Gundermann, Dresen und das Kino als »Seelen-Ort« |
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And the winner is… Gundermann! |
So lang war eine deutsche Filmpreisverleihung selten: Fast vier Stunden dauerte alles, und selbst das ZDF, das in seiner Übertragung alle Reden kürzte und fast jeden Satz mit Substanz herausstrich, kam nur knapp unter drei Stunden Übertragungszeit. Und wie es bei solchen Veranstaltungen so ist: Die Länge lag umgekehrt proportional zur Bedeutung des Ereignisses.
Deutsche Thriller gibt es seit Jahren kaum noch im Kino, so hielt sich auch die Spannung bei diesem Filmpreis in sehr engen Grenzen: Der allgemeine Favorit, der Kostümfilm Gundermann über den singenden Baggerfahrer und Arbeiter-Barden der DDR, gewann vier Preise und wurde zum »Besten Film« gekürt – eine freundliche Verneigung der Filmakademie vor den ansonsten im Kino abgehängten Ossis
zum Jubiläum der Wiedervereinigung.
Aber dass Andreas Dresen wirklich der beste deutsche Regisseur sein soll, das glaubten noch nicht mal viele im Saal.
Der ästhetisch anspruchsvollste Nominierte, Styx von Wolfgang Fischer, in dem Susanne Wolff eine Alleinseglerin spielt, die auf dem Meer ihre persönliche Flüchtlings-Höllenfahrt erlebt, wurde dreimal ausgezeichnet. Und da übersehen wir besser höflich, dass der Regisseur Österreicher ist.
Auch sonst war wenig falsch und vieles richtig an den Preisen vom Freitagabend: Louise Heyer als herausragende deutsche Darstellerin endlich zu erkennen, ist überfällig, statt den ganzen üblichen Verdächtigen, einen weiteren Preis zu geben. Ebenso ist Alexander Fehlings Leistung als Agentenbürokrat im BND-Drama Das Ende der Wahrheit großartig. Und dass man die über Jahrzehnte
missachtete Margarethe von Trotta endlich als auch international große deutsche Regisseurin anerkennt – auch das wurde Zeit und ist gut so.
Sogar in manchen Nicht-Nominierungen hatte die Filmakademie sehr gute, dringend nötige Zeichen gesetzt – auch gegen die Funktionäre des deutschen Films.
Dass man etwa die fett durchgeförderte und zum deutschen Oscar-Kandidaten hochgejazzte Geschmacksverirrung Werk ohne Autor komplett ignorierte, war eine Ohrfeige für Florian Henckell von Donnersmarck und die ganzen Adabeis, die sich gern zu ihm auf die Bühne stellen.
Alles in Butter also im deutschen Film? Keineswegs!
Erinnern wir nochmal daran: Der deutsche Filmpreis ist ein Kulturpreis. Zumindest in der Theorie.
Ein deutscher Oscar ist er jedenfalls nicht. Denn beim Oscar werden keine Dollarmillionen aus Steuergeldern ausgeschüttet, beim deutschen Filmpreis sehr wohl: Drei Millionen Euro – zur Kulturförderung, nicht zu vergessen. Die deutsche Bundesregierung vergibt das Geld, will aber nicht darüber entscheiden. Also darf es sich die Filmbranche selbst vergeben – das zeigt vor allem die Verachtung der deutschen Politik für das Kino.
Das Kino sei ein »Seelen-Ort«, flötete gestern Kultur-Staatsministerin Monika Grütters. Und sprach von Filmkunst als Mittel zur Förderung einer »Kultur des Miteinanders.«
Das gibt die Richtung vor: Nichts gegen Miteinander. Aber Kino ist Kunst und nicht die Bebilderung des politisch Gewünschten. Gutes Kino kann oft genug spalten und entzweien – und gerade die Debatten, die dann entstehen, der fruchtbare Streit ist es, woran einer offenen Gesellschaft gelegen sein muss.
Kino als Harmoniesoße und Schmiermittel der Gesellschaft ist Sozial-Pädagogik, nicht Kunst.
Jedes Jahr gibt es daher den gleichen Ärger: Gerade wichtige und künstlerisch radikale Filme sind erst gar nicht nominiert worden, bekamen also nie eine Chance auf einen Preis. Stattdessen gibt es viel Durchschnittsware.
Und der genauere Blick auf Preise und Nominierungen zeigt: Ein Film der nicht schon vorher von den allmächtigen Förderinstanzen gefördert wurde, hat keine Chance bei dieser Akademie.
Der unbekannte Nachwuchs hat keine Chance.
Ein Film, der nicht gut vernetzt ist, der nicht mit Produzent, Regisseur und Darsteller bekannte Namen bietet, hat keine Chance.
Frauen haben kaum eine Chance – wenn sie nicht wie Caroline Link als Oscarpreisträgerin sehr bekannt sind.
Filme,
die keine Lobbyisten und mächtigen Herren und Damen der deutschen Branche in den Sendern und vor allem den Förderinstitutionen hinter sich haben, haben keine Chance.
Chancen haben Filme, die entweder von bekannten Personen handeln – dieses Jahr Gundermann, letztes Jahr Romy Schneider – oder die wichtige Themen illustrieren, wie die moralischen Abgründe unseres Flüchtlingsumgangs.
Oder eben Bestsellerverfilmungen wie Der Junge muss an die frische Luft.
Damit spiegelt der Filmpreis exakt die Situation des deutschen Kinos. Es ist ein Kino der Funktionäre und der wichtigen Themen. Ein Kino der Macht und des Inhaltismus. Es ist kein Kino des Widerstands und der Irritation, kein Kino der Form und der Ästhetik.
Wolfgang Fischers Styx ist die große, erfreuliche Ausnahme in diesem Bild. Aber der ist wie gesagt Österreicher.