Anders als es scheint |
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Parabel über die menschliche Profitgier und den Glauben an eine bessere Welt: Troppa grazia |
Von Elke Eckert
Gemeinsam haben die diesjährigen Filme vor allem ihren Ideenreichtum und die fantasievolle Herangehensweise, mit der sie Geschichten aus dem Alltag ganz normaler Menschen erzählen. Sie tun das oft mit viel Humor, manchmal aber auch mit der nötigen Ernsthaftigkeit.
Das Leben ist nicht leicht, wenn man 17 ist und eine Mutter hat, die in einer Traumwelt lebt. Und dazu einen Vater, der nicht mehr zur Verfügung steht. Antonios einziger Lichtblick sind die Stunden auf dem Fußballplatz, in denen er gemeinsam mit seinen Freunden der grauen Realität entfliehen kann. Dort wird auch ein Talentscout auf den Jungen aufmerksam, und plötzlich scheint sich alles zum Besseren zu wenden… Ciro D’Emilios schnörkellose, aus der Sicht des jugendlichen Hauptdarstellers erzählte Geschichte erinnert in ihrer Kompromisslosigkeit an die Sozialdramen von Ken Loach. Aus heiterem Himmel feierte seine Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Venedig 2018 und wurde für fünf italienische Filmpreise nominiert (Dienstag, 8. Oktober, 18.15 Uhr)
Eine ebenfalls sehr spezielle Beziehung zu seiner Mutter hat Allesandro. Allerdings ist der nicht mehr 17, sondern 50, weshalb es für ihn höchste Zeit wäre, zuhause auszuziehen und auf eigenen Beinen zu stehen. Und genau das macht Allesandro dann auch: Als er nach einem unerfreulichen Zwischenfall in der Klinik landet und dort auf die junge Francesca trifft, ergreift er die Chance, nicht nur sein Leben, sondern auch das seiner Zufallsbekanntschaft radikal zu ändern. Bonifacio Angius’ Roadmovie Schütze mich auf allen Wegen begleitet die beiden ungleichen Außenseiter, die auf einen Neuanfang hoffen, aber vor allem vor der verlogenen Moral ihrer Mitmenschen flüchten, auf ihrem Trip quer durch Sardinien. Allesandro Gazale erhielt für seine Hauptrolle beim Filmfestival von Bari den Preis als bester Darsteller. (Mittwoch, 9. Oktober, 18.15 Uhr)
Zu viele Wunder (Troppa grazia) erwartet auch Lucia nicht mehr. Die Landvermesserin lebt von ihrem Mann getrennt, ihre Tochter steckt mitten in der Pubertät. Zum Glück gibt es wenigstens beruflich einen Hoffnungsschimmer, weil es Lucia gelingt, einen lukrativen Auftrag an Land zu ziehen. Doch dann bekommt sie bei ihren Vermessungsarbeiten plötzlich überraschend Besuch – von der Jungfrau Maria. Die gar nicht sanfte Gottesmutter bringt Lucia mit knallharten Forderungen in eine überaus missliche Lage. Gianni Zanasis Parabel über die menschliche Profitgier und den Glauben an eine bessere Welt wurde 2018 in Cannes vom Verband „Europa Cinema“ als bester europäischer Film des Jahres ausgezeichnet und ist vor allem wegen Alba Rohrwacher als Lucia sehenswert. (Freitag, 4. Oktober, 18.15 Uhr)
Auch Giovannas Alltag ist spannender und geheimnisvoller, als es auf den ersten Blick aussieht. Die alleinerziehende Mutter führt nämlich ein Doppelleben und ist als Geheimagentin zwischen Moskau und Marrakesch unterwegs. Bis sie merkt, dass ihre Fähigkeiten auch direkt vor ihrer eigenen Haustür gefragt sind, damit das Zusammenleben im italienischen Alltag wieder etwas friedlicher vonstattengeht… Riccardo Milanis kritischer Blick auf sein Heimatland und die pointierte Performance seiner wandlungsfähigen Hauptdarstellerin machen Sind denn alle durchgedreht? zu einer gelungenen Gesellschaftssatire mit viel Witz. (Samstag, 5. Oktober, und Montag, 7. Oktober, jeweils um 18.15 Uhr)
Mehr als einen doppelten Boden hat Roberto Andòs Mystery-Thriller Eine Geschichte ohne Namen. Er handelt unter anderem von einer Sekretärin, die in einer Produktionsfirma arbeitet und Drehbücher für ihren Geliebten, einen berühmten Filmautor, schreibt. Und von einem aus einem Gebetshaus in Palermo geraubten Gemälde, über das seit vielen Jahren die wildesten Geschichten kursieren. Roberto Andò, der aus der sizilianischen Hauptstadt stammt, verknüpft geschickt die wahre Begebenheit des spektakulären Diebstahls mit ähnlich unglaublichen, fiktionalen Handlungssträngen und schafft so ein tragikomisches Gesamtkunstwerk. (Donnerstag, 3. Oktober,18.15 Uhr und Sonntag, 6. Oktober, 13.30 Uhr)
Ein halbes Jahrhundert hat Vittorio Taviani gemeinsam mit seinem Bruder Paolo italienische Filmgeschichte geschrieben und das europäische Autorenkino mitgeprägt. Im April 2018 ist er mit 88 Jahren in Rom gestorben. Die letzte gemeinsame Arbeit der beiden Brüder, Eine private Angelegenheit, basiert auf dem gleichnamigen Roman von Beppe Fenoglio von 1963 und erzählt eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg. Es geht um zwei Freunde, die dieselbe Frau lieben, und den Widerstand im Faschismus. Vittorio und Paolo Taviani haben die letzten Kriegsjahre als junge Männer erlebt und sie immer wieder zum Thema ihrer Filme gemacht, auch um vor rechten Populisten zu warnen, die nicht nur in ihrem Heimatland zurzeit erneut an Einfluss gewinnen. (Donnerstag, 3. Oktober,13.30 Uhr und Sonntag, 6. Oktober, 18.15 Uhr)
Alle Filme des Festivals werden im italienischen Original mit deutschen Untertiteln gezeigt.