Leopardin im Reich der Bewegungskunst |
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Eva Sangiorgi, die neue Direktorin der Viennale |
»Damit alles so bleibt wie es ist, muss sich alles verändern.«
Tommaso di Lampedusa, „Der Leopard“
»I am very touched for this opportunity, for this chance, and I am sure I will do my best directing this festival...« – Anfang des Jahres wurde sie öffentlich vorgestellt, heute Abend beginnt ihre erste Viennale. Eva Sangiorgi, die neue Direktorin des bedeutendsten österreichischen Filmfestivals, der Viennale in Wien, die in diesem Jahr zum 41. Mal stattfindet.
Die Entscheidung, unter über 20 Bewerbern die 40-jährige Italienerin zur Nachfolgerin des berühmten Hans Hurch zu machen, der die Viennale 20 Jahre lang überaus erfolgreich führte, ständig erweiterte und Zuschauerzahlen wie Bedeutung steigerte, war keine ganz naheliegende Wahl.
Aber bei genauerem Hinsehen war es eine überaus überzeugende Entscheidung. Eine Hurch-Kopie wäre undenkbar, also entschied man sich in Wien für eine Art Neustart.
Für Verjüngung, für Verweiblichung und vor allem für Internationalität. Schließlich kann man schon bei Sangiorgis Landsmann Tommaso di Lampedusa nachlesen: »Damit alles so bleibt, wie es ist, muss sich alles verändern.«
Sangiorgi ist sympathisch und charismatisch. Eine Italienerin, die perfekt Spanisch und Englisch spricht, und vor acht Jahren in Mexico-City mit dem FICUNAM ein eigenes Festival gründete, das schnell zu den interessantesten der Welt gehörte.
Dieser neue Blick von außen tut einem Filmfestival gut, gerade in den gegenwärtigen Zeiten eines
neuen Chauvinismus und eines verengten Verständnisses von Kultur und Identität.
Sie werde die Tradition und den Geist der Viennale fortsetzen, erklärte Sangiorgi im Vorfeld. Die Viennale, die auf einen Wettbewerb verzichtet, zeigt stattdessen die besten, also ungewöhnlichsten Filme des Filmjahres und legt auf die gastfreundliche Begegnung der Filmemacher miteinander und das Zusammentreffen von Machern und Publikum besonderen Wert. Damit wurde sie eines der besten, in seinem Geschmack anspruchsvollsten Filmfestivals der Welt. Und zugleich eines der
populärsten: Rund Hunderttausend Zuschauer kommen hier jedes Jahr an 13 Tagen Ende Oktober in die Kinos. Davon können die meisten, auch die deutschen Festivals nur träumen.
Das soll alles so bleiben, trotzdem hat Sangiorgi einige Akzente sachte verschoben. Dazu gehört die Aufhebung der bisherigen Trennung zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm. Die klare Unterscheidung zwischen beidem mache keinen Sinn mehr.
Wirklich? Man wird sehen, ob gerade diese Entscheidung nicht in Zeiten des postfaktischen Redens und der Fake-News schnell politisch überholt wird – besonders an einem Ort wie Wien, wo die rechtspopulistische »türkis-blaue« Koalitionsregierung Fakten schafft.
Es gibt aber konkrete Filme, die für das produktive Zusammenspiel von Fiktion und Fakten, Poesie und prosaischer Praxis sehr konkret stehen. Zum Beispiel der französische Essay-Film L‘empire de la perfection von Julien Farault.
Oberflächlich betrachtet geht es darin um Tennis, um die Sportlegende John McEnroe und um den tennisspielenden Tennisfan Jean Luc Godard; das tatsächliche Thema aber ist die Kunst, und ihr immer wieder scheiterndes
Streben nach Perfektion und die Bewegungskunst des Kinos in ihrem Bemühen, jene Augenblicke einzufangen, in denen man der Kunst doch nahekommt.
Für ihre erste Viennale hat Sangiorgi ein Programm zusammengestellt, das sich durch Vielfalt auszeichnet. Es reicht vom libanesischen Gerichtssaaldrama Der Affront über David Gordon Mitchells labyrinthischen, von Popreferenzen strotzenden L.A.-Noir Under the Silver Lake, den hybriden Dokumentarfilm Island of the Hungry Ghosts, bis zum 14-stündigen argentinischen Epos La Flor, das schon in Locarno das Publikum in einen Begeisterungssog zog – wenn es nicht durch seine Länge abschreckte.
Auch ansonsten gibt es kleine Verschiebungen der Parameter: Ein neues Studententicket fürs junge Publikum wurde eingeführt, viermal gibt es öffentliche Abendempfänge, bei denen alle kommen und dem Publikum begegnen können.
Und schließlich kann man ganz nebenbei noch ein interessantes Phänomen bemerken: In gleich drei wichtigen Filmfestivals, neben der Viennale auch der »Quinzaine des Réalisateurs in Cannes« und natürlich dem wichtigsten deutschen Festival, der Berlinale, übernehmen Italiener das Steuer.
Es ist eine neue, junge Generation der unter Fünfzigjährigen aus dem großen Kinoland von Rossellini, Antonioni und Visconti, die hier sichtbar wird. In Italien selbst sind weiterhin die sehr alten Männer am Ruder. Mal abwarten, wie lange noch.