19.12.2019

Aufmarsch der Dinosaurier

The Favourite
Das, wonach der Zeitgeist gerade verlangt: Yorgios Lanthimos' The Favourite (Bild: Fox)

Warum sich diese Veranstaltung überholt hat – ein später Kommentar zum europäischen Filmpreis

Von Rüdiger Suchsland

The Favourite – Intrigen und Irrsinn, das war nicht nur schon vorab einer der Favoriten beim dies­jäh­rigen Euro­päi­schen Filmpreis – es wurde schließ­lich einer der erfolg­reichsten euro­päi­schen Filme aller Zeiten – jeden­falls wenn man die Zahl der Preise zum Maßstab nimmt: Gleich achtmal gewann er – viel­leicht ein doch etwas über­trie­bener Preis­regen.

Aber der britische Film vom grie­chi­schen Regisseur Yorgios Lanthimos spiegelt offen­kundig in vieler Hinsicht das, wonach der Zeitgeist gerade verlangt: Der Film ist eine Histo­rien­gro­teske, also einer­seits eine Komödie – und das ist bekann­ter­maßen in schwie­rigen Zeiten genau das, wonach das Publikum verlangt: Bloß nichts Anstren­gendes, bloß nichts Poli­ti­sches – auch wenn The Favourite natürlich politisch ist, nur halt weniger offen­kundig und viel gefäl­liger als J'accuse oder System­sprenger.
Und dann ist es eben ein histo­ri­scher Film, und etwas aus ferner Vergan­gen­heit, die Querelen am Hof der Queen Anne vor über 300 Jahren sind doch um einiges konsu­mier­barer als der Cultural Clash in den fran­zö­si­schen Vorstädten in Les Miséra­bles oder der Anti­se­mi­tismus in Roman Polanskis J'accuse oder als der deutsche System­sprenger, der sämtliche Sozi­al­behörden an ihre Schmerz­grenze treibt – auch wenn er gerade damit das Publikum bezaubert.

Diese ganzen Filme sind jeder für sich sehr gut – weitere bekamen entweder nur einzelne Preise, wie das großar­tige Porträt einer jungen Frau in Flammen von Celine Sciamma, oder allen­falls Nomi­nie­rungen, wie der fran­zö­si­sche Film Atlan­tique oder der russische Beanpole. Ande­rer­seits hätte es auch zum Teil noch viel bessere gegeben, die nur zu wenig gefällig sind, um von dieser Akademie berück­sich­tigt zu werden. Schade!

Auch der deutsche Film ging am Samstag unter. Kein Preis für System­sprenger, und die wenigen anderen deutschen Filme, die es wert sind, gesehen zu werden, waren erst gar nicht nominiert.

Alles das macht klar: Ein Oscar, der alle künst­le­risch besten Autoren­filme des Jahres versam­melt, ist der Euro­päi­sche Filmpreis jeden­falls nicht.

Das, was der Euro­päi­sche Filmpreis eigent­lich leisten müsste – die Vielfalt des Kinos und die Vielfalt Europas abzu­bilden –, das leistet er schon lange nicht mehr. Falls er es je getan haben sollte.

Eine altba­ckene Selbst­feier für die Genera­tion 70 plus.

Hat sich der Euro­päi­schen Filmpreis deshalb überholt? Keines­wegs. Im Gegenteil ist das Betonen der Gemein­sam­keiten, der guten Tradi­tionen und des gemein­samen kultu­rellen Funda­ments wichtiger denn je in Zeiten von Rechts­ex­tre­mismus, Krisen­ge­fühlen und zuneh­mendem Kultur­pes­si­mismus.

Überholt hat sich aller­dings der Charakter dieser Veran­stal­tung und die derzei­tige Gestalt der Insti­tu­tion Euro­päi­sche Film­aka­demie.
Wo über Preise per Massen­ab­stim­mung entschieden wird, da ist es wie bei der Deutschen Film­aka­demie, über deren Preise auch jährlich von vielen Seiten her geklagt wird: Es kommt regel­mäßig mindes­tens Uniformes heraus: Entweder es gewinnt der aller­kleinste gemein­same Nenner, oder der eine Favorit der Herzen gewinnt alles.

Und die Veran­stal­tung selbst bemühte sich am Samstag vor einer Woche zwar mal wieder in bekannter deutscher Tradition um Locker­heit, aber es war vor allem die Mühe, die man dann auf der Bühne sah. Ich schätze die für den Abend und die Mode­ra­tion verant­wort­li­chen Dietrich und Anna Brüg­ge­mann als Filme­ma­cher/Schau­spieler/Autoren, aber ich bin nicht sicher, ob ihr größtes Talent im Insze­nieren und Mode­rieren solcher Veran­stal­tungen liegt – bei dieser diplo­ma­tisch formu­lierten Bemerkung will ich’s mal belassen. Frage ist natürlich auch, ob sie überhaupt machen durften, was sie wollten. Denn die Euro­päi­sche Film­aka­demie ist ein Betrieb an dessen Routine, Bera­tungs­re­sis­tenz und Selbst­genüg­sam­keit sich schon manche die Zähne ausge­bissen haben.

Als schon früh am Abend dann die Dino­sau­rier aufmar­schierten, wirkte das wie eine unfrei­wil­lige Selbst­kom­men­tie­rung der Akademie, deren Gesicht neben ein paar Funk­ti­onären vor allem Filme­ma­cher sind, deren 70. Geburtstag schon eine Weile zurück­liegt.

Es hat auch seinen guten Grund, dass sich seit Jahren kein Fern­seh­sender mehr findet, der so eine Veran­stal­tung über­tragen möchte.

Schließ­lich ist es auch nicht mehr zeitgemäß, dass der Preis auch nach 32 Jahren jedes zweite Jahr in Berlin veran­staltet wird – einfach weil die Deutschen das meiste Geld geben. Wenn immer wohlfeil von Diver­sität geredet wird, sollte man die doch erstmal selber prak­ti­zieren.

Was der Euro­päi­sche Filmpreis also braucht: Eine Reform in Form und Inhalt, und vor allem neue Gedanken. Eine Neuer­fin­dung. Oder man lässt es besser bleiben.

Denn eine altba­ckene Selbst­feier mit vorher­seh­baren Preisen für Filme, die schon längst nicht mehr im Kino sind – das braucht niemand.