Vergessener heiliger Akt |
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Georges Méliès: Die erste Mondlandung |
Am Anfang war der Mythos. Der Mond ist ein lebendiges Wesen, er hat ein Gesicht, und lächelt ein bisschen spöttisch, von oben herab eben. Er lacht über die kleinen Menschen da unten, ihr Gewimmel, und die Tatsache, dass sie offenbar ernsthaft glauben, sie könnte zu ihm rauf kommen mit ihren Raketen. Doch dann – autsch! – geht es voll ins Auge. Denn genau ins rechte Auge des Mondes trifft die Rakete der französischen Astronauten, so wie eine Banane in eine Sahnetorte.
Le voyage dans la lune (Die Reise zum Mond) heißt der allererste Film der Geschichte, der im Jahr 1902 den Menschheitstraum einer Mondlandung erstmals in bewegte Bilder fasst. Er stammt vom französischen Filmpionier Georges Méliès.
Méliès war zuerst Zauberkünstler, und zauberte so den ersten Science-Fiction-Film der Welt. Bei ihm tragen die Astronomen noch spitze Hüte. Auf dem Mond fliegen die Kometen tief. Die Erdlinge steigen darum hinab ins Mondinnere und finden unter der Mondkruste Mondgeister.
Ein absurdes, surreales und vor allem märchenhaftes Spektakel ist dieser Film.
Ein Vierteljahrhundert später ging es schon viel wissenschaftlicher weiter. Nach seinem Klassiker »Metropolis« drehte der deutsche Regisseur Fritz Lang 1929 Frau im Mond – als erster Regisseur zeigte Lang auch etwas geradezu Magisches, Ungesehenes: Schwerelosigkeit. Und er schickte die Deutschen auf den Mond. Ausgerechnet der blutjunge Wernher von Braun, der später für die Nazis
an Vergeltungsraketen experimentierte und noch später für die Amerikaner das Apollo-Programm entwarf und tatsächlich die echte Mondlandung möglich machte, war bei Frau im Mond Langs Fachberater.
Hier sieht man, wie 40 Jahre später bei Apollo 11 in Wirklichkeit abgeworfene Raketenstufen, und einen Countdown. Es soll tatsächlich Fritz Lang gewesen sein, der die NASA dazu inspirierte
beim Start rückwärts zu zählen.
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Am Anfang war der Mythos noch ein zweites Mal.
»First, I believe that this nation should commit itself to achieving the goal, before this decade is out, of landing a man on the moon and returning him safely to the Earth.«
Also sprach John F. Kennedy am 25. Mai 1961. Ein ehrgeiziges Ziel: Binnen zehn Jahren wolle man eine bemannte Rakete auf den Mond schießen.
»No single space project in this period will be more impressive to mankind, or more important for the long-range exploration of space; and none will be so difficult or expensive to accomplish. We propose to accelerate the development of the appropriate lunar space craft. We propose to develop alternate liquid and solid fuel boosters, much larger than any now being developed, until certain which is superior. We propose additional funds for other engine development and for unmanned explorations--explorations which are particularly important for one purpose which this nation will never overlook: the survival of the man who first makes this daring flight. But in a very real sense, it will not be one man going to the moon--if we make this judgment affirmatively, it will be an entire nation. For all of us must work to put him there.«
Und 1962 ging es weiter, eine zweite großartige Rede, filmreif, so wie dieser Präsident nichts mehr war, als ein Filmstar, und ein real gewordener, von der Leinwand herabgestiegener Filmheld.
»We set sail on this new sea because there is new knowledge to be gained, and new rights to be won, and they must be won and used for the progress of all people. ... There is no strife, no prejudice, no national conflict in outer space as yet. Its hazards are hostile to us all. Its conquest deserves the best of all mankind, and its opportunity for peaceful cooperation may never come again.
But why, some say, the Moon? Why choose this as our goal? And they may well ask, why climb the
highest mountain? Why, 35 years ago, fly the Atlantic?«
We choose to go to the Moon! We choose to go to the Moon...We choose to go to the Moon in this decade and do the other things, not because they are easy, but because they are hard; because that goal will serve to organize and measure the best of our energies and skills, because that challenge is one that we are willing to accept, one we are unwilling to postpone, and one we intend to win, and the others, too.
Der Rest ist bekannt: Das Weltraumrennen mit den Sowjets wurde gewonnen, weil es den Amerikanern vor genau 50 Jahren gelang, als erste Menschen auf dem Mond zu landen.
Im Kino war das wie gezeigt schon lange geschehen. Und Kennedy hatte eigentlich nichts anders getan, als den uralten Menschheitstraum und Mythos mit neuem Leben zu füllen.
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Und dann kam es 1969, vor genau 50 Jahren zur tatsächlichen Landung auf dem Mond. Wer alt genug war, erinnert sich an krisselige grobkörnige Schwarzweißbilder im Fernsehen.
Wer 1989 alt genug war, erinnert sich auch ans Münchner Filmfest. Im Carl-Orff-Saal lief da der Dokumentarfilm »For All Mankind«, der mit Originalaufnahmen im Großformat glänzt. Und mit dabei zur Vorführung war Edwin E. Aldrin, der zweite Mensch auf dem Mond. Er erzählte zum 20-jährigen Jubiläum von der
Rückkehr zum Mond, die eines Tages folgen müsste.
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Den echten Mond hatte man aber schon vorher auf der großen Kinoleinwand in perfekten Bilder sehen können – in Farbe, zeigte sie Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum. Kubrick arbeitete mit der NASA zusammen. Dieses Meisterwerk enthält eine ambivalente Botschaft: In seinen prachtvollen Bildern zelebriert der Film zum Fanfarenpathos von Richard Strauß' »Also sprach
Zarathustra« die Faszination der Weltraumfahrt, die Leere des Alls in ihrer seltsam aseptischen Schönheit.
Doch dann übernehmen die Maschinen die Macht, und Kubricks Film driftet in eine Technik-Katastrophe, die vom Regisseur noch dazu eine ironische Kommentarnote erhält: Nun ist es Johann Strauß zu dessen Walzerklängen die Raumschiffe durchs All trudeln.
Zuvor aber lässt Kubrick uns staunen, und gibt eine Ahnung von dem eigentlich wahnsinnigen Schritt aus der Erde über
sie hinaus, von dem Heiligen dieses Schritts. Eine Ahnung, die uns allen längst verloren gegangen ist.
Nach der Mondlandung überwog bald auch in anderen Filmen der Realismus. Zunächst in Gestalt eines Heldenliedes: The Right Stuff, Der Stoff, aus dem die Helden sind, ein Porträt der Aufbruchsstimmung der
Nachkriegszeit ist zwar typischer Hollywood-Heroismus, aber der Film verbirgt nicht, wie hier Menschen von Behörden und Regierung wortwörtlich verheizt werden im Feuersturm zerberstender Düsenjäger und Raumschiffe – Regisseur Philip Kauffman verklärt allenfalls, dass sie sich verheizen lassen.
Eine andere Mischung aus Desillusionierung und Heldenmut bietet Apollo 13 Ron Howards Drama über jenen berühmten Unglücksflug, der fast in einem Desaster geendet hätte.
Die utopischen Träume der Mondfahrt sind spätestens hier – in der Wirklichkeit wie später im Film – wieder auf der Erde gelandet und im schnöden Realismus.
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Aber damit ist nicht das letzte Wort gesprochen. Denn inzwischen ist die Skepsis selbst antiquiert und zum schalen Klischee geworden. Heute ist der ein Spinner, der der Technik vertraut, und keine Angst vor ihr hat.
Neue utopische Hoffnung hat 2015 der in Hollywood arbeitende Brite Christopher Nolan formuliert – sein Interstellar ist Film über Zeitreisen, schwarze Löcher und eine relativ realistische Zukunft der Menschen im Weltall geworden. Das Zukunftspathos stimmt schon mal: Do not go gentle into that good night, all days you should burn and rave at close of day. Rage, rage, against the dying of the light.