Riot Queers |
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Konzentriertes Cross-Gender-Experiment: Anna Odells X&Y |
Von Hanni Beckmann
Nicht nur zum Mond, sondern sogar zu den Sternen: dahin sollte es für die queere Community anno 1969 gehen, nachdem es in New York zu heftigen Aufständen gekommen war: in der Christopher Street, an der Ecke der 7. Avenue im Greenwich Village, lag das Stonewall Inn, ein beliebter Treffpunkt der Homo- und Transsexuellen. Dort kam es Ende Juni zu einer Razzia durch die Polizei, bei der „Knüppel aus dem Sack“ gespielt wurde. Das war damals schon fast Alltag. Zum ersten Mal aber widersetzten sich die Anwesenden der Gewalt und den Verhaftungen. »Riot« war los. Das war die Geburtsstunde der weltweiten queeren Bewegung, die im Laufe der Jahrzehnte immer mehr ausgeweitet wurde und heute unter der regenbogenfarbenen Buchstabenansammlung »LGBTQI+« firmiert.
Das Münchner Queerfilmfestival nimmt den »Riot« zum starken Anlass ihres Programms. »Für uns bedeutet das den Aufruf zum politischen Denken«, sagt das Team um Silvia Häutle, Vorsitzende des Vereins Queer e.V., der im Münchner „Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum“ SUB beheimatet ist. Mit ihrem Programm aus queeren Höhepunkten des vergangenen Jahres liefern sie der Münchner Szene die besten Filme zum Thema.
Ein erstes Highlight ist am heutigen Donnerstag mit Xavier Dolans Matthias & Maxime zu sehen. Der (muss man das dazusagen?) schwule kanadische Regisseur galt lange als Wunderkind poppig überhöhter Werke, jetzt behauptet er sich in zunehmend reifem Alter als Autor intimer Erzählungen. Diesmal steht ein Kuss am Beginn großer Lebensveränderungen, zarte Bande werden geknüpft, alte Fahrwasser verlassen.
Die Schwedin Anna Odell macht am Freitag weiter mit einer Genderkomödie, die sie passenderweise mit X&Y betitelt hat. Eine Künstlerin besetzt einen berühmten männlichen Schauspieler, um sich selbst zu spielen. Herausgekommen ist ein konzentriertes Cross-Gender-Experiment, das sich klug mit Verkleidungen und Körperkonstruktionen befasst.
Mit vier Veranstaltungen wartet das Queerfilmfestival mit einem Saturday-Peak auf, bei dem sowohl gearbeitet als auch gefeiert wird. Der »Beyond Color Workshop« um 14:30 Uhr nimmt sich des sensiblen Themas des Rassismus in der LGBTIQ+ Community an, Betroffene berichten von ihren Erfahrungen. Zu mitternächtlicher Stunde wird dann im Folks!-Club unter dem Motto »What the Hell is Queer?« hemmungslos gefeiert. Zwei lateinamerikanische Filme zeigen, dass der Kontinent besonders tolle Werke zum Thema liefert. Der mexikanische History Lessons von Marcelino Islas Hernández zeichnet das Porträt einer Sechzigjährigen mit Krebsdiagnose, die against all odds den Mut fasst, ihr Leben nochmal neu aufzurollen, auch sexuell. Albertina Carris Die feurigen Schwestern über eine polyamore Liebesbeziehung in Argentinien ist auch ein überaus sinnliches Roadmovie, dessen Ziel am Horizont die Befreiung aus dem Patriachat ist.
Für die Liebe entflammen: Titelgebende Flammen gibt es dann noch einmal am Sonntag in Céline Ciammas berückendem Film Porträt einer jungen Frau in Flammen, der in Cannes mit der Queer Palm ausgezeichnet wurde. Im späten 18. Jahrhundert soll die Pariser Malerin Marianne auf einer Insel an der bretonischen Küste ein Gemälde von Héloïse anfertigen, die gerade aus einer Klosterschule entlassen wurde und bald verheiratet werden soll. Aus Protest gegen diese arrangierte Ehe weigert sich die junge Frau aber, Modell zu sitzen. Das ist »Riot« vor seiner Zeit, und der Beweis, dass das Private auch in der Epoche der Aufklärung politisch war, lange vor 1968 und den Aufständen von Stonewall.
4. QueerFilmFestival
16. bis 20. Oktober 2019, München
Mehr Informationen und alle Filme gibt es hier: https://qffm.de