Aller guten Dinge sind drei |
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Große Intensität: »In Full Bloom« |
Von Eckhard Haschen
Gegründet zur Hochzeit des amerikanischen Independentkinos in den neunziger Jahren, hat sich Oldenburg unter der konsequenten Leitung seines Mitbegründers Torsten Neumann in der internationalen Branchenpresse den Ruf des »European Sundance« erarbeitet. Zu Recht, denn in einer Zeit, in der das Arthouse-Kino weltweit immer kalkulierter und formalisierter wird, sind hier der Spirit und die Kreativität des immer weniger auf einen gemeinsamen Nenner zu bringenden unabhängigen Filmschaffens weiterhin spürbar. Dies spiegelt sich nicht zuletzt auch in der besonderen, fast schon familiären Atmosphäre wider, in der es viel selbstverständlicher zu interessanten Begegnungen kommt, als auf Großstadtfestivals wie München oder Hamburg. Im Folgenden werden die drei in den verschiedenen Kategorien des German Independence Awards ausgezeichneten Filme exemplarisch besprochen.
»Wer sich zum Wurm macht, kann nachher nicht klagen, wenn er mit Füßen getreten wird.« Dieses Kant-Zitat ist Rob Lamberts beklemmender Charakterstudie als Motto vorangestellt. Ohne dass er es darauf angelegt hätte, scheint es mehr und mehr zur Lebensphilosophie von deren Protagonisten Ronnie (Zachary Ray Sherman) zu werden. Nicht, dass der etwas schwabblige Endzwanziger sich nicht bemühen würde, ein nützliches Mitglied der weißen amerikanischen Mittelstandsgesellschaft zu werden: Doch was er auch versucht – Aufnahmeprüfung beim Militär, ein Date mit einer hübschen, ehrgeizigen College-Absolventin –, es will ihm einfach nichts gelingen. Vielleicht liegt es daran, dass er noch bei seiner besitzergreifenden Mutter (Sally Kirkland) lebt, vielleicht auch einfach nur an seiner Persönlichkeitsstruktur. Jedenfalls beginnt er bald, in Amateur-Pornofilmen den Cuckold, den betrogenen Ehemann zu spielen. Und er startet einen rechtsextremen Video-Blog auf Youtube. Als er jedoch auch in diesen Milieus abgelehnt wird, greift er zu Waffe… Mag sein, dass Ronnies Entwicklung in der zweiten Hälfte des Films an Glaubwürdigkeit verliert. Doch das Gefühl von Frustration, das sich beim Sehen einstellt, hat wahrscheinlich mehr mit der Genauigkeit zu tun, mit der Lambert die Befindlichkeit des Trump-Amerikas eingefangen hat. Und sicherlich auch damit, dass der Film keine einfachen Antworten auf über die letzten Jahrzehnte hinweg gewachsene gesellschaftliche Probleme bereithält.
Bei TITO, der ersten Regie-und Drehbucharbeit der kanadischen Schauspielerin und Regisseurin Grace Glowicki, braucht man als Zuschauer ein wenig, um einen Zugang zu finden. Das ist nur folgerichtig, denn auch der von Glowicki selbst gespielte Titelheld findet keinen rechten Zugang zur Welt um ihn herum. Mit seinen unsicheren Bewegungen, den langen schwarzen Haaren und der roten Notfallpfeife um den Hals scheint er ganz in seiner eigenen Welt gefangen zu sein. Dies ändert sich erst, als sein Nachbar (Ben Petrie) buchstäblich in seine Welt einbricht. Unbeeindruckt von Titos extremer Zurückhaltung versucht er, den jungen Mann ins »normale Leben« zurückzuholen. Wie einst Roman Polanski in Ekel zeichnet Glowicki hier das Porträt eines ganz und gar von seinen Ängsten beherrschen Menschen, dem es nicht gelingt, diese dauerhaft zu überwinden. Sehr schön und ermutigend zu sehen ist aber vor allem, mit welcher Konsequenz hier die Geschlechtergrenzen aufgeweicht werden.
In Full Bloom ist ein Independentfilm, der aussieht wie von einem großen Studio produziert, und der trotz manch eines Klischees so gar nichts von einem kalkulierten Produkt ausstrahlt: Ein amerikanischer (Tyler Wood) und ein japanischer (Yusuke Ogasavara) Boxchampion bereiten sich wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg auf einen großen Kampf vor, der nicht nur der Kampf zweier Boxer, sondern auch der zweier Systeme ist: Hier das besiegte, um seine Würde ringende Japan, dort die siegreiche, aber erschöpfte amerikanische Besatzungsmacht. Anders als in diversen Rocky-Filmen sind Gut und Böse hier nicht klar auszumachen und werden die vertrauten Muster des Boxerfilms weniger gegen den Strich gebürstet, als konsequent auf die Spitze getrieben und damit unterlaufen. Mag das zuweilen auch ein wenig enervierend geraten sein, so strahlt es doch eine große Intensität aus.