Kinos in München – Kino der Kunst 2020
Verbotene Schönheit |
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Matthew Barneys kosmischer Tanz | ||
(Foto: Matthew Barney, Redoubt, 2018. Production still. © Matthew Barney, courtesy Gladstone Gallery, New York and Brussels, and Sadie Coles HQ, London. Photo: Hugo Glendinning) |
Von Dunja Bialas
Spätestens seit der documenta 14 in Kassel ist der Political turn in der bildenden Kunst zum Mainstream geworden. Nicht erst seitdem werden Werke mit geopolitischen Herkunftsangaben versehen, wird die Back Story oft wichtiger als die Manifestation. Attribute, wie sie der kanadisch-amerikanische Philosoph Stephen Hicks schon in seinem Aufsatz »Warum Kunst hässlich wurde« 2004 beschrieb, sind »hässlich, trivial oder geschmacklos«, sie erscheinen als Bastelarbeiten von Grundschülern oder ähnliches. »Die wichtigste Frage«, schreibt Hicks, ist: »Warum adoptierte die Kunstwelt des 20. Jahrhunderts das Hässliche und Widerliche?«
Das klingt alles auch ein wenig gefährlich. Hicks ist aber nur ein entschiedener Kritiker des Postmodernen, dem missfällt, dass heute »anything goes«, wie ein Schlagwort der postmodernen Kanonauflösung lautet. Das Zentrum für Politische Schönheit wiederum will durch Kunstaktionen, die sie als »schön« bezeichnen, auf politische Missstände aufmerksam machen. Ist das noch Kunst, oder ist das nur noch Moral, lässt sich da fragen.
Das Fazit für die Kunst scheint heute, auch jenseits dieser beiden extremeren Beispiele, zu sein: die klassische Ästhetik, das Schöne, mit dem sich auch das Wahre und Gute verbindet, ist in die Defensive geraten, oder mit Hicks gesprochen, wird leichterdings von einer Ästhetik des Hässlichen abgelöst. Überhaupt lösen sich die Pole auf, zugunsten, so scheint es, der Botschaft. Mehr werden der Inhalt und das moralische Anliegen in den Vordergrund gebracht, die Gestaltung, Form und Technik müssen vor ihnen zurücktreten, als wären sie nicht mehr schicklich. Gemeinhin gelten sie als Verlautbarungen des Oberflächlichen, Leeren und Eitlen, der Vanitas.
Das ist »Verbotene Schönheit«, so die Erkenntnis von Heinz Peter Schwerfel, künstlerischer Leiter von Kino der Kunst, der die neue Auflage des zum vierten Mal in München stattfindenden Festivals unter eben dieses Motto stellt. »In der Gegenwartskunst gibt es angesichts zunehmender politischer und gesellschaftlicher Krisen eine nicht eingestandene Haltung 'ästhetischer Korrektheit'«, so Schwerfel, »einen Mainstream von politisiertem Realismus und gutgemeinter kollektiver Solidarität. Gegen einen solchen formalen Mainstream schwimmt die diesjährige Ausgabe von Kino der Kunst.«
Fast 40 Filme Bildender Künstler*innen aus über 30 Ländern, die Schwerfel für den internationalen Wettbewerb programmiert hat, treten nun bis Sonntag den Beweis an, dass Schönheit und wichtige Themen einander nicht ausschließen. Soziale und politische Brennpunkte wie Migration, Rassismus oder der Klimawechsel sind in den gezeigten Werken auch ohne Sponti-Geste diskursrelevant, nur werden sie auf hochästhetische Weise verhandelt.
Viele der Künstlerinnen und Künstler des Programms spielen so auch in der oberen Kunstliga. Bekannte Namen sind darunter wie Isaac Julien mit Lessons of the hour über den amerikanischen Abolitionisten und befreiten Sklaven Frederick Douglass, der sich zur »Black Lives Matter«-Kunst zuordnen lässt. Julien hat sorgfältige Kostümarrangements geschaffen und so ausleuchten lassen, dass die Farben satt leuchten. Bei ihm zeigt sich – wie auch in vielen bei Kino der Kunst präsentierten Werken – dass die Bildenden Künstler in der technischen Umsetzung den Filmregisseuren in nichts nachstehen. Auch Matthew Barney mit Redoubt gehört natürlich dazu. Wie immer hat der multidisziplinäre Künstler, der den Münchnern noch gut mit seiner Filmoper River of Fundament (2014) in Erinnerung ist, keinen Film für Veganer geschaffen. Dafür eine rätselhaft mythische Meditation zum Diana-Komplex. Drei sehr gelenkige Jägerinnen bahnen sich elegant den Weg durch die tiefverschneite Landschaft des Sawtooth-Hochgebirges in Idaho, machen Slalom durch die dunklen Baumstangen der kahlen Wälder, stumm und einvernehmlich auf der Pirsch nach dem machtvollen Hirschen. Schüsse werden ausgetauscht, wie im Quiproquo fällt eine Jägerin vom Baum, während auch die geschossene Wildkatze fällt. Der schießende Gegenspieler ist ein älterer Künstler, der mit seiner Frau in einer Hütte in der verschneiten Einsamkeit etwas esoterische Materialkunst anfertigt. Wenn am Ende ein Wolfsrudel über das Wohnzimmer herfällt, kann aber daraus noch kein Statement abgelesen werden. Barney inszeniert eine berückende Einheit von Mensch, Natur, Kunst und alten Mythen, die ergreifend ist, aber auch nur schwer zu fassen. Ein lohnender Film, bei dem man in die Zwischenräume der Bedeutungen fällt, Auffangnetz ist seine unbestechliche Schönheit.
Oder Heavy Metal Honey des georgischen Foto- und Installationskünstlers Vajko Chachkahiani. Wie in anderen Filmen der aufstrebenden und immer interessanter werdenden Filmnation versammelt sich auch bei ihm die Großfamilie zum Essen um den Tisch. Banalitäten weden ausgetauscht. Dann beginnt Honig von der Decke zu tropfen, zähflüssig und klebrig, wie die Familienstrukturen, die die georgische Gesellschaft zusammenhalten.
Der jungen Kunst zuzurechnen ist I Like You der in den 1990ern geborenen Petersburgerinnen Alexandra Kazakovtseva und Anita Kutlinskaya, die beim Festival anwesend sein werden. Nicht mehr ganz Millennials, spielen sie mit den Abziehbildern der Instagram-Accounts, mit Fiktion und dem Auflösen des Authentischen der ganz Social Media gewordenen Menschen. Eine Soap tut sich auf, vom verliebten Jungen, der sich in eines dieser Abziehbilder verliebt hat und nun an der Oberfläche abprallt. Ein verzweifeltes Anrennen gegen die Flatness der Welt. Und siehe da: die Oberflächlichkeit der präsentierten Bilder zielt in entlarvende Tiefe.
Der Einsatz der Mittel ist also entscheidend, Pauschalsortierungen in »schön, aber belanglos« und »hässlich, aber umso wichtiger« sind obsolet. Wenn man die Filme in ihrer großen Vielfalt betrachtet, die Schwerfel seit der letzten Kino-der-Kunst-Edition 2017 eingesammelt hat – ausgewählt hat er ausschließlich fiktionale Werke – kann die angebliche Dichotomie von politics und aethetics nur ein Missverständnis sein.
Kino der Kunst 2020 sollte eigentlich im April dieses Jahres stattfinden und wurde zu einem der früh wegen Corona abgesagten Festivals. Jetzt sieht es so aus, als könne die Ausgabe gerade noch einem neuerlichen Shutdown entkommen. Schwerfel zumindest ist in der Zeit des Stillstands zum Nachdenken gekommen und hat das bereits für den Frühjahr geplante große Symposium nun ganz unter den Eindruck des einsamen Streamens auf der Wohnzimmercouch gestellt. »Wie wird sich die Bewegtbildkunst in digitalen Zeiten verändern?«, fragt er, auch ganz explizit im Hinblick auf den »Erfolgszug des Streamings« und Covid-19. Einen Tag lang (Freitag, 30.10.) stellen sich internationale Kurator*innen, Produzent*innen und Künstler*innen, u.a. Chris Dercon, Jacqui Davies, Emilio Álvarez oder Ulanda Blair, den Fragen der vier Panels, darunter der Sichtbarkeit, den Markt- und Sammlerinteressen. Das Symposium wird gestreamt und ist auf der Festival-Website abrufbar.
Einen Benefit des Streamens führt auch das Museum Brandhorst vor. Die bei Kino der Kunst physisch stattfindenden Artist Talks werden auf dem museumseigenen Youtube-Kanal gestreamt, (ebenfalls abrufbar auf www.kinoderkunst.de). Kunst im Internet kann auch weitere Attraktionen schaffen. So wird die Miniserie der Münchner Künstlerinnen Anna McCarthy und Paulina Nolte »Bloodless«, darunter die vom Museum Brandhorst in Auftrag gegeben Episode »Bloodless Brandhorst« im Museum-Brandhorst-Youtube-Kanal ausgestrahlt.
Wem die insgesamt sechs Tage Kino der Kunst nicht lange genug gehen, kann, sofern die Kultur nicht wieder von der Corona-Politik geschlossen wird, in den nächsten Wochen und Monaten noch die hohe Kunst des Bewegtbilds in Münchner Ausstellungen erleben. Sehr zu empfehlen ist die monografische Schau mit Werken von Maya Schweizer im Museum Villa Stuck, knapp tituliert: »Stimmen«. Die deutsch-französische Künstlerin umkreist Themen von Geschichte und (jüdischer) Identität. In »A Memorial, a Synagogue, a Bridge and a Church« (2012) collagiert und montiert sie dokumentarische Bilder, lässt die Bedeutungen vom Soundscape der Straße in momentaner und spontaner Beiläufigkeit leichter werden, zeigt Schichtungen der Vergangenheit, des Erinnerns und der kunstvollen Technik. In München entstanden ist »Voices and Shells« (2020), eine Schälung und Häutung der ehemaligen Hauptstadt der NS-Bewegung. Man sieht das heutige Haus der Kunst, die Hochschule für Musik, eine Schnecke, fließendes Wasser, die Katakomben von München. Im assoziativen Raum erwächst so, begleitet von Texten aus disparaten Archiven, die aus dem Off verlesen werden, ein Gefühl für München als historischem Vertigo.
Privatmythologisch, darin Matthew Barney ähnlich, geht es mit Cyrill Lachauers »I am not sea, I am not land« im Haus der Kunst in der neuen Ausstellung von der Sammlung Goetz im ehemaligen Bunker zu. Cyrill Lachauer zeigt seine Begabung, in den Fragmenten einzelner Film- und Objektschnipsel eine Geschichte entstehen zu lassen, von seiner Reise in den USA. Viel analoges Filmmaterial wird dabei von 16mm-Projektoren gespielt, eine fast schon nostalgische Verbeugung vor der Schönheit des Filmkorns und den satten Farben. Berückend sind seine tanzenden Protagonisten, etwa der Wächter eines Wildparks, der sich im Drag vor einer hoch aufragenden Felsenwand stumm bewegt, oder der tanzende Braunbär, ausgestattet mit mächtigen, nicht näher bestimmten indigen-rituellen Quasten.
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Offenlegung: Die Autorin verantwortet die Katalogredaktion bei Kino der Kunst.
KINO DER KUNST
bis 1.11.2020 in München
HFF München, Theatiner Filmkunst, City Kinos
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