Aufmarsch der Dinosaurier |
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Das, wonach der Zeitgeist gerade verlangt: Yorgios Lanthimos' The Favourite (Bild: Fox) |
The Favourite – Intrigen und Irrsinn, das war nicht nur schon vorab einer der Favoriten beim diesjährigen Europäischen Filmpreis – es wurde schließlich einer der erfolgreichsten europäischen Filme aller Zeiten – jedenfalls wenn man die Zahl der Preise zum Maßstab nimmt: Gleich achtmal gewann er – vielleicht ein doch etwas übertriebener Preisregen.
Aber der britische Film vom griechischen Regisseur Yorgios Lanthimos spiegelt offenkundig in vieler Hinsicht das, wonach der Zeitgeist gerade verlangt: Der Film ist eine Historiengroteske, also einerseits eine Komödie – und das ist bekanntermaßen in schwierigen Zeiten genau das, wonach das Publikum verlangt: Bloß nichts Anstrengendes, bloß nichts Politisches – auch wenn The Favourite natürlich politisch ist, nur halt weniger offenkundig und viel gefälliger als J'accuse oder Systemsprenger.
Und dann ist es eben ein historischer Film, und etwas aus ferner Vergangenheit, die Querelen am
Hof der Queen Anne vor über 300 Jahren sind doch um einiges konsumierbarer als der Cultural Clash in den französischen Vorstädten in Les Misérables oder der Antisemitismus in Roman Polanskis J'accuse oder als der deutsche Systemsprenger, der sämtliche Sozialbehörden an ihre Schmerzgrenze treibt – auch wenn er gerade damit das Publikum bezaubert.
Diese ganzen Filme sind jeder für sich sehr gut – weitere bekamen entweder nur einzelne Preise, wie das großartige Porträt einer jungen Frau in Flammen von Celine Sciamma, oder allenfalls Nominierungen, wie der französische Film Atlantique oder der russische Beanpole. Andererseits hätte es auch zum Teil noch viel bessere gegeben, die nur zu wenig gefällig sind, um von dieser Akademie berücksichtigt zu werden. Schade!
Auch der deutsche Film ging am Samstag unter. Kein Preis für Systemsprenger, und die wenigen anderen deutschen Filme, die es wert sind, gesehen zu werden, waren erst gar nicht nominiert.
Alles das macht klar: Ein Oscar, der alle künstlerisch besten Autorenfilme des Jahres versammelt, ist der Europäische Filmpreis jedenfalls nicht.
Das, was der Europäische Filmpreis eigentlich leisten müsste – die Vielfalt des Kinos und die Vielfalt Europas abzubilden –, das leistet er schon lange nicht mehr. Falls er es je getan haben sollte.
Eine altbackene Selbstfeier für die Generation 70 plus.
Hat sich der Europäischen Filmpreis deshalb überholt? Keineswegs. Im Gegenteil ist das Betonen der Gemeinsamkeiten, der guten Traditionen und des gemeinsamen kulturellen Fundaments wichtiger denn je in Zeiten von Rechtsextremismus, Krisengefühlen und zunehmendem Kulturpessimismus.
Überholt hat sich allerdings der Charakter dieser Veranstaltung und die derzeitige Gestalt der Institution Europäische Filmakademie.
Wo über Preise per Massenabstimmung entschieden wird, da ist es wie bei der Deutschen Filmakademie, über deren Preise auch jährlich von vielen Seiten her geklagt wird: Es kommt regelmäßig mindestens Uniformes heraus: Entweder es gewinnt der allerkleinste gemeinsame Nenner, oder der eine Favorit der Herzen gewinnt alles.
Und die Veranstaltung selbst bemühte sich am Samstag vor einer Woche zwar mal wieder in bekannter deutscher Tradition um Lockerheit, aber es war vor allem die Mühe, die man dann auf der Bühne sah. Ich schätze die für den Abend und die Moderation verantwortlichen Dietrich und Anna Brüggemann als Filmemacher/Schauspieler/Autoren, aber ich bin nicht sicher, ob ihr größtes Talent im Inszenieren und Moderieren solcher Veranstaltungen liegt – bei dieser diplomatisch formulierten Bemerkung will ich’s mal belassen. Frage ist natürlich auch, ob sie überhaupt machen durften, was sie wollten. Denn die Europäische Filmakademie ist ein Betrieb an dessen Routine, Beratungsresistenz und Selbstgenügsamkeit sich schon manche die Zähne ausgebissen haben.
Als schon früh am Abend dann die Dinosaurier aufmarschierten, wirkte das wie eine unfreiwillige Selbstkommentierung der Akademie, deren Gesicht neben ein paar Funktionären vor allem Filmemacher sind, deren 70. Geburtstag schon eine Weile zurückliegt.
Es hat auch seinen guten Grund, dass sich seit Jahren kein Fernsehsender mehr findet, der so eine Veranstaltung übertragen möchte.
Schließlich ist es auch nicht mehr zeitgemäß, dass der Preis auch nach 32 Jahren jedes zweite Jahr in Berlin veranstaltet wird – einfach weil die Deutschen das meiste Geld geben. Wenn immer wohlfeil von Diversität geredet wird, sollte man die doch erstmal selber praktizieren.
Was der Europäische Filmpreis also braucht: Eine Reform in Form und Inhalt, und vor allem neue Gedanken. Eine Neuerfindung. Oder man lässt es besser bleiben.
Denn eine altbackene Selbstfeier mit vorhersehbaren Preisen für Filme, die schon längst nicht mehr im Kino sind – das braucht niemand.