04.07.2019

Gaslighting

DAS HAUS DER LADY ALQUIST
Ingrid Bergman und Charles Boyer in George Cukors Gaslight (1944)

Film und Realität

Von Gregor Torinus

Der psycho­lo­gi­sche Thriller Das Haus der Lady Alquist (Gaslight) von 1944 ist ein echtes Filmjuwel, das heute zu Unrecht weit weniger bekannt als viele Noir-Klassiker aus demselben Jahrzehnt ist. Der Film von George Cukor (My Fair Lady) zeigt Ingrid Bergman in der Rolle der jungen Ehefrau Paula, die von ihrem von Charles Boyer gespielten Ehemann Gregory syste­ma­tisch in den Wahnsinn getrieben wird. Gregory insze­niert Dinge, wie das Verschwinden einer Brosche und eines Bildes, damit Paula ihren Verstand immer stärker infrage stellt. Andere tatsäch­liche Ereig­nisse, wie Schritte über Paulas Zimmer und das scheinbar grundlose Herab­dimmen der Gaslichter in der Wohnung stellt Gregory als allein in Paulas Imagi­na­tion existent dar.

Der Film mit dem Origi­nal­titel „Gaslight“ ist die ameri­ka­ni­sche Neuver­fil­mung des briti­schen Thrillers GASLICHT von Thorold Dickinson 1940. Letzterer ist wiederum die Verfil­mung von Patrick Hamiltons Thea­ter­stück „Gaslicht“, das 1938 urauf­ge­führt wurde und das an den Bühnen von London und New York ein großer Erfolg war. Das Haus der Lady Alquist glänzt mit hervor­ra­genden Schau­spiel­leis­tungen. Ingrid Bergman wurde für ihre Rolle der Paula verdient mit dem Oscar ausge­zeichnet und Charles Boyer wurde für seine Darstel­lung ihres krimi­nellen Ehemanns immerhin für den Oscar nominiert. Auch die Ausstat­tung, Insze­nie­rung und Kame­ra­füh­rung sind makellos. Für die Innen­aus­stat­tung erhielt der Film einen weiteren Oscar.

Der Ausdruck „Gaslighting“ ist inzwi­schen zu einem psycho­lo­gi­schen Fach­be­griff avanciert. So beschreibt die ameri­ka­ni­sche Psycho­login Dr. Robin Stern in »Der Gaslight-Effekt: Wie Sie versteckte emotio­nale Mani­pu­la­tion erkennen und abwenden« (Deutsch 2017) wie geschickte Mani­pu­la­toren im Alltag ganz ähnlich vorgehen, wie Gregory im Film Das Haus der Lady Alquist. Das Ziel von Gaslighting ist es, das Selbst­ver­trauen und die Realitäts­wahr­neh­mung des Opfers syste­ma­tisch zu zerstören. Viele „Gaslighter“ gehen dabei unbewusst vor und nur die ausge­koch­testen insze­nieren wie Gregory gezielt Ereig­nisse, um das Opfer bewusst zu mani­pu­lieren.

Zu den Personen, die Gaslighting ganz bewusst und gezielt einsetzen, zählen insbe­son­dere Menschen mit einer narziss­ti­schen Persön­lich­keits­stö­rung und Personen mit einer disso­zialen Persön­lich­keits­stö­rung. Die härtesten Fälle der zweiten Gruppe sind auch als Psycho­pa­then bekannt. Wer dabei nur an Seri­en­killer wie Ted Bundy denkt, der geht wahr­schein­lich davon aus, dass dies nur einen verschwin­dend geringen Prozent­satz der Gesamt­be­völ­ke­rung darstellt. Dahin­gegen stellt der Psycho­loge Jens Hofmann im Interview mit der Zeit fest: »Man geht davon aus, dass etwa vier Prozent der Bevöl­ke­rung Narzissten sind und etwa ein bis zwei Prozent Psycho­pa­then. Deren Anteil in Führungs­po­si­tionen beträgt etwa sechs Prozent.«

Im Filme Das Haus der Lady Alquist ist das besonders Perfide am Vorgehen von Gregory, dass dieser sich noch Unter­s­tüt­zung durch die ältere Köchin Elisabeth holt. Wenn Paula die Köchin nach den Schritten über ihrem Zimmer befragt, will die Köchin nichts gehört haben. Für Menschen, die einem krank­haften Narzissten oder einem anderen Gaslighter zuspielen, gibt es den Ausdruck „Flying Monkey“. Auch dieser Begriff stammt aus einem Film, und zwar aus Der Zauberer von Oz von 1939. Die böse Hexe im Film hat Hand­langer in Affen­ge­stalt, die in einer Szene durch die Lüfte fliegen, um Dorothy auf das Schloss der Hexe zu entführen. Damit will die böse Hexe verhin­dern, dass Dorothy zum Zauberer von Oz gelangt, der angeblich die Träume von ihr und ihren Freunden verwirk­li­chen kann.

Doch diese haben in Wahrheit bereits, wonach sie sich sehnen. Sie sind lediglich so sehr verwirrt, dass sie dies nicht wahr­nehmen können. Dorothy will zurück nach Kansas. Doch in Wirk­lich­keit liegt sie bei sich zu Hause im Bett und träumt den gesamten farbigen Teil des Films nur. Die Vogel­scheuche will ein Gehirn und merkt nicht, dass sie bereits denken kann. Der Zinn­soldat will ein Herz und merkt nicht, wie viel Herz er hat, und der Löwe sucht Mut, obwohl er sich bereits sehr mutig verhält. Man kann den Film somit als eine Entwick­lungs­ge­schichte lesen, die zeigt, was Verun­si­che­rung mit dem Selbst­bild und der allge­meinen Realitäts­wahr­neh­mung eines Menschen anstellen kann.

Gregory hat in Das Haus der Lady Alquist ein ganz konkretes krimi­nelles Motiv für seinen Versuch, Paula in den Wahnsinn zu treiben. Das unter­scheidet ihn von der Mehrzahl der Menschen mit einer narziss­ti­schen Persön­lich­keits­stö­rung, die Gaslighting betreiben. Letztere sind eher wie die Hexe in Der Zauberer von Oz – sie betreiben ihre Spiele aus reinem Macht­streben und aus reiner Böswil­lig­keit.