Die narzisstische Generation |
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Drama einer Fehlgeburt | ||
(Foto: Netflix / Kornél Mundruczó) |
Richtig gelungen ist dieser Film nicht, auch wenn die Lobeshymnen sich aneinanderreihen, unverständlicherweise. Hauptdarstellerin Vanessa Kirby war in jeder »Crown«-Folge besser als hier, in dem letzten Mission: Impossible, Folge 6 sowieso, wo sie die »White Widow« spielte – ein magnetisierender Auftritt, der fast alles andere in diesem Film in den Schatten stellte und ihr gleich zwei Folgefilme (Mi:7 und Mi:8) einbrachte, die sich zur Zeit in Produktion befinden. Darauf kann man sich freuen. Ebenso auf The World to Come, den Western-Liebesfilm, der in Venedig unverständlicherweise komplett leer ausging. Dafür hat Kirby für Pieces of a Woman am Lido einen Schauspielerinnen-Preis bekommen.
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Das muss an der Geburt liegen. Der Geburtsszene genau gesagt: 23 Minuten dauert sie. Das ist kurz für eine Geburt, im Film aber unendlich lang; ohne sichtbaren Schnitt, eine einzige, schier endlose Plansequenz, mit den üblichen Manierismen garniert, also Gewackel und Getaste der Kamera, leichte Zooms, leichtes Zurücklaufen, Reißschwenks, Figuren- und Perspektivwechsel.
Hineinziehen soll das alles. Hineinsaugen ins Bild, die Geburt und die Dramatik fühlen lassen, die Emotionalität, die Zärtlichkeit der Situation.
Die Wirkung ist aber genau das Gegenteil: Das, was den Betrachter hineinsaugen soll in die Erfahrung des Augenblicks, stößt ihn doch auch zugleich wieder hinaus, erinnert immer wieder an die Tatsache, dass alles hier gemacht und künstlich ist, nicht »in echt« dokumentiert, wie es die taumelnden Bilder suggerieren, die alles vermeintlich fast »in Echtzeit« zeigen.
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Auch für Kirby ein Auftritt, der nach Preisen schreit. Der brüllt: »Das muss echtes Schauspiel sein!!!« Der die Faust ballt, so wie Lewandowski nach einem Hattrick, als würde der selbst nicht genügen.
Man muss »sich dreckig machen«, wenn man heute Preise gewinnen und als »große Darstellerin« angesehen werden will. Mit klassischem Kino hat so ein Auftritt, hat der ganze Film nichts zu tun. Ob Elisabeth Taylor oder Catherine Deneuve – sie wären undenkbar in solchen Rollen. Und
das ist nicht Kirbys Problem, sondern das unseres Kinos.
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Irgendwo in irgendeiner nordamerikanischen Großstadt, vermutlich Ostküste. Wir sehen eine junge Frau, Anfang 30. Sie heißt Martha, lebt mit ihrem Mann zusammen und ist hochschwanger. Beide arbeiten, sie in einem Büro, er als eine Art Bauleiter oder doch Architekt, jedenfalls im Blue Collar. Der teure SUV wird von der Schwiegermutter bezahlt. Die Verhältnisse sind geordnet, etwas spießig, aber nicht schlimm, wohltemperiert und abgefedert mit allerlei Annehmlichkeiten und Ausstattungsgegenständen bürgerlicher Behaglichkeit – inklusive einer selbstgewissen Moral und klaren Vorstellungen darüber, wie Dinge zu laufen haben im Leben, und dass sie anders zu laufen haben als in früheren Generationen. Dazu gehört auch die in solchen Kreisen modische Idee einer Hausgeburt, auch wenn genug Krankenhäuser zur Verfügung stehen. Der Gatte hat dagegen leichte, gut versteckte Bedenken, aber er hat auf diesem Feld nicht viel zu melden – auch das gehört zu der neuen Moral dieses sehr präzis beobachteten Milieus. Eine Hebamme wird gerufen, als das erste Unwohlsein einsetzt, dann kommen die Wehen, und etwas später die zwischendurch anstrengende, aber im großen Ganzen doch gut gelingende, eigentliche Geburt.
Etwas zu beifallsheischend, etwas zu selbstgewiss ist die Inszenierung hier in ihrer Gesamtwirkung, erst recht angesichts dessen, was folgt – diese ersten 23 Minuten setzen den Ton und die Haltung des Regisseurs; sie setzen die Qual der Hauptfigur, der schwangeren Martha, die mit dem Glück der Geburt eines kleinen Töchterchens belohnt wird.
Doch dann nimmt der Film eine radikale Wendung, die man hier nicht verschweigen kann: Das Neugeborene läuft blau an – und
stirbt!
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Erst jetzt, nachdem er seine größte Intensität erreicht und überschritten hatte, seine stärksten Bilder gezeigt hatte, kommt der Film auch zum Kern seiner Geschichte.
Die persönlichen Beziehungen des Paares sollen dekonstruiert werden. Martha und ihr Mann Sean, das junge Paar gespielt von Vanessa Kirby und Shia LaBeouf, leben sich durch die schreckliche Erfahrung zusehends auseinander. Jeder der beiden konfrontiert sich mit seinem Trauma allein auf je eigene Weise.
Vor allem um Martha, die Frau geht es. In einer Mischung aus störrischen Rückzügen in starre Unzugänglichkeit und plötzliche, heftige Ausbrüche macht diese Martha ihr Leben wieder zu ihrem eigenen – auf Kosten aller Mitmenschen. Eine spezielle Form von »Empowerment«.
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In der zweiten Filmhälfte wird alles dann konventioneller, folgt auch noch erkennbarer den Pfaden eines Melodrams im Hollywood-Stil:
Vater Sean verklagt nun nämlich die Hebamme, im Verbund mit Marthas herrischer Mutter. Ellen Burstyn ist hier großartig als typische »jewish mum«, die selbst unter Nazi-Besatzung und Lebensgefahr geboren wurde und daher eine komplett andere, heute auf viele fremd wirkende Generation verkörpert und einen grundsätzlich anderen Umgang mit Gefühlen
– eine im Vergleich überaus »echte« und sympathische, weil nicht »kalte« Figur. Sie bildet das Gegenmodell zu ihrer Tochter aus einer überempfindlichen, narzisstischen Generation.
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Pieces of a Woman bedeutet gewissermaßen »Stücke einer Frau« oder auch »Eine Frau in Stücken«. Das trifft auf Martha zu. Aber so wie seine Hauptfigur zerlegt der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó auch das Genre des Melodrams. Nach seinen Filmen Underdog und Jupiter’s Moon ist dies Mundruczós erster englischsprachiger Film. Das Drehbuch schrieb seine regelmäßige Mitarbeiterin Kata Wéber.
Pieces of a Woman ist ein intimer Film, dem es um die Intimität der Figuren geht: Das zeigt sich in fast jeder Einstellung. Immer wieder wird in Nahaufnahmen erzählt, gedreht wurde hauptsächlich in Innenräumen. Das Gefühl, »ganz dicht dran« zu sein, soll evoziert werden. Dieses Gefühl ist entscheidend, denn die Stärke des Films liegt in den rohen Dialogen und den bewusst unbehauenen Gefühlen.
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Die »Macht des Schicksals«, in diesem Fall noch mehr die Macht des Zufalls ist es, die Mundruczó in diesem Film mit allen Mitteln des Kinos entfaltet – und die große Leinwand mit ihren dann übergroßen Menschenbildern tat der Wirkung der virtuosen Überwältigungsästhetik dieses Films bei seiner Premiere im Wettbewerb von Venedig bestimmt sehr gut.
Zwar bleibt es in der Schwebe, ob die Hebamme wirklich Mitschuld am Tod des Babys trägt, doch klar ist in jedem Fall, dass es darauf in den Augen der Autoren nicht wirklich ankommt; denn ebenso gewiß ist, dass hier auch auf anderen zumindest mögliche Mitschuld lastet – das beginnt bereits mit der völlig unnötigen Entscheidung für die riskantere Hausgeburt.
Das wirklich harte Faktum, das dieser Film präsentieren will, ist die Einsicht, dass vieles, was unser Leben aufs Schwerste
beeinträchtigt, einfach nur durch Zufall passiert. Angesichts dieser Einsicht plädiert der Film am ehesten für gegenseitige Vergebung.
Zugleich serviert er unterschwellig doch die unübersehbare Kritik an und ein Grundressentiment gegen eine ganz bestimmte Klasse der westlichen Gegenwartsgesellschaften: Den großbürgerlichen Mittelstand mit zuviel Geld und zu gutem Gewissen und zuviel Egomanie. Die melodramatischen Elemente der Handlung tragen aber zur Präzision dieser Kritik nicht gerade bei.