchs­lands Film ohne Form: Über­le­gungen zur Rezeption des neuen Donners­marck-Films) nicht leicht, seinen Film unvor­ein­ge­nommen anzu­schauen.
  • Filme, die zumindest teilweise in der NS-Zeit spielen, werden mit Argus­augen beob­achtet. Hier muss alles übergenau recher­chiert sein und politisch korrekt in Szene gesetzt. So wird aus der Paral­lel­füh­rung der Ermordung der Tante des Prot­ago­nisten in der Gaskammer und dem Luft­an­griff auf Dresden ein poli­ti­sches Statement der Rela­ti­vie­rung der Nazi­ver­bre­chen abge­leitet, welches die eng am biogra­fi­schen Einzel­schicksal orien­tierte Handlung meines Erachtens überhaupt nicht nahelegt. Hier wird eine fiktive Geschichte erzählt. Dies ist keine histo­ri­sche Doku­men­ta­tion. Oder dem Regisseur werden unbe­wusste Sympa­thien für den NS-Arzt Seeband (gespielt von Sebastian Koch) unter­stellt, weil er angeblich »das Hart-Maskuline in Seeband zele­briert«. Beatrice Behns Kritik erscheint aufgrund der restlos negativ darge­stellten Filmfigur dabei fast böswillig. Viel­leicht sollte deutschen Regis­seuren etwas mehr histo­ri­sche Freiheit à la Taran­tinos Inglou­rious Basterds zuge­standen werden, sonst bekommen wir bald nur noch Doku­men­tar­filme zu sehen.
  • Das Problem des Schlüs­sel­ro­mans. Viel Zündstoff beinhaltet die Anlehnung der Maler­bio­grafie an das Leben Gerhard Richters, der ebenfalls insgesamt »not amused« ist bezüglich des Endpro­duktes. Das ist durchaus nach­voll­ziehbar, aber trotzdem können Henckel von Donners­marck nicht alle biogra­fi­schen Abwei­chungen von der realen Biografie Richters und alle drama­tur­gi­schen Verän­de­rungen vorge­rechnet werden. Die Handlung ist fiktiv, Antonius van Verten ist nicht Joseph Beuys. (Trotzdem machen die Szenen mit Nicht-Beuys (Oliver Masucci) großen Spaß.)
  • Die Süffig­keit. Rüdiger Suchsland schreibt von »Über­wäl­ti­gungs­äs­thetik, bei der zugleich den Zuschauern nicht getraut wird, weshalb fort­wäh­rend Geigen wimmern, und Schwulst­musik schram­melt.« Eines von vielen Beispielen, welche die eher konven­tio­nelle, angeblich leicht zu konsu­mie­rende Kino-Ästhetik des Films geißeln und mehr künst­le­ri­schen Wagemut einfor­dern. Wird Henckel von Donners­marck der neue Til Schweiger? Beim Publikum erfolg­reich, im Feuil­leton vernichtet? Parallele: Ist Das Leben der Anderen, ein Film, der auch in deutschen Klas­sen­zim­mern gezeigt wird, ein schlechter Film über die DDR, wie manche Kritiker meinten, weil es u. a. – wie im Film gezeigt – keine Stasi-Prosti­tu­ierten gab?

Verschwindet das Film-Feuil­leton in einer Blase der eigenen Ansprüche und Selbst­re­fe­renzen? Und fliegt irgend­wann davon wie der Luft­ballon in der wunder­baren Eingangs­szene von Arizona Dream? Bleibt nur zu hoffen, dass nicht alle poten­zi­ellen Zuschauer von den einsei­tigen Kritiken abge­schreckt werden und sich die Chance auf den Genuss eines eigenen Urteils nicht nehmen lassen.