Wir sind die Roboter |
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Ein großes Talent: Boris Akopovs The Bull |
Von Sven von Reden
Kurz vor Weihnachten. Auf einer verschneiten bayrischen Baustelle verabschieden sich die Arbeiter in die Feiertage. Der slowakische Handwerker Milan wird von einem deutschen Kollegen noch zu einem Schnaps eingeladen. Die Wohnung des Deutschen ist steril, die Partnerin des Mannes unfreundlich, die Stimmung steif. Als Milan auf die eisblau beleuchtete Toilette der Gastgeber geht, wird er von einem Aufkleber gemahnt, nicht im Stehen zu pinkeln. Seufzend nimmt er Platz. Immerhin gibt es zum Abschied eine wärmende Geste: Milan bekommt ein Geschenk für seine Kinder mitgegeben. Es ist ein Roboterhund.
Wir sind die Roboter. Das tschechische-slowakische Drama Let There Be Light bietet gleich zu Beginn diesen Klassiker der Deutschlandklischees. Da hatten wir doch gehofft, das Sommermärchen von 2006 hätte uns in den Augen der Welt menschlicher gemacht. Von wegen.
Der im Wettbewerb des 54. Festivals von Karlovy Vary gezeigte Film des Slowaken Marko Škop verlässt Bayern bald. Als der Arbeitsmigrant Milan zu Weihnachten zurück in seine Heimat kommt, wo seine Frau und seine drei Kinder auf ihn warten, hängt der Haussegen schief. Ein Mitschüler seines ältesten Sohns Adam hat Selbstmord begangen und irgendwas scheint sein Junge damit zu tun zu haben. Nach und nach stellt sich heraus, dass Adam einer rechtsradikalen paramilitärischen Jugendgruppe angehört, die den Mitschüler in den Tod getrieben hat. Der Grund: Er galt als schwul. Der gutmütige Milan, der selber Waffennarr und streng gläubiger Christ ist, muss sich unangenehme Fragen stellen: Was hat er falsch gemacht, dass sein Sohn zu so einem Monster wurde?
Was Let There Be Light interessant macht – neben dem immer wieder lehrreichen Blick aus dem Ausland auf Deutschland –, ist, dass der Film eine tschechisch-slowakische Koproduktion der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ist. Zwei Länder mit populistischen Regierungen, zwei Länder bei deren letzten Wahlen rechte und rechtsradikale Kräfte zu den großen Gewinnern gehörten. Es macht Mut, dass ein Film in öffentlich finanzierten Sendern entstehen kann, der so kritisch auf den Rechtsruck blickt und zudem die Komplizenschaft der katholischen Kirche und – angedeutet – auch des Sicherheitsapparats anprangert. Auf der anderen Seite zeigt Let There Be Light auch die Grenzen der Liberalität auf: Es wird im Film betont, dass der in den Tod getriebene Schüler nicht wirklich homosexuell war, dass er einfach Opfer wurde, weil er nicht den Männlichkeitsidealen der Nazi-Heimatschützern entsprach. Offenbar traute man den heimischen (Fernseh)Zuschauern nicht zu, dass sie genauso viel Empathie für einen »echten« Schwulen aufbringen würde. Zudem wird das Abgleiten von Adam in den Rechtsradikalismus als direkte Folge des Fehlens einer Vaterfigur dargestellt.
Eine interessante Volte: Hier sind es nicht die Arbeitsmigranten aus fremden Ländern, die Rechtsradikale mobilisieren – in der slowakischen Provinz gibt es schlicht keine –, sondern die eigene Arbeitsmigration steckt hinter der Radikalisierung in der Heimat. Eine steile These. Am Ende gab es den Schauspielerpreis für Hauptdarsteller Milan Ondrík, der der Rolle des gutmütigen Waffennarren von Nebenan tatsächlich Glaubwürdigkeit verleiht.
Wie sehr die Abwanderung in den Westen die Gesellschaften des ehemaligen Ostblocks beschäftigen, kann man daran, festmachen, dass Arbeitsmigration – neben Vergangenheitsaufarbeitung – in den letzten Jahren immer zu den Hauptthemen der osteuropäischen Wettbewerbsfilme in Karlovy Vary gehörte.
Ein Beispiel aus dem diesjährigen »East of the West«-Wettbewerb, in dem erste oder zweite Filme aus Mittel-, Südost und Osteuropa sowie dem Mittleren Osten konkurrieren, war die tschechisch-niederländisch-lettische Koproduktion A Certain Kind of Silence. Im Film von Michal Hogenauer kommt ein tschechisches Au-Pair-Mädchen in einen niederländischen Haushalt – wobei nicht genau auszumachen ist, welche Nationalität die Eltern des Kindes haben,
auf das Mia aufpassen soll. Gesprochen wird meist Englisch, manchmal aber auch Niederländisch oder Deutsch. Mia kommt in ein Leben voller Luxus, aber auch der rigiden Regeln. Emotionen scheinen hier verboten – die Eltern des jungen Sebastian wirken tatsächlich roboterhaft oder als seien sie von Aliens gekapert worden. Zunächst versucht die junge Tschechin, ihre Humanität zu wahren, doch mit der Zeit wird sie zu einem willigen Werkzeug ihrer sanft-diabolischen Arbeitgeber.
In
einer der wenigen komischen Szenen des Films geht Mia in ein Hipstercafé und fragt nach der Karte. Die Bedienung erwidert, so etwas gebe es hier nicht, man könne einfach alles bestellen, was man haben wolle. Als Mia einen Café Latte ordert, erklärt die Bedienung mit fast mitleidigem Lächeln, den hätten Sie leider nicht, aber dafür gäbe es Matcha Tee, den würde Mia sicher lieber mögen und der sei auch besser für sie. Was in anderem Kontext als Satire auf die Pseudofreiheiten
fortgeschrittener Konsumgesellschaften funktionieren würde, wirkt hier seltsam zwiespältig. Let There Be Light und A Certain Kind of Silence verbinden ihr Werben für Toleranz und Liberalität mit »cautionary tales« darüber, die Heimat zu verlassen. Denn: Der Westen korrumpiert. Er bietet nur Geld, keine Menschlichkeit.
Sicher blickt man genauer und kritischer auf (Fremd)Darstellungen der eigenen gesellschaftlichen Realität als auf Filme aus und über Länder, deren Alltag oder Geschichte man bestenfalls touristisch aus erster Hand kennt. Universeller funktioniert vielleicht die filmische Sprache. Dass der Russe Boris Akopov, der im »East of the West«-Wettbewerb mit seinem Debüt The Bull vertreten war, ein großes Talent ist, hat die international besetzte Jury erkannt und ihm den Hauptpreis der Sektion verliehen. Akopov erzählt die Geschichte einer Jugendgang, die im postkommunistischen, prä-Putin Russland für einen Mafiaboss einen Job erledigt – mit üblen Folgen. Er ist nicht der Erste, der das Bild einer von Gesetzlosigkeit geprägten brutalokapitalistischen Gesellschaft zeichnet, aber die Verve und das Zusammenspiel von selbstbewusster Inszenierung, Musik und rasantem Schnitt machen The Bull zu einem großen Leinwanderlebnis. Bisweilen fühlte man sich an den frühen Scorsese erinnert. Von dem ehemaligen Balletttänzer wird man sicher auch noch im Westen hören.