Subversive Schinkenstulle |
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Das neue Bilitis des Coming of Age | ||
(Foto: Mubi) |
Von Jens Balkenborg
Gefühlt immer seltener erlebt man filmische Subversion in diesen Zeiten, in denen die Flut der Filme und Serien auf den ubiquitären Streamingportalen nach dem Publikum lechzt: oft mit einer wie auch immer gearteten Heimeligkeit und auf Binge-Tauglichkeit hin ausgerichteten Dramaturgien. Das soll jetzt kein zelebrierter Kulturpessimismus sein, aber es ist, wie es ist: In einem System, das sich immer stärker an seiner »Community« ausrichtet und abarbeitet, ist – auch wenn dabei freilich tolle Formate entstehen – seltener Innovation zu erwarten, geschweige denn wirkliche Herausforderungen für das Publikum.
Aus dieser Blase heraus ist so ein Film wie Tyler Taorminas Debüt Ham on Rye ein doppelter Schuss vor den Bug. Auf den ersten Blick ein völlig schräges, ja: nerviges Machwerk, das verschiedenen Teenagergruppen auf dem Weg zur traditionellen Highschool-Abschlussfeier in einem Feinkostladen folgt. Die Bilder sind regelrecht von der Sonne ausgeschossen in dieser typischsten der typischen amerikanischen Kleinstädte, und es wimmelt vor Klischeefiguren: die Partyboys, der Skateboarder, die Außenseiter, die Prinzessinnen in ihren Kleidchen oder die überdrehten Eltern, die ihre reif werdenden Sprösslinge mit Schnappatmung und vor Freude heulend vor die Kamera zehren.
Ohne wirklichen empathischen Anker springt der Film zunächst wild zwischen den Gruppen auf ihrem Weg zu Monty’s Diner hin und her. Der Tag und Abend mündet in einem mehr als unangenehmen Ritual, einem Tanz, bei dem die Jungs, manche mit Erfolg, manche erfolglos, um die Hand der Mädchen anhalten. Später dann sucht Haley (Haley Bodell), eine der Prinzessinnen, vergebens ihre Freundin, zudem springt der Film sozusagen einen Jahrgang höher und folgt einer Horde Halbstarker auf eine »Party« unter freiem Himmel. Das muss in Anführungszeichen stehen, denn dieser sedierte Haufen wirkt eher wie eine performative Antithese: als würden die das tun, was man von ihnen erwartet, trinken, rauchen, feiern, aber mit der Ausstrahlung und dem Interaktionswillen von Zombies.
Aber mit dem Begriff der Antithese nimmt retrospektiv Fahrt auf, was sich in der unmittelbaren Rezeption als wildes Sammelsurium von Störgeräuschen angehäuft hat, denn: Ham on Rye ist einer dieser Filme, die im Nachgang wachsen. Frage: Wie müsste ein Film aussehen, der mit unangenehmer Exzentrik bedient, was man aus diesem großen, übervollen Teich der Coming-of-Age-Filme kennt, die Partys und Abschleppereien aus Komödien à la American Pie, und es zugleich in Frage stellt? Er müsste aussehen und erzählt werden wie Ham on Rye.
Ganz bewusst referenziert der Filmtitel auf historische Ankerpunkten wie J. D. Salingers Coming-of-Age-Klassiker »Catcher in the Rye«, den wiederum Charles Bukowski in einem rauen Jugendporträt rezipiert hat. Titel: »Ham on Rye«. Taorminas Film wimmelt von Spuren zu diesen tausendmal gesehenen Bilder und Ritualen, zu dieser Ideologie des Erwachsenwerdens im amerikanischen Kleinstadtkosmos und bürstet sie auf links. In jedem Bild steckt Ideologiekritik und Kritik an den Erwartungen an diese Schallmauern des Erwachsenwerdens.
Man wird gewahr, dass wenige Menschen in diesem Film lachen; sie alle, manche mehr, manche weniger, scheinen eine innere Mechanik abzuspulen. Es gilt, zu performen, ein Junge etwa wird von seiner Mutter zusammengestaucht, weil eine Panikattacke ihn von der Feier ferngehalten hat, »er hat es nicht mal hingeschafft« sagt die enttäuscht am Telefon. Verstärkt werden die Störgeräusche noch dadurch, das Taormina sich bei allem Glanz der flirrenden Bilder von Kameramann Carson Lund darauf konzentriert, nicht das Perfekte, sondern das Unperfekte auszustellen – bei besagtem Tanz etwa das schräge Lachen, die zu breiten Augenbrauen oder die bei Match oder Absage lächerlich nach oben oder unten gerichteten Daumen. Herrlich widerlich auch, wie das Fleisch für die Sandwichs in dem überhaupt nicht feinen Feinkostladen durch den Fleischwolf gedreht wird.
Ham on Rye erzählt vom Erwachsenwerden als subversiven Horror, ohne den Horror auszustellen, und das auch noch mit einem Anspruch auf Zeitlosigkeit: man wähnt sich wegen der Figuren und Klamotten in den 1970ern, bis jemand sein Smartphone aus der Tasche zieht. In diesem Anarchronismus manifestiert sich eine Endlosschleife der pubertären Konformität – ein regelrechter Schlag ins Gesicht.
In dieses Bild passt auch ein ganz anderer Übergang, der als buchstäblicher Knall zelebriert wird und die erzählerische Klammer bildet. Denn was in den ersten Filmeinstellung mit einem nicht funktionierenden Feuerzeug beginnt, führt am Ende zu einem knallenden Böller: dort ein paar kleine Kinder, freudig erschreckt und voll unwissender Unschuld, hier die sich bereits im Performationshamsterrad befindenden Jugendlichen. Manche werden auf ewig in dem Kaff bleiben, manche es herausschaffen.
Sicher, Ham on Rye ist schwer zugänglich und trotz seiner kurzen Laufzeit auch zäh, doch er trifft, in seiner Subversität ein wenig an den Berlinale-Beitrag Favolacce der Brüder D’Innocenzo erinnernd, ins Ziel. Dass Taorminas Film in Locarno lief, wo er Premiere feierte, darf man dem Festival ebenso anrechnen wie nun der Arthaus-Streaming-Plattform Mubi, die den Film exklusiv zeigt. Den Weg ins deutsche Kino hätte diese filmische Antithese sicher nicht gefunden.