Iran an der Isar |
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Deutschlandpremiere: Chicheka Lullaby |
Von Leo Mayer
Früher waren Filme aus Iran Geheimtipps unter Cineasten. Seit ein paar Jahren räumen die Produktionen nicht nur auf Festivals Preise ab. Sie begeistern auch ein wachsendes Publikum in ganz Europa. Kein Wunder, dass Jafar Panahi, Abbas Kiarostami, Mohsen Makhmalbāf und Majid Majidi zu den Protagonisten des zeitgenössischen Kinos zählen. Wer neugierig ist, was der Iran außer diesen Großmeistern filmisch zu bieten hat, der hat großes Glück.
Vom 12.-14. Juli 2019 lädt CINEMA IRAN zum 6. Mal ein, das Land aus einer Vielzahl cineastischer Perspektiven kennenzulernen. In diesem Jahr steht die Metropole Teheran im Mittelpunkt.
Dokumentarfilme stellen die Geschichte der Stadt vor und architektonische Perlen. Kurz- und Experimentalfilme porträtieren die Stadt- und Jugendkultur.
In Spielfilmen wird die Großstadt mit ihren zahlreichen, teilweise widersprüchlichen Facetten selbst zur Protagonistin.
Erstmalig kooperiert das Festival mit einem Partner aus Iran. Der unabhängige Kurator, Medienkünstler und Grafikdesigner Amirali Ghasemi hat für CINEMA IRAN das Programm zusammengestellt und wird bei den Vorführungen anwesend sein.
Eröffnet wird das Festival mit Scenes from the life of a detective (Iran 2017-2019, 80 Min., Persisch mit englischen UT) von Alireza Rasoulinejad. In dem experimentellen Spielfilm streift ein Flaneur, Behrad, ziellos durch Teheran auf der Suche nach urbaner Schönheit. Als Film Noir Fan nimmt er den Auftrag, eine schöne, unbekannte Frau als Detektiv zu beschatten gerne an, zumal er sowieso gerade einen Job und Geld braucht. Seine Schwester Sara, sein Nachbar, ein Psychoanalytiker, aber auch Hamid, der Filmkritiker, finden Behrads Verhalten rätselhaft und heften sich an seine Fersen. Scenes from the life of a detective bietet ein vielschichtiges, ästhetisches, durch und durch reizvolles Spiel über Städte und Cinephilie, über die Femme Fatale und die spröde Schöne Teheran. Der Regisseur wird zur Deutschlandpremiere in München erwartet. Fr., 12.7., 20:30 Uhr, Carl-Amery-Saal, Gasteig.
In Alireza Rasoulinejads Exteriors (Iran 2004, 70 Min., Persisch mit englischen UT) lädt ein Mann zwei jüngere Neffen zu sich ein. In der Wohnung finden die jungen Männer diverse Notizen. Zu Woody Allen, zur zeitgenössischen Architektur, zur Filmindustrie. Außerdem einen nicht fertiggestellten Dokumentarfilm. Ausgehend von ihren Entdeckungen drehen die beiden Neffen einen
Experimentalfilm.
Die Video Diaries (Iran 2004, 6:22 Min., Persisch mit englischen UT) sind ein Langzeitprojekt, das Amirali Ghasemi 2001 angefangen hat. Die Urfassung von 2002 war ein 17-minütiger Loop von 47 dokumentarischen Kurzclips. Gezeigt werden neben privaten Räumen auch Cafés, Galerien und Kunstateliers. Die gezeigte Fassung ist eine Überarbeitung, die in vier Split-Screens Schnappschüsse aus dem Leben des Künstlers zeigt, der mit Anfang 20
am Beginn seiner Karriere steht. Der Soundtrack stammt vom deutschen Dub-Techno-Musiker Stefan Betke alias Pole. Freitag, 12.07.,18 Uhr, Carl-Amery-Saal, Gasteig.
Residents of One-Way Street (Iran 2015, 72 Min., Persisch mit englischen UT) von Mehdi Bagheri porträtiert eine Straße und liefert faszinierende Einblicke in die Geschichte ihrer ehemaligen Bewohner. Die Straße des 30. Tir – Tir ist der vierte Monat des iranischen Kalenders – läuft in Nord-Süd-Richtung durch das Stadtzentrum Teherans und verbindet den Park-e Shahr im Süden mit der
Jomhoori Avenue im Norden.
Vor der Revolution trug die Straße den Namen des Politikers Qavam Ol-Saltaneh. Nach der Revolution erhielt sie ihren derzeitigen Namen und erinnert an die Todesopfer des 30. Tir 1331 (entspricht dem 21. Juli 1952). Dutzende Demonstranten wurden getötet als sie gegen die Ernennung Qavam Ol-Saltanehs zum Premierminister protestierten und sich für den zurückgetretenen Premierminister Mohammad Mossadegh einsetzten, der sich für die Verstaatlichung
der Ölindustrie eingesetzt hatte.
Die Straße des 30. Tir führt durch eines der ältesten Quartiere der Stadt. Hier lebten einst Armenier, Christen, Juden, Muslime und Zoroastrier Seite an Seite. Heute bleiben davon nur Erinnerungen und Fotoalben.
Auch Pirouz Kalantaris Reading Salinger In Park-E Shar (Iran 2011, 29 Min., Persisch mit englischen UT.) ist eine Zeitreise. Diesmal basiert sie auf persönlichen Erfahrungen des Regisseurs. Die Vergangenheit
verschmilzt poetisch mit Bildern aus der Gegenwart des Stadtparks, der im alten Zentrum Teherans liegt.
Der Filmemacher liest eine von Salingers Erzählungen, während er auf einer Bank sitzt. Eine weibliche Hand legt ein Päckchen auf die offenen Seiten des Buchs. Die Hand eines Jungen nimmt es wenig später auf. Aufsteigende Erinnerungen dienen zum Anlass, sich durch Teheran treiben zu lassen. Samstag, 13.07., 18 Uhr, Carl-Amery-Saal, Gasteig.
In Statues of Tehran (Iran 2008, 60 Min., Persisch mit engl. UT) ergründet Bahman Kiarostami die Funktion der Statuen und Monumente, die auf Straßen und Plätzen Teherans zu finden sind. Eine postmoderne Megalopolis, beherrscht von Ideologien, heimgesucht vom Vergessen.
Exemplarisch folgt der Dokumentarfilm dem Schicksal zweier Skulpturen: zum einen ein Werk des bedeutenden
Bildhauers Bahman Mohassess, das in den 1970er Jahren von der Familie des Schah in Auftrag gegeben worden war, zum anderen ein Tribut an die Islamische Revolution von Iraj Eskandari, das am Kreisverkehr des Revolutionsplatzes errichtet wurde. Der Film zeichnet die wechselhafte Geschichte und Rezeption der beiden Monumente nach.
Ebenfalls auf der Straße und doch doch ein anderes Thema hat der nächste Film. Street Sultans (Iran 2010, 39 Min., Persisch mit
engl. UT) ist die erste Zusammenarbeit der beiden Underground-Filmemacher Paliz Khoshdel & Zeinab Tabrizi.
Ihre Doku stellt den Sport und die Subkultur der Parkourläufer in Teherans Betonarchitekturen vor. Junge Frauen und junge Männer begeistern sich für die gleichermaßen spektakuläre wie gefährliche urbane Fortbewegung des Parkour. Gelingt es ihnen, in Teheran ein erstes Parkour-Festival auf die Beine zu stellen?
Samstag, den 13.07., 20:30 Uhr, Carl-Amery-Saal,
Gasteig.
Wer noch mehr erfahren will, sollte sich das
Gespräch Mit Amirali Ghasemi nicht entgehen lassen. Der Gastkurator zählt zu den profiliertesten Künstlern und Kuratoren der jungen, iranischen Kunstszene. Er studierte Grafikdesign an der Azad Universität in Teheran und schloss später ein Aufbaustudium an der Universität der Künste in Berlin an. Er ist Gründer und Leiter der Parking Galerie sowie der New Media Society. Seine Arbeiten sind u.a. in der
Sammlung des Victoria & Albert Museums in London vertreten und wurden in Belgien und den Niederlanden gezeigt, sowie in Überblickskatalogen zur iranischen Kunst von Rose Issa und Homi Bhabha vorgestellt.
In diesem von Silvia Bauer moderierten Gespräch stellt er seine künstlerischen Positionen vor und gibt einen Einblick in die aktuelle iranische Kunstszene. Sonntag, 14. Juli, 17 Uhr
Als weitere Neuerung wird bei CINEMA IRAN ein Kurzfilmprogramm präsentiert. Es verspricht einen gemischten Strauß mit den Werken verschiedener Regisseure und stammt aus dem Archiv des Kurators. Sonntag, 14.07., 18 Uhr.
Krönender Abschlussfilm ist eine Preview, die das Münchner Publikum noch vor der Deutschlandpremiere zu sehen bekommt.
Chicheka Lullaby (Iran 2019, 97 Min., Persisch mit englischen UT) von Raha Faridi
ist ein Musik-Dokumentarfilm aus dem Süden des Landes. Der legendäre Musiker Ebrahim Monsefi (1945-1997) stammt aus der Region am Persischen Golf. Vor gut zwanzig Jahren starb er verarmt
und drogensüchtig, aber sein musikalisches Erbe beeinflusst bis heute viele iranische Künstler*innen. Dennoch ist seine Lebensgeschichte kaum bekannt. Der freiheitsliebende Künstler taucht in den offiziellen Erzählungen der iranischen Kulturgeschichte nicht auf.
Die Filmemacherin Raha Faridi kennt die Region am Persischen Golf gut. Ihre Großeltern leben dort. Über viele Jahre hat sie die Biographie Ebrahim Monsefis recherchiert und sein musikalisches Vermächtnis
aufgespürt. Seine Geschichte steht exemplarisch für viele iranische Künstlerinnen und Künstler. Sonntag, 14. Juli, 20 Uhr
Das 6. Iranische Filmfest in München, CINEMA IRAN, findet vom 12. bis 14. Juli 2019 im Carl-Amery-Saal im Münchner Gasteig statt. Weitere Information unter https://cinema-iran.de/.