Schirm statt Sonnenbrille |
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Hannelore-Elsner-Preisträgerin Barbara Auer in Vakuum |
Von Ingrid Weidner
Das sonnenverwöhnte Fünf-Seen-Filmfestival erlebte am vergangenen Wochenende Dauerregen und einen wolkenverhangenen Himmel über dem Starnberger See. Die Caféstühle vor dem Kino blieben leer, selbst für ein Eis zwischen den Filmen war es zu kalt. Immerhin hielt der Regen nicht die Besucher davon ab, am Samstagabend in die Schlossberghalle zu strömen, um die Hannelore-Elsner-Preisträgerin Barbara Auer auf der Bühne zu erleben.
Matthias Helwig lobte den mit 5000,- Euro
dotierten Preis in diesem Jahr erstmals aus und überreichte ihn an Barbara Auer für deren vielschichtiges Werk. Dass der Festival-Leiter für beide Schauspielerinnen schwärmt, war nicht zu übersehen. Auch Laudator Christian Petzold klang ebenso überschwenglich. Der Regisseur konnte zwar nicht selbst nach Starnberg reisen, schickte aber eine Videobotschaft. Auch wenn Petzolds Räume immer perfekt inszeniert sind, improvisierte er hier. Im Hintergrund waren viele Bücherregale seines
Berliner Arbeitszimmers zu sehen, Petzold saß leger im T-Shirt vor der Kamera, vermutlich der eines Laptops, der Blick leicht nach unten geneigt und schwärmte eloquent von Barbara Auer. Bei den Zuschauern im Saal entstand der Eindruck, zwar auf amüsante Weise aber doch von oben herab belehrt zu werden.
Spannend war aber trotzdem, was Christian Petzold über Barbara Auer erzählte, mit der er zuletzt in Transit zusammengearbeitet hatte. Auer zähle zu den reflektierten Schauspielerinnen, die dadurch eine Leichtigkeit im Spiel erreichten und mit Nachdenken und Reflexion einen besonderen Zugang zum Stoff finde. Die überschwenglich Gelobte erzählte ihrerseits, was sie an ihrem Beruf fasziniert. Mit Hannelore Elsner habe sie zwar nie gemeinsam gearbeitet, doch die beiden Schauspielerinnen kannten und schätzen sich. Mancher Fan der
beiden habe sie wohl auch verwechselt, wie Barbara Auer erzählt, denn ein Autogrammwunsch an sie war an „Hannelore Auer“ adressiert.
Auch der Mut zum Risiko verbinde beide. Während Elsner mit Die Unberührbare im Jahr 2000 ihrer Karriere eine neue Wendung gab und viel riskierte, reizte auch Auer ein besonderes Projekt, nämlich Vakuum von Christine Repond, das in der Schlossberghalle zu sehen war. Der 2017 fertiggestellte Film zeigt Barbara Auer in einer herausfordernden Rolle. Sie spielt gemeinsam mit Robert Hunger-Bühler ein Ehepaar um die 60, wohlsituiert, erwachsene Kinder, Enkel und scheinbar immer noch glücklich miteinander. Bis die von Barbara Auer gespielte Figur Meredith bei einem Blutspendetermin erfährt, dass sie HIV-positiv ist. Die Wucht dieser
Diagnose und die Gewissheit, dass ihr Mann sie infiziert hat, zeigen ganz unterschiedliche Facetten vom Können der Schauspielerin. Im anschließenden Filmgespräch mit der Schweizer Regisseurin Christine Repond und dem Filmpartner Robert Hunger-Bühler erzählt sie, dass es sieben Jahre von der Idee bis zur Fertigstellung des Films dauerte. Es sei sehr schwer gewesen, das Projekt umzusetzen, finanziert wurde es schließlich in der Schweiz.
Einblicke in ihre Arbeitsweise gewährten auch Caroline Link, Tom Tykwer und Szenenbildner Uli Hanisch am Sonntag in den Räumen der Politischen Akademie in Tutzing. Die drei Profis spielten sich gekonnt die Bälle zu, Moderatorin Sylvia Griss vom BR saß trotz penibler Vorbereitung (sie hatte sich alle Filme der Diskutierenden vorher nochmals angesehen) mitunter staunend dazwischen. Das Thema des Nachmittags, »Verfilmte Räume«, hinderte die drei nicht daran, sich viele Freiheiten und Gedankensprünge zu erlauben. Dass Räume im Film ganze Welten erschaffen und zugespitzt werden müssen, zählt zur Magie eines Kinos. Dass es dabei aber schon mal passiere, darüber die Figuren zu vergessen, räumte Tom Tykwer ein. Oscar-Preisträgerin Caroline Link geht dagegen meistens von den Protagonisten aus, deren Gefühle, Not oder Schmerz, sollten die Zuschauer erspüren können. »Figuren sind das einzige, was mich interessiert«, sagt sie. Der Junge muss an die frische Luft, der bisher 3,7 Millionen Zuschauer ins Kino lockte, war für sie auch eine Reise in die eigene Kindheit. Genauso wie Hape Kerkeling, dessen Kindheit der Film zeigt, ist Link 1964 geboren. Auch wenn die 55-Jährige nicht im Ruhrgebiet aufwuchs, gibt es Gemeinsamkeiten. »Ich beginne jetzt erst zu verstehen, wie nah wir an der Kriegszeit waren. Das war mir nicht mehr so bewusst.«
Doch die erfolgreiche Regisseurin verrät, dass sie ihre eigenen Grundsätze schon mal über Bord geworfen habe und sich von der Landschaft Marokkos begeistern ließ. Exit Marrakech sei das einzige Projekt gewesen, bei dem erst der Ort feststand und dann die Geschichte dazu entwickelt wurde. Ganz zufrieden ist Link mit dem Film nicht. »Alle meine Filme sind wie meine Babys.« Dieses Kind sei aber nicht besonders gelungen, es hinke etwas, meint sie.
Auch der ein Jahr später in Wuppertal geborene Tom Tykwer kennt die Enge der 1970er Jahre. Für das Projekt Der Krieger und die Kaiserin kehrte er nach 20 Jahren wieder an seinen Geburtsort zurück, um dort einen Film zu drehen. »Alles wirkte so klein«, erinnert sich Tykwer, auch weil die Perspektive eines Kindes eine andere ist als die eines Erwachsenen. »Es war eine verklemmte Zeit, die Leute waren
angespannt«, die Stimmung sei wie zwischen Hippie und Kleinbürger osziliert.
Szenenbildner Uli Hanisch, 1967 in Nürnberg geboren und als Kind mit den Eltern ins Ruhrgebiet umgezogen, erschafft Räume für das Kino. Mit Tom Tykwer verbindet ihn eine langjährige Zusammenarbeit; auch für die Serie Babylon Berlin inszenierte Hanisch das Lebensgefühl des Berlins
der 1930er Jahre. »Ich kann mit dem Begriff Realität nichts anfangen«, sagt Hanisch. Seine Aufgabe sei es, den Figuren und ihrer Welt nahe zu kommen. Dass das ganz andere Bilder sein können, als sie sich beispielsweise ein Autor wie Patrick Süskind (Das Parfum) ausdenkt, müsse kein Widerspruch sein.
Auch weil Link, Tykwer und Hanisch aus der gleichen Generation kommen, sich gegenseitig schätzen, beherrschen sie trotzdem die Kunst, nett verpackte Provokationen einzustreuen. »Ich bewundere Tom für seinen Mut für große Projekte«, sagt Link. Sie habe den Eindruck, dass es bei ihm »Bang und Bum« machen müsse. Tykwer schaut Link etwas irritiert an und wiegelt ab. Schließlich rechnet er vor, dass auch ein Mammutprojekt wie Babylon Berlin nicht im Geld schwimme, sondern solide finanziert sei. Auch für Tykwer sind Drehbücher und Figuren entscheidend. Doch der Regisseur erzählt, dass er inzwischen ungeduldiger sei. »Ich haue den Leuten Drehbücher auch um die Ohren«, zumindest im übertragenen Sinne, gibt er zu. Manchmal habe er den Eindruck, die Autoren wollten ihre Eltern beeindrucken, 99 Prozent von ihnen litten unter einer Über-Ich-Schwäche. »Es geht um nix, das tut niemandem weh«, kritisiert Tykwer. »Ich renne auch nach drei Minuten aus dem Kino, wenn ich in so einen Film geraten bin«, verrät er. Tykwer erzählt, er könne sich auch einen Film vorstellen, bei dem es nur um eine Maus und eine Katze in einem Raum gehe. Das geht dann aber Uli Hanisch zu weit, der für diesen Film nicht die Ausstattung übernehmen möchte, wie er dem Regisseur scherzend erklärt.
Während der launigen Diskussion, die das Publikum wie ein guter Film amüsiert und inspiriert hat, kommen die Diskutanten noch auf ein Thema zu sprechen, das sie umtreibt. Denn mit Streaming-Angeboten und Mediatheken der Fernsehsender veränderten sich nicht nur die Sehgewohnheiten, sondern auch der gesellschaftliche Diskurs. Das Fernsehen in seiner herkömmlichen Form verschwinde, höchstens bei großen Sportereignissen sitzen viele Menschen gleichzeitig vor einem Bildschirm. Zwar bieten die neuen Freiheiten viele Chancen, doch wie gelingt es, sich über wichtige Themen auszutauschen? Ob soziale Medien sich zum neuen Resonanzraum für Debatten eignen, blieb offen. Es wäre schade, wenn sich das Publikum nur noch auf kleinen Bildschirmen Filme ansehe, so Caroline Link. Sie hofft, dass das Kino ein Raum für große Bilder bleibe. »Kino ist Detail und Kino ist ein Raum, um große Bilder zu genießen«, sagt die Regisseurin.
Großes Kino können die Besucher des fsff noch am Donnerstag, dem 12. September, mit einem vielfältigen Programm genießen. Der Wetterbericht verspricht Sonnenschein und milde, herbstliche Temperaturen, so dass Filmfans auf jeden Fall die Sonnenbrille einpacken sollten, wenn sie nach Starnberg, Gauting, Seefeld oder Weßling ins Kino reisen und vorher noch eine Tasse Kaffee am See genießen wollen.
Das aktuelle Programm finden Interessierte unter www.fsff.de.