Gaslighting |
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Ingrid Bergman und Charles Boyer in George Cukors Gaslight (1944) |
Von Gregor Torinus
Der psychologische Thriller Das Haus der Lady Alquist (Gaslight) von 1944 ist ein echtes Filmjuwel, das heute zu Unrecht weit weniger bekannt als viele Noir-Klassiker aus demselben Jahrzehnt ist. Der Film von George Cukor (My Fair Lady) zeigt Ingrid Bergman in der Rolle der jungen Ehefrau Paula, die von ihrem von Charles Boyer gespielten Ehemann Gregory systematisch in den Wahnsinn getrieben wird. Gregory inszeniert Dinge, wie das Verschwinden einer Brosche und eines Bildes, damit Paula ihren Verstand immer stärker infrage stellt. Andere tatsächliche Ereignisse, wie Schritte über Paulas Zimmer und das scheinbar grundlose Herabdimmen der Gaslichter in der Wohnung stellt Gregory als allein in Paulas Imagination existent dar.
Der Film mit dem Originaltitel „Gaslight“ ist die amerikanische Neuverfilmung des britischen Thrillers GASLICHT von Thorold Dickinson 1940. Letzterer ist wiederum die Verfilmung von Patrick Hamiltons Theaterstück „Gaslicht“, das 1938 uraufgeführt wurde und das an den Bühnen von London und New York ein großer Erfolg war. Das Haus der Lady Alquist glänzt mit hervorragenden Schauspielleistungen. Ingrid Bergman wurde für ihre Rolle der Paula verdient mit dem Oscar ausgezeichnet und Charles Boyer wurde für seine Darstellung ihres kriminellen Ehemanns immerhin für den Oscar nominiert. Auch die Ausstattung, Inszenierung und Kameraführung sind makellos. Für die Innenausstattung erhielt der Film einen weiteren Oscar.
Der Ausdruck „Gaslighting“ ist inzwischen zu einem psychologischen Fachbegriff avanciert. So beschreibt die amerikanische Psychologin Dr. Robin Stern in »Der Gaslight-Effekt: Wie Sie versteckte emotionale Manipulation erkennen und abwenden« (Deutsch 2017) wie geschickte Manipulatoren im Alltag ganz ähnlich vorgehen, wie Gregory im Film Das Haus der Lady Alquist. Das Ziel von Gaslighting ist es, das Selbstvertrauen und die Realitätswahrnehmung des Opfers systematisch zu zerstören. Viele „Gaslighter“ gehen dabei unbewusst vor und nur die ausgekochtesten inszenieren wie Gregory gezielt Ereignisse, um das Opfer bewusst zu manipulieren.
Zu den Personen, die Gaslighting ganz bewusst und gezielt einsetzen, zählen insbesondere Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung und Personen mit einer dissozialen Persönlichkeitsstörung. Die härtesten Fälle der zweiten Gruppe sind auch als Psychopathen bekannt. Wer dabei nur an Serienkiller wie Ted Bundy denkt, der geht wahrscheinlich davon aus, dass dies nur einen verschwindend geringen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung darstellt. Dahingegen stellt der Psychologe Jens Hofmann im Interview mit der Zeit fest: »Man geht davon aus, dass etwa vier Prozent der Bevölkerung Narzissten sind und etwa ein bis zwei Prozent Psychopathen. Deren Anteil in Führungspositionen beträgt etwa sechs Prozent.«
Im Filme Das Haus der Lady Alquist ist das besonders Perfide am Vorgehen von Gregory, dass dieser sich noch Unterstützung durch die ältere Köchin Elisabeth holt. Wenn Paula die Köchin nach den Schritten über ihrem Zimmer befragt, will die Köchin nichts gehört haben. Für Menschen, die einem krankhaften Narzissten oder einem anderen Gaslighter zuspielen, gibt es den Ausdruck „Flying Monkey“. Auch dieser Begriff stammt aus einem Film, und zwar aus Der Zauberer von Oz von 1939. Die böse Hexe im Film hat Handlanger in Affengestalt, die in einer Szene durch die Lüfte fliegen, um Dorothy auf das Schloss der Hexe zu entführen. Damit will die böse Hexe verhindern, dass Dorothy zum Zauberer von Oz gelangt, der angeblich die Träume von ihr und ihren Freunden verwirklichen kann.
Doch diese haben in Wahrheit bereits, wonach sie sich sehnen. Sie sind lediglich so sehr verwirrt, dass sie dies nicht wahrnehmen können. Dorothy will zurück nach Kansas. Doch in Wirklichkeit liegt sie bei sich zu Hause im Bett und träumt den gesamten farbigen Teil des Films nur. Die Vogelscheuche will ein Gehirn und merkt nicht, dass sie bereits denken kann. Der Zinnsoldat will ein Herz und merkt nicht, wie viel Herz er hat, und der Löwe sucht Mut, obwohl er sich bereits sehr mutig verhält. Man kann den Film somit als eine Entwicklungsgeschichte lesen, die zeigt, was Verunsicherung mit dem Selbstbild und der allgemeinen Realitätswahrnehmung eines Menschen anstellen kann.
Gregory hat in Das Haus der Lady Alquist ein ganz konkretes kriminelles Motiv für seinen Versuch, Paula in den Wahnsinn zu treiben. Das unterscheidet ihn von der Mehrzahl der Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die Gaslighting betreiben. Letztere sind eher wie die Hexe in Der Zauberer von Oz – sie betreiben ihre Spiele aus reinem Machtstreben und aus reiner Böswilligkeit.