Wolfram Paulus – eine Revision |
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Wolfram Paulus' Heidenlöcher (1986) | ||
(Foto: Film Archiv Austria) |
Von Ulrich Mannes
Man kann sagen, dass Wolfram Paulus, Absolvent der Hochschule für Fernsehen und Film München, bei seinem Langfilm-Debüt HEIDENLÖCHER alles richtig gemacht hat. Den Stoff um einen fahnenflüchtigen Bauern aus dem Salzburger Land, der sich während des Zweiten Weltkriegs in Felsenhöhlen versteckt hält, hat er überaus karg, aber mit großer Detailliebe umgesetzt und sich dabei konsequent am sparsamen Inszenierungsstil von Robert Bresson orientiert. HEIDENLÖCHER feierte 1986 im Wettbewerb der Berlinale seine Premiere, gewann einen Bayerischen Filmpreis (Kategorie Regienachwuchs) und fand bei der Kritik mehr als nur wohlwollende Beachtung. So konnte er mit den folgenden Filmprojekten Nachsaison und DIE MINISTRANTEN seiner Linie und dem Salzburger Land treu bleiben und sich als einer der Erneuerer des österreichischen Heimatfilms etablieren. Paulus erweiterte darauf sein Spektrum, drehte Beziehungsdramen, Kinderfilme, TV-Mehrteiler, Dokumentationen, landete bald »in den Niederungen der deutschen Fernsehbilder« (wie es ein Kritiker formulierte), bekam aber irgendwann selbst seine TV-Projekte nicht mehr finanziert, weshalb er sich die letzten Lebensjahre fast ausschließlich auf pädagogische Projekte beschränkte.
2020 bot sich nun die Chance, Wolfram Paulus und sein Œuvre einer Revision zu unterziehen. Für März hatte das Filmarchiv Austria noch zusammen mit dem Regisseur eine (fast) vollständige Retro organisiert, die dann dem ersten Corana-Lockdown zum Opfer fiel und im September nur noch als Gedenk-Veranstaltung nachgeholt werden konnte, da Paulus am 28. Mai 2020 mit 63 Jahren gestorben war. Gewissermaßen als Vertiefung der Paulus-Nachlese veranstalteten die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und das Mozarteum Salzburg in Zusammenarbeit mit dem Filmarchiv Austria Ende Januar ein zweitägiges Online-Symposium, das einen interdisziplinären Blick auf Paulus’ Schaffen werfen konnte.
Ohne Hoffnung aufs Glück ist man in der Filmerei »daschossen«, soll Paulus einmal gesagt haben. Er artikulierte schon früh, dass man in einem Filmemacherleben laufend zwischen den Ansprüchen eines Auteurs und den Unwägbarkeiten der Filmindustrie lavieren und am Ende eben auch Glück haben muss. Diese Hoffnung diente Paulus als »Bewältigungsstrategie für die massive Kontingenz, die der Medienwirtschaft während der Vorbereitung, Herstellung und Auswertung eines Kinofilms immanent ist«. So formulierte es Mitveranstalter Andreas Ehrenreich in seinem Beitrag »Filmerei und Kontingenz« – eine Überschrift, die auch als Motto fürs ganze Symposium stehen kann.
Ob es in den 13 Vorträgen (die auf vier Panels unter bewusst vage gehaltenen Stichworten wie Heimat, Politik, Identität, Genre usw. aufgeteilt worden sind) nun um die erzählte Provinz oder um Tourismus und Touristen oder die Rolle der Holzwirtschaft ging, ob am Beispiel des Regisseurs der Realismus im österreichischen Film allgemein verhandelt oder die Affinitäten seiner Beziehungsfilme zur klassischen Screwball-Komödie analysiert wurden, ob der pädagogische Wert seiner Kinderfilme oder die Rezeption in Italien oder gar seine nicht realisierten Filmprojekte untersucht wurden: Offen oder verschlüsselt ging es für die Vortragenden auch ums »elende Strampeln auf Leben und Tod«, also um den schmerzlichen Prozess des Filmemachens.
Und natürlich hob das Symposium Wechselbeziehungen und Kontinuitäten in Paulus’ Schaffen hervor, die einem bei der puren chronologischen Betrachtung seiner Filme entgehen können. Wo z.B. finden sich Spuren von Paulus’ großem Leitbild Robert Bresson? Nicht nur im ambitionierten Frühwerk, sondern auch in seinen späteren, formal viel konventionelleren Familien- und Seitensprungfilmen. Das »System Familie« wiederum ist nicht nur Thema seiner späten Werke, es wird auch in seinen frühen Filmen auf die Probe gestellt. Die naheliegende Frage, ob Paulus’ Karriere aufs Ganze gesehen gescheitert ist (er selber sprach von einem »langjährigen Trauertal«, das für ihn irgendwann mal begann), blieb ausgeklammert, eine Frage, die sich vielleicht auch deswegen erübrigt, weil sein Schaffen doch nicht abgeschlossen scheint. Zu Tage gefördert hat das Symposium nämlich noch eine Unmenge von unverwirklichten Projekten, und schließlich konnte man erfahren, dass Paulus wenige Tage vor seinem Tod noch ein Drehbuch mit dem Titel »Berghof« vollendet hat: die nur halb erfundene Geschichte um einen Berchtesgadener Holzschnitzer, der von den Nazis darauf präpariert wird, Adolf Hitler als Doppelgänger zu ersetzen – ein Filmprojekt, mit dem er den Bogen zu seinem Erstling HEIDENLÖCHER zurückgespannt und sein Werk vernehmbar abgerundet hätte, wenn ihm die Verfilmung noch vergönnt gewesen wäre.
Nachträge:
Verantwortet haben dieses Symposium Iris Laner (Salzburg) und Andreas Ehrenreich (Halle). Ehrenreich stellte schon die Symposien über den Hexenfilm von Adrian Hoven und den Giallo auf die Beine.
Das Programm und die Teilnehmer finden sich auf der Symposiums-Webseite.
Da diese Online-Veranstaltung unter dem Radar der Öffentlichkeit stattfand, plant das Filmarchiv Austria in seiner Schriftenreihe eine Publikation mit den Symposiums-Beiträgen.