Mein weißer Schatten |
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Der erste Spielfilm mit Bruno Ganz in einer Hauptrolle: Haro Senfts Der sanfte Lauf |
Von Axel Timo Purr
Zuerst dachte ich, ein kleines Facebook-Posting reicht aus, um an einen der größten Schauspieler der letzten Jahrzehnte, zu erinnern. Aber je mehr ich mich an das Verschwinden von Bruno Ganz versuchte zu gewöhnen, desto mehr spürte ich, wir groß der Verlust ist, dass ein Posting nicht ausreicht, dass einfache Schlagworte, so gut sie auch klingen mögen, Trauerarbeit eher aushöhlen, als füllen.
Dabei ist es in meinem Fall eigentlich nur ein halber Verlust, denn ich habe Ganz nie auf der Bühne gesehen, die er mit seinem eigenartigen, somnambulen Spiel so sehr für sich einnahm, dass er 1996 den Iffland-Ring testamentarisch von seinem Vorgänger Josef Meinrad erhielt und damit zum »bedeutendsten und würdigsten Bühnenkünstler des deutschsprachigen Theaters« wurde.
Aber der halbe Verlust wirkt dann doch wie ein ganzer Verlust, weil Bruno Ganz für mich auch mein Coming-of-Age im deutschen Film war, ein wichtiger Teil meiner Filmografie, meinem zweiten Leben gewesen ist. Weil ich zu spät geboren bin, habe ich die ganz frühen Filme, etwa seinen ersten, in dem er eine Hauptrolle gespielt hat, nie gesehen: Haro Senfts Der Sanfte Lauf (1967) – einer der ersten Spielfilme, der im Anschluss an das Oberhausener Manifest durch das Kuratorium junger deutscher Film teilfinanziert worden war und der langsame Aufstieg für den stillen, hellen Schatten, den Bruno Ganz auf den Neuen Deutschen Film werfen sollte.
Ab Mitte der 1970er war Ganz dann omnipräsent im Neuen Deutschen Film. Und ähnlich wie auf der Bühne zeichnet ihn auch in all seinen Filmen dieses Abschnitts eine transzendentale Spielweise aus, die »seine« Figuren und ihre Sinnsuche auf eine melancholische, traumwandlerische Weise durchdrang. Und das war nicht nur seiner Sprache, dem nie ganz abgelegten, murmeligen Schweizer Akzent geschuldet, sondern einer Verkörperung des Suchens und Sinnfindens, die einzigartig war.
Man denke nur an Geißendörfers Wildente (1976), Wenders Amerikanischen Freund (1977) Handkes Linkshändige Frau (1978), Hauffs Messer im Kopf (1978), Herzogs Nosferatu (1979), Schlöndorffs Fälschung (1981), oder Alain Tanners portugiesisch-schweizer Koproduktion In der weißen Stadt (1983). Jeder dieser Rollen wurde – auch wenn die literarischen Vorlagen anders hätten interpretiert werden können – immer transformiert zu etwas völlig anderem, Bruno-Ganz-Eigenem. Seine Verkörperung des Jonathan im Amerikanischen Freund hatte auch nach den vielen Jahren, die seit dem »ersten Mal« vergangen waren, immer noch soviel Präsenz und subversive Kraft, dass ich – wenn schon nicht diese Rolle – dann doch wenigstens diesen Namen in die reale Welt retten wollte, und meinen Sohn Jonathan nach ihr benannte.
Aber auch nach dem Ende der vielleicht international erfolgreichsten Zeit des deutschen Films, blieb Ganz dem deutschen Film und einigen Regisseuren verbunden. Für Wenders gab er in Der Himmel über Berlin den Engel, ein Film den ich nie mochte, und nur wegen Bruno Ganz ein weiteres Mal gesehen habe. Und auch mit Peter Handke hat er für Die Abwesenheit noch einmal zusammengearbeitet. Und noch viel später, 2004, hat er in Oliver Hirschbiegels Der Untergang selbst Hitler zu einem Suchenden und Zweifelnden transformiert.
Aber auch international hat Bruno Ganz sein Spiel kompromisslos sanft vertreten, hat Rollen angenommen, die immer wieder auch überraschend waren und hat auch damit eine Liste von Regisseuren bedient, die so lückenlos und fehlerhaft zugleich wie die eigene Lebenslinie ist: Éric Rohmer, Mauro Bolognini, David Hare, Theo Angelopoulos, Jonathan Demme, Francis Ford Coppola, Stephen Daldry, Bille August, Jean-François Adam, Ridley Scott oder Atom Egoyan und noch viele andere, deren Namen heute längst vergessen sind.
In den letzten Jahren verschwand das »Suchen« und auch »Zweifeln« in seinem Spiel immer mehr, war nur noch als sanft gurgelndes Wellenplätschern wahrzunehmen und wurde durch ein wahrscheinlich altersbedingtes »Gehen« und »Rückblicken« ersetzt. Schon als Almöhi in Alain Gsponers überzeugender Heidi-Adaption war er nicht mehr ganz von dieser Welt und »entrückter«, als die Rolle bislang interpretiert worden war.
Und ganz zuletzt, im letzten Jahr, 2018, sind es dann eigentlich nur noch Übungen im Abschiednehmen. Zuletzt als Führer durch die Unterwelt in Lars von Triers The House That Jack Built und als alter Sigmund Freud in Nikolaus Leytners Der Trafikant. So als wolle er sich schon im Film auf seine ganz besondere Art und Weise von uns verabschieden und uns damit trösten, dass das Leben nun wirklich nicht alles ist, was zählt, im Leben.
Bruno Ganz ist am 16. Februar 2019 im Alter von 77 Jahren verstorben.