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Ballad For A Pierced Heart ist eine lichtvolle Gangsterkomödie | ||
(Foto: The Match Factory) |
Von Elke Eckert
Dieses Jahr ist auch für die Griechische Filmwoche München ein besonderes Jahr. Die 34. Ausgabe findet nicht wie die Jahre zuvor im Gasteig statt, sondern ausschließlich online. Das hat auch Vorteile: Freunde des griechischen Films haben die Möglichkeit, die sehenswerten und oftmals ausgezeichneten Dokumentationen, Lang- und Kurzfilme deutschlandweit zu streamen. Cinephile München e.V. hat wieder ein spannendes und abwechslungsreiches Programm zusammengestellt – mit Geschichten über die Vergangenheit und Gegenwart Griechenlands und Würdigungen großer Künstler.
Eine Hommage an den unvergessenen Charlie Chaplin ist das Regiedebüt des Schauspielers Thanasis Tsaltabasis. Sein moderner Stummfilm Charlie erzählt von einem jungen Mann, den es aus der Vergangenheit in die Gegenwart verschlägt und der dort wegen einer Zeitungsanzeige in ein Abenteuer schlittert. Tsaltabasis hat auch das Drehbuch geschrieben und spielt die Titelrolle.
Als Ausnahmekünstlerin kann man auch die Dichterin und Lyrikerin Eftihia Papagiannopoulou bezeichnen. Sie machte sich bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren einen Namen als Songwriterin und arbeitete mit vielen bekannten griechischen Musikern zusammen. Den Stoff für ihre populären Lieder lieferte nicht zuletzt ihr eigenes Leben, das Angelos Frantzis verfilmt hat. Seine Biografie My Name Is Eftihia wurde in seinem Heimatland mehrfach ausgezeichnet, unter anderem als Bester Film.
Der 2018 verstorbene Schriftsteller und Musiker Giorgos Maniatis war ebenfalls nicht nur ein erfolgreicher Künstler, sondern auch ein außergewöhnlicher Mensch. Schon als 18-Jähriger kämpfte Maniatis im Algerischen Unabhängigkeitskrieg für seine Überzeugungen und war zeitlebens ein unbequemer Freigeist. Stavros Psillakis setzt ihm mit seinem Dokumentarfilm For No Reasons Meetings with Giorgos Maniatis ein Denkmal.
Wenn Deutsche an die Kykladen denken, fallen vielen unbeschwerte Urlaubstage ein. Dass auch auf den griechischen Inseln nicht immer die Sonne scheint, zeigt Kalliopi Legaki in ihrer Dokumentation When The South Wind Blows. Legaki und ihr Filmteam begleiteten Psychologen und Sozialarbeiter, die in den dunklen Herbst- und Wintermonaten zur Inselgruppe in der Ägäis fahren, um dort Einheimischen zu helfen, die mit psychischen Problemen zu kämpfen haben.
Um Arbeit zu finden kamen in den 1960er-Jahren viele Griechen nach Deutschland. Eine von ihnen war Eleni Delidimitriou Tsakmaki, deren Familie sich 1968 in München niederließ. Über zwei Jahrzehnte trug Tsakmaki Unterlagen und Gegenstände griechischer Migranten zusammen und machte so die Leben ihrer Landsleute greifbar. Die wichtigsten Stücke ihrer Sammlung zeigt Fotis Marantos' Dokumentarfilm Migred – 60 Years and We Are Still Here.
Eine weitere Geschichte über Griechenlands Geschichte erzählt Stelios Charalampopoulos in seinem Drama The Mountain Tears, wo er die Odyssee einer Bruderschaft von Steinmetzen Anfang des 20. Jahrhunderts schildert. Ihr Kampf gegen Krieg und Elend und ums eigene Überleben steht sinnbildlich für ein Land, das auch im neuen Jahrtausend große Herausforderungen zu meistern hat.
Ein antiker Mythos ist Dreh- und Angelpunkt von Costas Athousakis' Langfilmdebüt: Der Raub der Persephone. Japanische Touristinnen wollen mehr über die Unterwelt- und Fruchtbarkeitsgöttin wissen und werden Teil einer sagenhaften Inszenierung.
Zur neueren griechischen Geschichte gehört die Militärdiktatur in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, während der Kostis in Panayiotis Portokalakis' Drama The Interrogation grausam gefoltert wurde. Sein Leben lang litt der alte Mann so sehr unter dieser Erfahrung, dass er das Trauma an seine Tochter weitergegeben hat. Auch ihr fällt es schwer, Bindungen einzugehen. Um endlich eine normale Beziehung führen zu können, fängt die Performance-Künstlerin an, in der Vergangenheit ihres Vaters zu forschen.
Stavros Pamballis wählt für sein Regiedebüt Siege On Liperti Street, zu dem der zypriotische Schriftsteller auch das Drehbuch geschrieben hat, ebenfalls eine sehr persönliche Geschichte, um sich dem Zypernkonflikt zu nähern. Das Haus einer Familie in der Hauptstadt Nicosia steht genau auf dem Grenzstreifen zwischen Griechenland und der Türkei. Als der Vater nach einer Explosion schwer traumatisiert seinen Job verliert, bedroht das die Existenz seiner Familie. Die zypriotisch-griechische Produktion erhielt beim 60. Thessaloniki International Film Festival unter anderem die Auszeichnung als Bester Film.
Wie gesellschaftliche Konflikte das Leben Einzelner nachhaltig beeinflussen können, zeigt auch die Emanzipationsgeschichte der Iranerin Pari. Eigentlich wollten sie und ihr Mann nur ihren in Athen studierenden Sohn besuchen. Weil der nicht wie erwartet am Flughafen ist, wird das Ehepaar auf der Suche nach ihm mit Straßenkämpfen konfrontiert, die eine Folge von Wohnungsnot und Hausbesetzungen in der griechischen Hauptstadt sind. Pari, die sich im Gegensatz zu ihrem Mann verständigen kann, entdeckt in dieser aufgeheizten Stimmung eine völlig neue Seite an sich. Das Langfilmdebüt des iranischstämmigen Regisseurs Siamak Etemadi lebt vom überzeugenden Spiel seiner Hauptdarstellerin Melika Foroutan, die ebenfalls in Teheran geboren ist. Seine Weltpremiere feierte Pari auf der diesjährigen Berlinale.
Auf den Berliner Filmfestspielen wurde auch Georgis Grigorakis' Drama Digger zum ersten Mal gezeigt und mit dem Art Cinema Award ausgezeichnet. Einsiedler Nikitas bekommt Besuch von seinem Sohn, den er gut 20 Jahre nicht gesehen hat. Nach dem Tod der Mutter fordert der junge Mann die Hälfte des Grundstücks ein, auf dem sein Vater lebt. Dass auch ein Bauunternehmen hinter dem Land her ist, weil genau dort eine Straße entstehen soll, stellt die fragile Vater-Sohn-Beziehung zusätzlich auf die Probe.
Ihre Beziehung endgültig beenden will die attraktive Olga in der Gangsterkomödie Ballad For A Pierced Heart von Yannis Economides. Bevor die Frau eines reichen Geschäftsmannes mit ihrem Liebhaber durchbrennt, lässt sie noch schnell eine Million mitgehen. Weil sich der Gatte das natürlich nicht gefallen lassen kann und vor allem sein Geld zurückwill, wendet er sich an die Mafia. Doch die arbeitet auf eigene Rechnung.
Auswege aus einem finanziellen Dilemma suchen auch die fünf Frauen in Giorgos Papatheodorous skurriler Komödie Ciao Italia. Perspektiv- und arbeitslos sehen die Freundinnen nur eine Lösung ihrer Probleme: einen Raubüberfall. Aber der ist leichter geplant als verübt, vor allem wenn sich plötzlich das gesamte Umfeld der Möchtegern-Räuberinnen gegen sie verschworen zu haben scheint.
Ebenfalls nicht nach Plan läuft es für Aris in Zacharias Mavroeidis' Defunct. Sein Handel mit Espressomaschinen funktioniert nicht so, wie sich das der Jungunternehmer vorgestellt hat. Und so tauscht der 30-Jährige seine schicke Wohnung gegen das leerstehende Haus seines verstorbenen Großvaters Aristides. Als er dort den Nachbarn und Kriegskameraden seines Opas kennenlernt, erfährt er viel Neues über Aristides und taucht immer mehr in dessen Leben ein. Das Drama gewann beim 60. Thessaloniki International Film Festival den Publikumspreis.
Annas Zaubermittel gegen ihren tristen Alltag ist die Süßigkeit Cosmic Candy. Nur weil diese Leckerei sie regelmäßig in einen euphorischen Trancezustand versetzt, hält die introvertierte junge Frau ihre Arbeit im örtlichen Supermarkt und die Einsamkeit nach Feierabend aus. Alles ändert sich, als die zehnjährige Nachbarstochter Annas Hilfe braucht, weil ihr Vater verschwunden ist.
Weniger fantasievoll als Rinio Dragasaki, dafür aber umso poetischer erzählt Vardis Marinakis in seinem Drama Zizotek eine ähnlich gelagerte Geschichte. Nachdem seine Mutter ihn während eines Musikfestivals zurückgelassen hat, sucht der neunjährige Jason Zuflucht in der Waldhütte des stummen Einsiedlers Minas. Der weigert sich zuerst, für Jason da zu sein, doch bald entwickelt sich zwischen den beiden eine ganz besondere Beziehung.
In Minos Nikolakakis' mystischem Debütfilm Entwinded kreuzen sich die Wege einer jungen Frau, die an einer seltenen Hautkrankheit leidet, und eines Arztes, der neu in der abgelegenen Gegend ist.
Zu Begegnungen zwischen Fremden kommt es auch in dem Kurzfilmprogramm »Short Selection 2020«. Im perfekt besetzten Thrillerkunststück Nimic trifft ein Cellist in der U-Bahn auf eine Unbekannte, die ihn nach Hause verfolgt. Regisseur Giorgos Lanthimos war für seine Langfilme The Lobster und The Favourite bereits mehrfach oscarnominiert.
Der Begegnungsort von zwei jungen Männern in Vasilis Kekatos' The Distance Between Us And The Sky ist eine einsame Tankstelle mitten in der Nacht. Der intensive Neunminüter wurde in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet.
In Kekatos zweitem, ebenfalls preisgekröntem Kurzfilm The Silence Of The Dying Fish erfährt ein Fischzüchter auf dem Weg zur Arbeit, dass er bereits tot ist.
Neben diesen drei Highlights in der »Short Selection« hat die Griechische Filmwoche auch eine Auswahl der besten Kurzfilme aus dem letztjährigen »Thess International Short Film Festival« im Programm.
2020 findet die Griechische Filmwoche erstmals unter der Schirmherrschaft des Griechischen Generalkonsulats in München statt
Infos zum Online-Abruf:
Alle Dokumentar-, Spiel- und Kurzfilme können als Video-on-Demand über die Plattform filmstadt-muenchen.culturebase.org angeschaut werden.
Voraussetzung: kostenlose Registrierung bei Culturbase, die ab sofort möglich ist.
Einzeltickets (ein Film): € 5,- bzw. € 6,- (mit Solibeitrag für Münchner Kinos).
Festival-Pass (gesamtes Programm): € 35,- bzw. € 40,- (mit Solibeitrag).
Der Vorverkauf beginnt am Dienstag, 10. November, um 15 Uhr auf www.griechischefilmwoche.com.
Die Filme sind von Donnerstag, 12.11., ab 19 Uhr, bis Sonntag, 22.11., 24.00 Uhr verfügbar.