Verschwindet das Film-Feuilleton in einer Blase der eigenen Ansprüche und Selbstreferenzen? Bei Durchsicht der Kritik an Henckel von Donnersmarcks Werk ohne Autor kann einem jedenfalls angst und bange werden
Von Christoph Becker
»There are many many crazy things«
That will keep me loving you
And with your permission
May I list a few
The way you wear your hat
The way you sip your tea
The memory of all that
No, no they can’t take that away from me
- „They can’t take that away from me“, George Gershwin (Musik), Ira Gershwin
(Text)
Werk ohne Autor von Florian Henckel von Donnersmarck hat sich im deutschen Feuilleton zahlreiche Verrisse eingefangen. Viele der aufgeführten Kritikpunkte sind dabei durchaus nachvollziehbar, einige sogar bedenkenswert und klug, vor allem die Analysen der reaktionären Gestaltung der Frauenrollen. Trotzdem ist dies ein Film, der in seiner epischen Erzählweise den
Zuschauer drei Stunden interessieren, teilweise auch fesseln kann, der insgesamt also durchaus sehenswert ist. Das liegt in erster Linie an den überzeugenden Schauspielern, allen voran Tom Schilling, Sebastian Koch und Paula Beer, wobei letzterer vom Drehbuch leider zu wenig Gestaltungsspielraum zugestanden wird. Dann ist es natürlich auch der spannende Plot: die Künstlerbiografie, die schicksalhaften privaten und historischen Umstände, die Liebesgeschichte. Beim Prozess der
künstlerischen Selbstfindung wird die Auffassung von Kunst in drei unterschiedlichen politischen Systemen beleuchtet, wobei zugegebenermaßen alles recht vereinfacht und karikierend dargestellt wird, nicht nur in der köstlich-satirischen NS-Museumsführung, gespielt von Lars Eidinger. Aber wann traut sich sonst ein Film für das große Publikum, große Teile in Kunstakademien spielen zu lassen? Ebenfalls positiv: Der Film lässt dem Zuschauer Zeit, sich atmosphärisch
einzufühlen, gerade bei den Szenen zunächst an der Dresdener, später der Düsseldorfer Kunstakademie oder bei der Entwicklung der Liebesgeschichte – an der mehrmals kritisiert wird, man sähe zu viel Nacktheit – also bitte, welche Maßstäbe werden hier angelegt?!
Womit lässt sich das Ausmaß der Kritik an Werk ohne Autor erklären?
Vier Thesen:
- Florian Henckel von Donnersmarck macht es einem mit seinen vollmundigen Ausführungen und Interpretationen zu seinem Werk und seinen teilweise peinlichen Auftritten (vgl. Rüdiger Suchslands Film ohne Form: Überlegungen zur Rezeption des neuen Donnersmarck-Films) nicht leicht, seinen Film unvoreingenommen anzuschauen.
- Filme, die zumindest teilweise in der NS-Zeit spielen, werden mit Argusaugen beobachtet. Hier muss alles übergenau recherchiert sein und politisch korrekt in Szene gesetzt. So wird aus der Parallelführung der Ermordung der Tante des Protagonisten in der Gaskammer und dem Luftangriff auf Dresden ein politisches Statement der Relativierung der Naziverbrechen abgeleitet, welches die eng am biografischen Einzelschicksal orientierte Handlung meines Erachtens überhaupt
nicht nahelegt. Hier wird eine fiktive Geschichte erzählt. Dies ist keine historische Dokumentation. Oder dem Regisseur werden unbewusste Sympathien für den NS-Arzt Seeband (gespielt von Sebastian Koch) unterstellt, weil er angeblich »das Hart-Maskuline in Seeband zelebriert«. Beatrice Behns Kritik erscheint aufgrund der restlos negativ dargestellten
Filmfigur dabei fast böswillig. Vielleicht sollte deutschen Regisseuren etwas mehr historische Freiheit à la Tarantinos Inglourious Basterds zugestanden werden, sonst bekommen wir bald nur noch Dokumentarfilme zu sehen.
- Das Problem des Schlüsselromans. Viel Zündstoff beinhaltet die Anlehnung der Malerbiografie an das Leben Gerhard Richters, der ebenfalls insgesamt »not amused« ist bezüglich des Endproduktes. Das ist durchaus nachvollziehbar, aber trotzdem können Henckel von Donnersmarck nicht alle biografischen Abweichungen von der realen Biografie Richters und alle dramaturgischen Veränderungen vorgerechnet werden. Die Handlung ist fiktiv, Antonius van Verten ist nicht Joseph Beuys.
(Trotzdem machen die Szenen mit Nicht-Beuys (Oliver Masucci) großen Spaß.)
- Die Süffigkeit. Rüdiger Suchsland schreibt von »Überwältigungsästhetik, bei der zugleich den Zuschauern nicht getraut wird, weshalb fortwährend Geigen wimmern, und Schwulstmusik schrammelt.« Eines von vielen Beispielen, welche die eher konventionelle, angeblich leicht zu konsumierende Kino-Ästhetik des Films geißeln und mehr künstlerischen Wagemut einfordern. Wird Henckel von
Donnersmarck der neue Til Schweiger? Beim Publikum erfolgreich, im Feuilleton vernichtet? Parallele: Ist Das Leben der Anderen, ein Film, der auch in deutschen Klassenzimmern gezeigt wird, ein schlechter Film über die DDR, wie manche Kritiker meinten, weil es u. a. – wie im Film gezeigt – keine Stasi-Prostituierten gab?
Verschwindet das Film-Feuilleton in einer Blase der eigenen Ansprüche und Selbstreferenzen? Und fliegt irgendwann davon wie der Luftballon in der wunderbaren Eingangsszene von Arizona Dream? Bleibt nur zu hoffen, dass nicht alle potenziellen Zuschauer von den einseitigen Kritiken abgeschreckt werden und sich die Chance auf den Genuss eines eigenen Urteils nicht nehmen lassen.