03.10.2019

Anders als es scheint

Troppa Grazia
Parabel über die menschliche Profitgier und den Glauben an eine bessere Welt: Troppa grazia

Zum 22. Mal tourt das Filmfestival CINEMA! ITALIA! durch Deutschland, das aktuelle Programm ist in 41 Kinos in 37 Städten zu sehen. In München laufen die sechs ausgewählten Produktionen von 3. bis 9. Oktober 2019 im Theatiner Filmtheater.

Von Elke Eckert

Gemeinsam haben die dies­jäh­rigen Filme vor allem ihren Ideen­reichtum und die fanta­sie­volle Heran­ge­hens­weise, mit der sie Geschichten aus dem Alltag ganz normaler Menschen erzählen. Sie tun das oft mit viel Humor, manchmal aber auch mit der nötigen Ernst­haf­tig­keit.

Das Leben ist nicht leicht, wenn man 17 ist und eine Mutter hat, die in einer Traumwelt lebt. Und dazu einen Vater, der nicht mehr zur Verfügung steht. Antonios einziger Licht­blick sind die Stunden auf dem Fußball­platz, in denen er gemeinsam mit seinen Freunden der grauen Realität entfliehen kann. Dort wird auch ein Talent­scout auf den Jungen aufmerksam, und plötzlich scheint sich alles zum Besseren zu wenden… Ciro D’Emilios schnör­kel­lose, aus der Sicht des jugend­li­chen Haupt­dar­stel­lers erzählte Geschichte erinnert in ihrer Kompro­miss­lo­sig­keit an die Sozi­al­dramen von Ken Loach. Aus heiterem Himmel feierte seine Welt­pre­miere bei den Film­fest­spielen von Venedig 2018 und wurde für fünf italie­ni­sche Film­preise nominiert (Dienstag, 8. Oktober, 18.15 Uhr)

Eine ebenfalls sehr spezielle Beziehung zu seiner Mutter hat Alle­s­andro. Aller­dings ist der nicht mehr 17, sondern 50, weshalb es für ihn höchste Zeit wäre, zuhause auszu­ziehen und auf eigenen Beinen zu stehen. Und genau das macht Alle­s­andro dann auch: Als er nach einem uner­freu­li­chen Zwischen­fall in der Klinik landet und dort auf die junge Francesca trifft, ergreift er die Chance, nicht nur sein Leben, sondern auch das seiner Zufalls­be­kannt­schaft radikal zu ändern. Bonifacio Angius’ Roadmovie Schütze mich auf allen Wegen begleitet die beiden unglei­chen Außen­seiter, die auf einen Neuanfang hoffen, aber vor allem vor der verlo­genen Moral ihrer Mitmen­schen flüchten, auf ihrem Trip quer durch Sardinien. Alle­s­andro Gazale erhielt für seine Haupt­rolle beim Film­fes­tival von Bari den Preis als bester Darsteller. (Mittwoch, 9. Oktober, 18.15 Uhr)

Zu viele Wunder (Troppa grazia) erwartet auch Lucia nicht mehr. Die Land­ver­mes­serin lebt von ihrem Mann getrennt, ihre Tochter steckt mitten in der Pubertät. Zum Glück gibt es wenigs­tens beruflich einen Hoff­nungs­schimmer, weil es Lucia gelingt, einen lukra­tiven Auftrag an Land zu ziehen. Doch dann bekommt sie bei ihren Vermes­sungs­ar­beiten plötzlich über­ra­schend Besuch – von der Jungfrau Maria. Die gar nicht sanfte Gottes­mutter bringt Lucia mit knall­harten Forde­rungen in eine überaus missliche Lage. Gianni Zanasis Parabel über die mensch­liche Profit­gier und den Glauben an eine bessere Welt wurde 2018 in Cannes vom Verband „Europa Cinema“ als bester europäi­scher Film des Jahres ausge­zeichnet und ist vor allem wegen Alba Rohr­wa­cher als Lucia sehens­wert. (Freitag, 4. Oktober, 18.15 Uhr)

Auch Giovannas Alltag ist span­nender und geheim­nis­voller, als es auf den ersten Blick aussieht. Die allein­er­zie­hende Mutter führt nämlich ein Doppel­leben und ist als Geheim­agentin zwischen Moskau und Marra­kesch unterwegs. Bis sie merkt, dass ihre Fähig­keiten auch direkt vor ihrer eigenen Haustür gefragt sind, damit das Zusam­men­leben im italie­ni­schen Alltag wieder etwas fried­li­cher vonstat­ten­geht… Riccardo Milanis kriti­scher Blick auf sein Heimat­land und die poin­tierte Perfor­mance seiner wand­lungs­fähigen Haupt­dar­stel­lerin machen Sind denn alle durch­ge­dreht? zu einer gelun­genen Gesell­schafts­sa­tire mit viel Witz. (Samstag, 5. Oktober, und Montag, 7. Oktober, jeweils um 18.15 Uhr)

Mehr als einen doppelten Boden hat Roberto Andòs Mystery-Thriller Eine Geschichte ohne Namen. Er handelt unter anderem von einer Sekre­tärin, die in einer Produk­ti­ons­firma arbeitet und Dreh­bücher für ihren Geliebten, einen berühmten Filmautor, schreibt. Und von einem aus einem Gebets­haus in Palermo geraubten Gemälde, über das seit vielen Jahren die wildesten Geschichten kursieren. Roberto Andò, der aus der sizi­lia­ni­schen Haupt­stadt stammt, verknüpft geschickt die wahre Bege­ben­heit des spek­ta­kulären Dieb­stahls mit ähnlich unglaub­li­chen, fiktio­nalen Hand­lungs­strängen und schafft so ein tragi­ko­mi­sches Gesamt­kunst­werk. (Donnerstag, 3. Oktober,18.15 Uhr und Sonntag, 6. Oktober, 13.30 Uhr)

Ein halbes Jahr­hun­dert hat Vittorio Taviani gemeinsam mit seinem Bruder Paolo italie­ni­sche Film­ge­schichte geschrieben und das europäi­sche Autoren­kino mitge­prägt. Im April 2018 ist er mit 88 Jahren in Rom gestorben. Die letzte gemein­same Arbeit der beiden Brüder, Eine private Ange­le­gen­heit, basiert auf dem gleich­na­migen Roman von Beppe Fenoglio von 1963 und erzählt eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg. Es geht um zwei Freunde, die dieselbe Frau lieben, und den Wider­stand im Faschismus. Vittorio und Paolo Taviani haben die letzten Kriegs­jahre als junge Männer erlebt und sie immer wieder zum Thema ihrer Filme gemacht, auch um vor rechten Popu­listen zu warnen, die nicht nur in ihrem Heimat­land zurzeit erneut an Einfluss gewinnen. (Donnerstag, 3. Oktober,13.30 Uhr und Sonntag, 6. Oktober, 18.15 Uhr)

Alle Filme des Festivals werden im italie­ni­schen Original mit deutschen Unter­ti­teln gezeigt.