Das Fernsehgericht tagt |
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Bjarne Mädel wieder mal in einer Paraderolle | ||
(Foto: ARD) |
Für Elena
Alle sind gegen Folter. Oder? Auf die Frage, ob Folter unter irgendwelchen Umständen gerechtfertigt werden kann, scheint es auf den ersten Blick nur eine einzige Antwort zu geben: Nein, auf keinen Fall. Aber so einfach ist es leider nicht.
Natürlich gibt es gute Gründe, für Folter einzutreten. Natürlich ist dieser Standpunkt nicht chic, zur Zeit jedenfalls. Aber selbstverständlich würden sich viel mehr von uns im »stillen Kämmerlein« zu ihm bekennen, als in der Öffentlichkeit. Spätestens, wenn sie ihre Phantasie anstrengen, ihre moralische Empathie. Spätestens, wenn sie selbst vor ein existentielles persönliches Dilemma gestellt werden und nicht nur abstrakt, am Stammtisch des guten Gewissens entscheiden dürfen.
Insofern bietet »Feinde« nach Ferdinand von Schirach eine Menge moral- und rechtsphilosophischen Sprengstoff.
Aber ach, wenn es doch nur ein guter Film wäre!
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Ein guter Film ist »Feinde« nun leider keineswegs. Hier wird eine Geschichte, wie die ARD vermeldet, »als Experiment« mittels zweier Filmen »aus unterschiedlichen Perspektiven« »und einer weiteren Version in der ARD-Mediathek« erzählt. »Erstmals in der Geschichte des deutschen Fernsehens«, so heißt es stolz, zeige man »ein Projekt zeitsynchron im Ersten sowie in allen Dritten Programmen der ARD«.
Tatsächlich handelt es sich hier um eine Mogelpackung, in den zitierten Formulierungen sogar um bewusste Täuschung. Und insgesamt um die Frechheit eines einzigen Films, mit dem zeitgleich zehn ARD-Programme vollgeschmiert werden – wenn man bisher noch kein überzeugendes Argument für die Abschaffung der Dritten Programme gefunden hat: Hier ist es.
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Denn die »Filme« »Feinde – Gegen die Zeit« und »Feinde – Das Geständnis« und der mittellange 45-Minuten-Film »Feinde – Der Prozess« sind tatsächlich nur ein sehr breit getretener einziger Film. Die Handlung ist eine einzige geschlossene, sie hat das gleiche Ende, und sehr ähnliche Anfänge; sie wird zu 75 Prozent identisch erzählt, mit teilweise variierten Kameraperspektiven, deren Unterschied aber nie besonders raffiniert ist, geschweige denn, dass er neue Erkenntnisse oder gar unterschiedliche Bewertungen des Falls eröffnete.
Der erste, »Feinde – Gegen die Zeit« ist in der ARD zum »Tatort«-Termin um 20.15 Uhr gesetzt und somit klar privilegiert. Die Hauptfigur ist hier der vom »Tatortreiniger« Bjarne Mädel gespielte Entführungsexperte der Berliner Polizei namens Peter Nadler.
Als die zwölfjährige Lisa aus reichem Hause am Morgen auf dem Schulweg entführt wird, schaltet man ihn ein. Schnell kommt er durch Indizien auf den Sicherheitsmann Georg Kelz. Wir Zuschauer wissen, dass Kelz tatsächlich
der Täter ist. Wir wissen auch, was Nadler nur vermuten kann: Um die Lebensgefahr für das Opfer, in deren Versteck der Sauerstoff knapp wird. Aber der Täter schweigt. Nadler, der hier ganz seiner Intuition vertraut, ist deshalb nach stundenlangen fruchtlosen Verhören und einer schlaflosen Nacht auch bereit, den Tatverdächtigen zu foltern. Und tatsächlich erfährt er nach ein paar Runden Waterboarding den Aufenthaltsort der Zwölfjährigen. Aber er kommt zu spät. Das Opfer ist
erstickt.
Zunächst bleibt die Folter unbekannt, im Prozess arbeitet sie der Anwalt des Angeklagten, Konrad Biegler, ein Verteidiger der alten Schule, gespielt von Klaus Maria Brandauer, mit sicherem Instinkt heraus, bringt Nadler zu einem Geständnis und führt mit ihm eine rechtsphilosophische Debatte über das Prinzip der »Rettungsfolter«, wie Nadler analog zum »finalen Rettungsschuss« gegen Geiselnehmer, die Geiseln zu töten drohen, seine Handlung nennt.
Der parallel in den dritten Programmen ausgestrahlte »Feinde – Das Geständnis« erzählt diese Geschichte zunächst aus Bieglers Perspektive: Sich beide Teile nacheinander anzuschauen ist aber im Effekt vor allem ziemlich öde, da es weitgehend dieselben Bilder sind, dieselbe Handlung und alles auch inhaltlich sehr redundant. Außerdem ist die zusätzliche Rahmenhandlung in der zweiten Version weitaus uninteressanter. Wen interessiert es schon, ob der Anwalt, der eindeutig über 65 Jahre alt ist, irgendwelche gesundheitlichen Probleme hat? Und dann von seinem Arzt (Samuel Finzi, wie so vieles verschenkt bzw. auf bloßes Namedropping reduziert in einem Ein-Szenen-Auftritt) gesagt bekommt, er solle Fahrrad fahren und müsste auch sonst was für sich tun?
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Der dritte Film »Feinde – Der Prozess« wiederum ist gar nicht so achronologisch, wie behauptet wird, sondern setzt einfach erst mit dem Waterboarding ein – es folgen so ambitionierte wie auftrumpfend eingesetzte, affige Splitscreens. Auch hier: Kein bisschen mehr Handlung und Erkenntnis als im ersten Teil – und man sollte jetzt bitte nicht argumentieren, dass das nicht möglich gewesen wäre. So hätte man, um nur ein paar Beispiele zu nennen, im zweiten Teil andere Prozessszenen zeigen können. Man hätte zeigen können, was der Angeklagte im Nachhinein zur Folter zu sagen hat. Man hätte zeigen können, wie die Eltern des toten Mädchens darauf reagieren, dass der Polizist sogar seine eigene Freiheit und sein eigenes Gewissen dafür aufs Spiel gesetzt hat, die Tochter zu retten. Man hätte zeigen können, wie die Kollegin Lansky (Katharina Schlothauer, eine der wenigen schauspielerischen Lichtblicke der ganzen Veranstaltung), die Nadlers Ansinnen zumindest skeptisch gegenübersteht, aber doch ein gewisses Verständnis für den Kollegen hat, die Situation im Nachhinein denn beurteilt. Schließlich hätte man zeigen können, wie Nadler der Prozess gemacht wird – und da wäre es etwa eine schöne Pointe gewesen, wenn Anwalt Biegler, der im Prozess durchaus moralisches, aber nicht juristisches Verständnis für Nadler äußert, nun den Mann verteidigt, dessen Tat er überhaupt erst aufgedeckt hat.
Aber für all das hätte man nicht nur Engagement und ein bisschen Einfallsreichtum an den Tag legen müssen, Produzent Oliver Berben hätte auch etwas Geld in die Hand nehmen müssen. So wirkt es zumindest, als hätte er der ARD/Degeto clever einen Film zum Preis für drei untergejubelt.
Und die praktiziert ihr Lieblingsprinzip der Wiederholung, und zwar der Wiederholung des Immergleichen zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung.
Schließlich: Was soll überhaupt der Titel »Feinde«? Wer sind hier die Feinde des Titels? Nadler und Biegler? Nadler und Kelz? Moral und Recht ? Genau dass solche Fragen entstehen, offenbart die Ambivalenz und die Unentschiedenheit dieses Filmprojekts.
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Nun aber zur philosophischen Frage, die der »Ein-Mann-Ethikrat der ARD« (SZ) Ferdinand von Schirach aufwirft. Dem ARD-Film liegt diesmal kein Stück oder Roman Schirachs zugrunde, sondern ein »Konzept und Drehbuch« des Autors. Das merkt man, denn die moralischen, rechtlichen und politischen Alternativen sind weitaus weniger feingetuned, als in »Terror« oder »Gott«.
»Persönliches Gerechtigkeitsgefühl oder geltendes Recht? Das ist das Kernthema des Projekts 'Feinde'«. So wirbt die ARD für ihr »TV-Event« am heutigen Sonntagabend. Diese Gegenüberstellung ist hanebüchener Quatsch, ebenso wie der Verlauf des Prozesses, der die komplette zweite Hälfte des Films einnimmt. Denn faktisch macht der Film aus der vermeintlichen Unentschiedenheit seiner Frage eine ästhetische Form, und positioniert sich dabei trotzdem ganz klar, auf der emotionalen wie visuellen Ebene zugunsten des Folterns, und hält sich zugleich auf der Wort-Ebene heraus und bleibt im Unentschiedenen.
Vage zugrunde liegt allem zwar der schockierende Fall des Entführungsopfers Jakob von Metzler. Zugleich ist im Fall Metzler offensichtlich vieles anders gelagert und gelaufen. Beginnend mit der Tatsache, dass der Entführer sein Opfer bereits vor der ersten Lösegeldforderung ermordet hatte, dass er bereits vor seiner Verhaftung als Täter feststand, und dass es in seinem Fall nur zur Androhung von Folter kam, nicht zur Ausführung.
Was »Feinde« tatsächlich interessant macht,
ist aber das philosophische Problem, das dem Fall zugrunde liegt. Man kann es so zusammenfassen: Darf man aus Menschenliebe foltern? Kann eine demokratische Gesellschaft Folter zulassen?
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Die furchtbar rechtschaffenen absoluten Gegner der Folter argumentierten bereits im Fall Metzler damit, dass es im Fall der Folter um die Verteidigung prinzipieller Rechtsnormen ginge, nicht um eine höhere Moral.
Aber so einfach ist es nicht. Es geht bei dem Problem, das hier verhandelt wird, nämlich gar nicht darum, dass diese Norm des Folterverbots in irgendeiner Weise umstritten wäre. Es geht vielmehr um die Frage, ob diese Norm in jedem Fall absolut gilt? Und was
passiert, wenn ihr etwas annähernd Gleichwertiges, etwa eine andere Norm gegenüberzustellen ist? Der Zweck einer Norm ist ja nicht die Norm selbst.
Denn natürlich gibt es neben allen Gegenargumenten in bestimmten Fällen auch moralische Argumente für die Folter. Dies heißt nicht, dass diese letztendlich überwiegen und überzeugen. Es heißt aber, dass sie legitimerweise gestellt werden dürfen. Zum Beispiel die Frage: Darf man Tausende sterben lassen, ehe gefoltert wird, um diese zu retten?
Bei der Frage, ob Folter unter Umständen erlaubt sein darf, steht nicht wirklich individuelle Moral gegen Staatsräson, oder Gerechtigkeitsempfinden gegen Verantwortung.
Tatsächlich könnte auch der folternde Ermittler neben seinem Gewissen ein übergeordnetes Rechtsprinzip für sich in Anspruch nehmen: In diesem Fall das Recht des Opfers auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit.
Er könnte gegen alle, die mit Immanuel Kants »Kategorischem Imperativ« – »handle
stets so, dass die Grundlage deines Handelns Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung sein kann« – dafür argumentieren, dass Folter bedingungslos verboten ist, gegenfragen: Darf man zugunsten eines gerechtfertigten allgemeinen Prinzips ein Menschenleben opfern?
Kant hätte und hat die Frage bejaht. Aber es ist der alte Einwand gegen Kant, den schon zu dessen Lebzeiten Friedrich von Gentz erhob: »Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis.«
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Es steht das Allgemeine hier gegen das Einzelne. Und bevor man sicher ist, dass ein Einzelfall kein allgemeines Recht widerlegen kann, möge man sich vorstellen, es wäre das eigene Kind, oder der Bruder, die Schwester, das entführt ist.
Wie hätten wir uns verhalten als Bürger des liberalen Rechtsstaats? Zugesehen, wie ein Kind erbärmlich verreckt? Oder gehandelt in einem Notstand? Was hätten Sie gemacht, liebe Leserin? Das Gleiche, was viele Gelehrte, schlaue Kommentatoren, und weise Rechtsphilosophen, im Fall Jakob von Metzler eilends zu Protokoll gegeben haben?
Wir möchten alle nicht wissen, wie die CIA, der Mossad, der BND zu ihren Informationen gelangen. Aber wir nehmen dann doch freudig an, dass der nächste Terroranschlag noch etwas auf sich warten lässt.
Fiat justitia pereat mundus – die Welt mag untergehen, wenn nur das Recht gilt?
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Das wahre Problem des Falls von »Feinde« ist gar nicht, dass der Polizist hier gefoltert hat, sondern dass er zu spät gefoltert hat. Dass ihn bürokratische Hemmnisse und juristische Grundsatzerwägungen daran gehindert haben, früher zu handeln. Dann hätte das Mädchen gerettet werden können.
Das Problem des Films, eines von sehr vielen, ist hier der Verweis auf die Intuition des Experten. Der Polizist könnte sich irren und einen foltern, der kein Wissen preiszugeben hat.
Besser, der Drehbuchautor hätte diese Unklarheit vermieden, und so das Dilemma um so klarer herausgearbeitet.
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Man könnte sogar die moralische Kardinal-Frage noch verschärfen: Darf man einen Folterknecht durch Folter vom Foltern abhalten?
Welche Würde hat einer, der anderen die Würde nimmt?
Die Antwort kann nur jeder Einzelne für sich geben. Und jeder Einzelne muss die Konsequenzen seiner Antwort, nicht nur die juristischen, selber tragen.
Die produktive Provokation von Schirachs Gedanken-Experiment liegt darin, dass er die Möglichkeit aufwirft, hierfür juristischen Raum zu schaffen.
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»Denn der Mensch ist nicht der Justiz wegen, sondern diese Justiz ist des Menschen wegen.«
Ludwig Feuerbach