Gegen das Konfektionskino |
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Susanne Heinrichs »melancholisches Mädchen« ist auch bei der Woche der Kritik Berlin zu sehen |
Das Festival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken ist das wichtigste Nachwuchsfestival für den deutschsprachigen Film. Am Sonntag ging die 40. Ausgabe zu Ende, die zum Teil hochdotierten Preise wurden bereits am Samstag verliehen – Sieger wurde ein Film, der stilistisch wie inhaltlich quer lag zu den allermeisten anderen Beiträgen: Susanne Heinrichs Das melancholische Mädchen. Dieser Siegerfilm schmückt bereits in wenigen Wochen die »Woche der Kritik Berlin«, die parallel zur Berlinale abgehalten wird, und wird dann auch noch von dieser in der Sektion »Perspektive deutsches Kino« nachgespielt.
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Was für ein besonderer Film! Das melancholische Mädchen, das Filmdebüt der Berliner dffb-Studentin Susanne Heinrich, hat den Max-Ophüls-Preis ganz und gar verdient gewonnen.
Es gab noch ein anderes Werk im Programm, das den Preis auch verdient hätte – der komplett anders geartete Film Stern von Anatol Schuster, der von einer 90-jährigen Berlinerin erzählt, die versucht, sich in Neukölln eine Schusswaffe zu besorgen – denn
sie will sterben...
Stern ist improvisiert, wo Das Melancholische Mädchen kontrolliert ist; Stern ist naturalistisch, wo Das melancholische Mädchen in komplett künstlichen und designten Räumen spielt; Stern ist neugierig und offen für Zufall und Spontaneität, wo Das melancholische Mädchen sich nicht einmal den kleinsten Exzess,
keine Irritation seines Konzepts erlaubt.
Aber beide Filme sind ziemlich lustig – was man ja von den meisten deutschen Anfängerfilmen keineswegs behaupten kann. Und beide haben zumindest noch eines gemeinsam: Sie sind eine entschlossene Absage an das konfektionierte, formatierte, von Fördergremien und Fernsehredakteuren abhängige deutsche Mehrheitskino.
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Das melancholische Mädchen ist ein sehr guter, aber vor allem ein bedingungslos souveräner Film. Mag schon sein, dass Regisseurin Susanne Heinrich irgendwann auch auf irgendwen hören musste, dass der Film noch einmal an der einen oder anderen Stelle umgeschnitten wurde, als neue Geldgeber ins Spiel kamen. Aber er wirkt nicht so.
Das melancholische Mädchen ist manchmal sperrig, manchmal launisch, auch mal verschwurbelt, oft
überraschend und sehr sehr eigenwillig. Vor allem ist der Film intelligent, schön, präzise und wie gesagt sehr witzig. Der Eindruck, den dieser Film hinterlässt, ist, dass er genau so geworden ist, wie ihn die Regisseurin haben wollte. Ohne Kompromisse – eben souverän. Genau das, was Autorenkino immer war – und was es auch in Zukunft sein sollte.
Man will Susanne Heinrich von ganzem Herzen gratulieren!
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Man muss aber auch ein paar Dinge feststellen: Denn dieser Preis wurde von einer Jury vergeben, der nur bekannte Größen des deutschen Kinos angehörten, zwei Regisseure, eine Produzentin, die bedeutendste Künstleragentin der deutschen Filmszene und ein Schauspieler.
Auch durch die Autorität dieser Jury wirkt dieser Preis wie ein Hilfeschrei und jedenfalls als ein Weckruf.
Gegen die grassierende Konfektionierung und Formatierung des deutschen Kinos, die leider immer mehr
überhand nimmt, die künstlerischem Wagemut und kreativer Spontaneität die Luft abdreht.
Dieser Hauptpreisträger und einige wenige andere Filme im Wettbewerb dieses Nachwuchsfestivals stehen gegen alles, was das deutsche Kino zur Zeit in seiner Hauptsache ausmacht.
Gegen den taubblinden Mainstream, wie er sich zuletzt erst vor zehn Tagen in den Vornominierungen der deutschen Filmakademie zum Bundesfilmpreis zeigte.
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Wissenswert ist außerdem, dass die Regisseurin Susanne Heinrich zum Kern jener Studenten-Gruppe gehört, die 2015 und 16 an der Berliner DFFB gegen den Kulturfunktionär des Berliner Senats Björn Böhning und gegen die aufoktroyierten neuen Direktorenkandidaten rebelliert hatten – wenn man diesen Film gesehen hat, versteht man, dass dies auch ein Preis für die alte DFFB-Tradition und ihre freigeistige Art des Filmemachens ist.
Genau dieses radikale Berliner
Autorenkino, für das Namen wie Harun Farocki oder Christian Petzold stehen, und das international hochinteressant gefunden wird, ist der deutschen Filmkulturbürokratie nicht kommerziell genug, und daher unerwünscht – die Neustrukturierungen der Berliner Filmhochschule durch den Briten Ben Gibson sind genau gegen solche Filme gerichtet.
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Die anderen Hauptpreise gingen daher auch kaum überraschend an zwei österreichische Filme: Kurdwin Ayubs furiosen Boomerang und an Die Schwingen des Geistes von Albert Meisl.
Einmal mehr bewies dieses wichtigste deutschsprachige Nachwuchsfestival, dass man hier jedes Jahr aufs Neue sehr genau erleben kann, was im jungen deutschen Kino die Stunde geschlagen hat.
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»Das Ende ist der Anfang« heißt es, ziemlich zum Schluss in Endzeit, Carolina Hellsgards Film im Wettbewerb in Saarbrücken. Vielleicht ist das ja ein Trost, denn zu dem Zeitpunkt sind die beiden Heldinnen schon von merkwürdigen pflanzenartigen Zombies gebissen worden, Efeu rankt sich aus Ohr und Nasenlöchern, und sie beschließen, nicht wieder in den Schoß der Menschheit zurückzukehren, sondern etwas Neues zu probieren.
Endzeit
nach der Graphic Novel von Olivia Vieweg und auch sonst fast ausnahmslos von Frauen inszeniert, ist ein feministischer Zombiefilm und damit der überaus seltene Fall eines Genrefilms aus Deutschland: In Thüringen gedreht, mit zwei Millionen nicht schlecht, aber vergleichsweise knapp ausgestattet, riss er nach seiner Weltpremiere in Toronoto amerikanische Kritiker zu Vergleichen mit dem Netflix-Hit »Annihilation« hin. Das ist etwas hoch gegriffen, aber allemal muss sich »Endzeit«
hinter Hollywood-Vorbildern keineswegs verstecken. Vor allem die großartige Kamerafrau Leah Striker macht aus der finanziellen Not eine Tugend, indem sie die Märchenlandschaft der Thüringer Wälder zum dritten Hauptdarsteller macht – neben der ätherischen Gro Swantje Kohlhof und der amazonenhaften Maja Lehrer – und auch sonst überraschende, immer leinwandfüllende Bilder findet, so dass man sich über die konfuse Story nicht lange ärgert.
Endzeit möchte auch eine Ökofabel sein, darum bieten die Dialoge allerhand esoterisches Geschwurbel über die »Chance, die der Untergang bietet«, und das Chaos, in dem der Frieden liegt. Der Weg, der die Hauptfiguren von Weimar nach Jena führt, ist auch metaphorisch zu verstehen – von der klassischen Klarheit geht’s ins Nebelmeer der Romantik.
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Auch zur Eröffnung gab es Genrekino: Das Ende der Wahrheit von Philipp Leinemann ist ein brisanter Politthriller. An der Oberfläche handelt er vom BND und ist nicht nur wegen der Causa Maaßen überraschend aktuell. Leinemann (Wir waren Könige) hat viel Sinn für das Innenleben von komplexen Organisationen und Lust am Portait stupider Sitzungen, Arbeitsroutinen und der
staatlichen »PR-Arbeit«, die eigentlich nur der Informationsverschleierung dient. Tatsächlich aber zielt der Film weniger auf die Untiefen der Geheimdienste als auf die Folgen der Privatisierung staatlicher Hoheitsaufgaben, etwa bei den Aufbauhilfen in Ländern wie Afghanistan, und die Unmoral der Industrie.
Wenn er einfach Explosionen, Schießereien und Attentate zeigt, ist der Film am besten: Kühl, klar und unsentimental. Alexander Fehling und Claudia Michelsen
entsprechen diesem Ansatz am besten, während Hauptdarsteller Ronald Zehrfeld immer wieder zum sentimentalen Brummbär wird. Wenn es um das Portrait der Menschen geht, dann verwandelt sich Kino- in Fernsehästhetik – trotz allem Bemühen wird zu sehr gemenschelt. Dieser Verzicht auf Härte, Kühle und blauschwarze Noir-Atmosphären unterscheidet Das Ende der Wahrheit dann doch von den Vorbildern aus Frankreich, Italien und USA.
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Solche ungewöhnlichen Stoffe sind in diesem Jahr die Ausnahme. Die Mehrzahl der Filme kommt nicht an die Perlen aus der Jubiläumsreihe heran, in denen frühe Saarbrücken-Erfolge von Christian Petzold, Dominik Graf und Wieland Speck markierten, was für Karrieren in Saarbrücken begannen und beginnen könnten.
Stattdessen Erwartbares: Weibliches und männliches Selbstverhältnis, Ichfindung und Beziehungsgeschichten. Selten drehen diese sich um ganz junge Paare, eher scheint
es sich um einen leicht beunruhigten Blick der Mitt- oder Spätzwanziger-Regisseure auf ihre eigene Zukunft in zehn bis 15 Jahren zu handeln: Ein Paar auf Urlaub langweilt sich miteinander. Eine Ex-Liebe flammt wieder auf und stört den Alltagstrott. Ein einsamer Kauz verfolgt als Spanner eine Frau und lernt sie schließlich kennen, was die Lage auch nicht verbessert. Dazu das neue Thema: Die Ängste der Männer; ihre Zweifel über ihre Vaterrolle. Moralisch ist das alles unbedingt
sympathisch. Aber künstlerisch spannend? Ästhetisch herausfordernd? Kino ist ja keine Paartherapie und kein Ersatz fürs Jugendamt.
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Es ist auch kein Staatsakt. In den fühlte man sich versetzt, als das 40-jährige Festival-Jubiläum ausgerechnet mit einem Ehrenpreis für Iris Berben gefeiert wurde. Die mag ihre politischen Verdienste haben, die Außenminister Heiko Maas als Lokalmatador und Laudator auch ausgiebig hervorhob – das unabhängige deutsche Kino und seine Zukunft repräsentiert sie aber genauso wenig wie Til Schweiger, dessen Präsenz am Samstag auch noch das Jubiläum aufpeppen sollte. Schweiger gefiel sich aber in dem von ihm gewohnten spätpubertären Gehabe: Die Preisstatue sei so hässlich gewesen, dass er sie gleich am Morgen nach der Preisverleihung zerschlagen habe – eine blöde Geste gegen das gastgebende Festival.
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Das Festival »Max-Ophüls-Preis« sollte sich in Zukunft vor solchen sogenannten »Events« und überhaupt vor zu viel Nähe zum Branchenmainstream hüten. Beide Gäste waren ein falsches Signal in einer Zeit, in der der deutsche Kino-Mainstream schon zombiehafte Züge hat, und nur in präzisen Grenzüberschreitungen noch Erfolgschancen liegen – Stichwort Toni Erdmann.
Im Vergleich zu ihren beiden
ersten Jahren wirkte die dritte Ausgabe von Direktorin Svenja Böttger etwas ermüdeter und so als wolle man es (zu?) vielen recht machen. Nicht jedes Jahr kann gleich stark sein, um so mehr muss Saarbrücken darauf achten, dass es unverwechselbar bleibt und sich als klarer Independent-Ort vom Mittelmaß der Branche abhebt.
Die zeitliche Nähe zur Berlinale birgt Gefahr, könnte aber auch Chance sein. Ab dem kommenden Jahr dürfte aber die Berlinale selbst ihr verwaschenes Profil schärfen.
Das gilt insbesondere für den Umgang mit dem deutschen Nachwuchs.
Es sollte gar nicht erst der Verdacht aufkommen, dass Saarbrücken zur Resterampe von Perspektive und dem übrigen Dutzend Berlinale-Sektionen wird.
Ein Preisträger wie Das Melancholische Mädchen hilft dabei. In anderen Bereichen, in der Wahl der Gäste, der Branchentalkthemen, und nicht zuletzt der Location für das abendliche Filmtalken und Get Together ist noch einiger Raum nach oben offen.
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Formal wilde Filme und ungewöhnlich erzählte Stoffe wie beim letztjährigen Gewinnerfilm Landrauschen suchte man ansonsten vergebens. Immerhin Electric Girl von der bekannten Comic-Autorin Ziska Riemann gab Hoffnung. Und Anatol Schusters Stern. Er habe den Film ganz schnell gedreht, erzählte Schuster, und leider ohne Förderung. Obwohl er seine
Mitarbeiter nicht bezahlen konnte, »war Ausbeutung für uns nie das Thema. Wir wollten die Unmittelbarkeit«.
Solche Guerilla-Methoden sind der Geist, aus dem die deutsche Kino-Zukunft jenseits des Förderbürokratismus gedeihen kann. Damit der Anfang nicht das Ende wird.