Renate Linkerhand |
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Nie aufhören und doch immer neu angefangen – Renate Krößner (1945-2020) in Solo Sunny (1980) | ||
(Foto: Axel Timo Purr – DVD Cover) |
Von Axel Timo Purr
»Wir haben gelernt, den Mund zu halten, keine unbequemen Fragen zu stellen, einflußreiche Leute nicht anzugreifen, wir sind ein bißchen unzufrieden, ein bißchen unehrlich, ein bißchen verkrüppelt, aber sonst ist alles in Ordnung.« – Brigitte Reimann, Franziska Linkerhand
Wer die DDR nur aus dem West-Fernsehen oder über die alle Jahre stattfindenden Verwandtenbesuche kannte, die sich nicht nur wegen ihrer abstrusen Grenz- und Meldeformalitäten und des muffig-bizarren Alltags wie Reisen zum Mars ausnahmen, für den war der DEFA-Film Solo Sunny eine Offenbarung. Denn plötzlich, im Jahr 1980, war der »Neue Deutsche Film« auch in der DDR angekommen. Hatten zwei Urgesteine des DDR-Films, Konrad Wolf und Wolfgang Kohlhaase sich ein Herz gefasst und einen Film gemacht, der offen über Identitätsprobleme sprach, die gar nicht mal so DDR-spezifisch waren, sondern in die sich auch im Westen jeder einfühlen konnte. Es war, als ob ein Film die Wiedervereinigung der beiden Deutschlands vorweggenommen hätte. Denn nach Solo Sunny war klar, dass dieser Film – so »Netflix-typisch« er auch einen anderen Kulturraum in seiner exotischen Andersartigkeit beschrieb – dann doch im Kern von Menschen erzählte, die ihr Leben, ihre Identität, ihre Träume und damit auch die gesellschaftliche Ordnung hinterfragen, so wie überall anders auf der Welt und nicht zuletzt auch in der BRD. Dass Solo Sunny dann auch im Westen so erfolgreich war und auf der Berlinale 1980 den FIPRESCI Preis und den Silbernen Bären für seine Hauptdarstellerin erhielt, lag aber nicht nur an der universellen Geschichte um die Schlagersängerin Ingrid »Sunny« Sommer, die unglücklich und nach Erfüllung suchend durch die DDR tingelt, sondern eben auch an der Hauptdarstellerin Renate Krößner, die die Sunny so differenziert wie luzide und bodenständig zugleich verkörperte und einen so widerständigen wie privaten Geist manifestierte, den Brigitte Reimann in ihrem unvollendeten Roman Franziska Linkerhand wenige Jahre zuvor erst heraufbeschworen hatte.
Doch wie viele Geister war auch dieser unberechenbar und nicht mehr aus dem wirklichen Leben zu verbannen. Hatte sich die Karriere der 1945 geborenen Krößner bis dahin über die Staatliche Schauspielschule Berlin, diverse Bühnenstationen und ein sich immer stärker verdichtendes Engagement bei der DEFA sehr geradlinig ausgenommen, brach diese Entwicklung nach Solo Sunny dramatisch ab. Nach einer letzten DEFA-Rolle in Lothar Großmanns EINER VOM RUMMEL (1983) blieben weitere Rollen aus, weil immer deutlicher wurde, dass die Schauspielerin ihren individuellen und nach Selbstbehauptung suchenden Charakter in Solo Sunny nicht nur verkörpert hat, sondern inzwischen auch lebt. Und schließlich 1985 ihrem Kollegen Manfred Krug, mit dem sie noch 1977 in Heiner Carows Bis daß der Tod Euch scheidet gespielt hatte, in den Westen folgt.
Nicht nur im Theater, in größeren Rollen in Basel, am Residenztheater München und in der Berliner Schaubühne, sondern auch beim Film findet Krößner schnell Anschluss. Sie trifft in LIEBLING KREUZBERG wieder auf Manfred Krug, verkörpert für Dominik Graf in dem großartig-düsteren DER SKORPION (1997) die Ehefrau eines Kriminalkommissars, und spielte bis letztes Jahr in Miniserien und Großserien und einschlägigen Formaten wie »Tatort« und »Polizeiruf 110« mit. Und war immer wieder auch auf der großen Leinwand zu sehen: mit ihrem Lebenspartner Bernd Stegemann in Nordkurve (1993), dem dritten Teil von Adolf Winkelmanns Ruhrgebietstrilogie oder in Dany Levys Alles auf Zucker! (2004).
So wie »Solo Sunny« hat auch Renate Krößner nie aufgehört und gleichzeitig doch immer neu angefangen. Damit hat sie geschafft, was nur wenigen Schauspielern gelungen ist, denen die »Rolle ihres Lebens« oft mehr Fluch als Segen war. Sie hat die »große« Rolle groß sein lassen und sich Erwartungshaltungen souverän widersetzt und mit ihrem reichen Oeuvre gezeigt, dass nicht nur in »kleinen« Rollen schauspielerische Größe steckt, sondern dass die eigene Karriere sogar zur facettenreichen Erzählung über die Wiedervereinigung zweier Deutschlands taugt.