26.09.2019

Aller guten Dinge sind drei

IN FULL BLOOM
Große Intensität: »In Full Bloom«

Auf dem 26. Internationalen Filmfest Oldenburg fielen vor allem drei Filme auf und wurden dementsprechend prämiert

Von Eckhard Haschen

Gegründet zur Hochzeit des ameri­ka­ni­schen Inde­pen­dent­kinos in den neunziger Jahren, hat sich Oldenburg unter der konse­quenten Leitung seines Mitbe­grün­ders Torsten Neumann in der inter­na­tio­nalen Bran­chen­presse den Ruf des »European Sundance« erar­beitet. Zu Recht, denn in einer Zeit, in der das Arthouse-Kino weltweit immer kalku­lierter und forma­li­sierter wird, sind hier der Spirit und die Krea­ti­vität des immer weniger auf einen gemein­samen Nenner zu brin­genden unab­hän­gigen Film­schaf­fens weiterhin spürbar. Dies spiegelt sich nicht zuletzt auch in der beson­deren, fast schon fami­liären Atmo­s­phäre wider, in der es viel selbst­ver­s­tänd­li­cher zu inter­es­santen Begeg­nungen kommt, als auf Groß­stadt­fes­ti­vals wie München oder Hamburg. Im Folgenden werden die drei in den verschie­denen Kate­go­rien des German Inde­pen­dence Awards ausge­zeich­neten Filme exem­pla­risch bespro­chen.

Rob Lambert: CUCK

»Wer sich zum Wurm macht, kann nachher nicht klagen, wenn er mit Füßen getreten wird.« Dieses Kant-Zitat ist Rob Lamberts beklem­mender Charak­ter­studie als Motto voran­ge­stellt. Ohne dass er es darauf angelegt hätte, scheint es mehr und mehr zur Lebens­phi­lo­so­phie von deren Prot­ago­nisten Ronnie (Zachary Ray Sherman) zu werden. Nicht, dass der etwas schwabb­lige Endzwan­ziger sich nicht bemühen würde, ein nütz­li­ches Mitglied der weißen ameri­ka­ni­schen Mittel­stands­ge­sell­schaft zu werden: Doch was er auch versucht – Aufnah­me­prü­fung beim Militär, ein Date mit einer hübschen, ehrgei­zigen College-Absol­ventin –, es will ihm einfach nichts gelingen. Viel­leicht liegt es daran, dass er noch bei seiner besitz­ergrei­fenden Mutter (Sally Kirkland) lebt, viel­leicht auch einfach nur an seiner Persön­lich­keits­struktur. Jeden­falls beginnt er bald, in Amateur-Porno­filmen den Cuckold, den betro­genen Ehemann zu spielen. Und er startet einen rechts­ex­tremen Video-Blog auf Youtube. Als er jedoch auch in diesen Milieus abgelehnt wird, greift er zu Waffe… Mag sein, dass Ronnies Entwick­lung in der zweiten Hälfte des Films an Glaub­wür­dig­keit verliert. Doch das Gefühl von Frus­tra­tion, das sich beim Sehen einstellt, hat wahr­schein­lich mehr mit der Genau­ig­keit zu tun, mit der Lambert die Befind­lich­keit des Trump-Amerikas einge­fangen hat. Und sicher­lich auch damit, dass der Film keine einfachen Antworten auf über die letzten Jahr­zehnte hinweg gewach­sene gesell­schaft­liche Probleme bereit­hält.

Grace Glowicki: TITO

Bei TITO, der ersten Regie-und Dreh­buch­ar­beit der kana­di­schen Schau­spie­lerin und Regis­seurin Grace Glowicki, braucht man als Zuschauer ein wenig, um einen Zugang zu finden. Das ist nur folge­richtig, denn auch der von Glowicki selbst gespielte Titelheld findet keinen rechten Zugang zur Welt um ihn herum. Mit seinen unsi­cheren Bewe­gungen, den langen schwarzen Haaren und der roten Notfall­pfeife um den Hals scheint er ganz in seiner eigenen Welt gefangen zu sein. Dies ändert sich erst, als sein Nachbar (Ben Petrie) buchs­täb­lich in seine Welt einbricht. Unbe­ein­druckt von Titos extremer Zurück­hal­tung versucht er, den jungen Mann ins »normale Leben« zurück­zu­holen. Wie einst Roman Polanski in Ekel zeichnet Glowicki hier das Porträt eines ganz und gar von seinen Ängsten beherr­schen Menschen, dem es nicht gelingt, diese dauerhaft zu über­winden. Sehr schön und ermu­ti­gend zu sehen ist aber vor allem, mit welcher Konse­quenz hier die Geschlech­ter­grenzen aufge­weicht werden.

Adam VillaSenor, Reza Ghassemi: IN FULL BLOOM

In Full Bloom ist ein Inde­pen­d­ent­film, der aussieht wie von einem großen Studio produ­ziert, und der trotz manch eines Klischees so gar nichts von einem kalku­lierten Produkt ausstrahlt: Ein ameri­ka­ni­scher (Tyler Wood) und ein japa­ni­scher (Yusuke Ogasavara) Boxcham­pion bereiten sich wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg auf einen großen Kampf vor, der nicht nur der Kampf zweier Boxer, sondern auch der zweier Systeme ist: Hier das besiegte, um seine Würde ringende Japan, dort die sieg­reiche, aber erschöpfte ameri­ka­ni­sche Besat­zungs­macht. Anders als in diversen Rocky-Filmen sind Gut und Böse hier nicht klar auszu­ma­chen und werden die vertrauten Muster des Boxer­films weniger gegen den Strich gebürstet, als konse­quent auf die Spitze getrieben und damit unter­laufen. Mag das zuweilen auch ein wenig ener­vie­rend geraten sein, so strahlt es doch eine große Inten­sität aus.